BVerfG zu Tarifeinheitsgesetz: Auf­atmen für Arbeit­geber

von Dennis Lüers, LL.M.

11.07.2017

2/2: Regelungskompetenz beim Gesetzgeber

Ein Dorn im Auge war den klagenden Gewerkschaften zudem die Frage, inwieweit der Gesetzgeber überhaupt die Regelungskompetenz für das Verhältnis der Gewerkschaften untereinander habe. Diese habe der Gesetzgeber durchaus, entschieden nun die Verfassungsrichter. Insbesondere sei der Gesetzgeber nicht gehindert, etwa aus Gründen des Gemeinwohls Rahmenbedingungen zu verändern, um gestörte Paritäten wieder herzustellen oder um einen fairen Ausgleich auf einer Seite zu sichern.

Insgesamt seien die aus dem Gesetz resultierenden Belastungen in einer Gesamtabwägung überwiegend zumutbar. Denn zum einen hätten die Betroffenen es selbst in der Hand, ob es zu einer Verdrängung komme oder nicht. Denn die Tarifvertragsparteien könnten vereinbaren, dass die Kollisionsnorm nicht zur Anwendung kommt.

Um unzumutbare Härten zu vermeiden, dürfen – so das Gericht – bestimmte tarifvertraglich vereinbarte Leistungen, auf die sich die Beschäftigten in ihrer Lebensplanung typischerweise einstellen und auf deren Bestand sie berechtigterweise vertrauen, wie etwa Leistungen zur Alterssicherung, zur Arbeitsplatzgarantie oder zur Lebensarbeitszeit, allerdings nicht verdrängt werden. Da der Gesetzgeber hier keinen Schutzmechanismus vorgesehen habe, seien hier die Gerichte gehalten, entsprechende Zumutbarkeitsprüfungen vorzunehmen.

Verdrängen und Weiterleben

Das BVerfG stellt überdies klar, dass die beeinträchtigende Wirkung auch dadurch gemildert werde, dass die Verdrängung eines Tarifvertrages nur so lange andauere, wie der verdrängende Tarifvertrag laufe und kein weiterer Tarifvertrag eine Verdrängung bewirke. Der verdrängte Tarifvertrag lebe danach für die Zukunft wieder auf.

Schließlich würden die beeinträchtigenden Wirkungen auch durch den Anspruch der Minderheitsgewerkschaft, den Mehrheitstarifvertrag nachzuzeichnen und damit die Bedingungen auch für die Mitglieder dieser Gewerkschaft zur Anwendung zu bringen, gemildert. Dieser Nachzeichnungsanspruch sei so auszulegen, dass er sich auf den gesamten verdrängenden Tarifvertrag beziehe.

Kleine Berufsgruppen und Branchen vernachlässigt

Allerdings fehlten nach der Einschätzung der Richter Schutzvorkehrungen für Angehörige einzelner Berufsgruppen oder Branchen, deren Tarifvertrag verdrängt werde. Es sei bisher nicht sichergestellt, dass die Interessen der Minderheiten nicht von den Mehrheitsgewerkschaften vernachlässigt würden.

Bis Ende 2018 muss der Gesetzgeber Abhilfe schaffen, gab das BVerfG auf. Bis zu einer Neuregelung dürfe die Vorschrift gleichwohl angewendet werden. Dafür müsste im Zweifel plausibel dargelegt werden, dass die Interessen der Minderheiten von der Mehrheit ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt wurde.

Verdrängung der Spartengewerkschaften legitimiert

Das heutige Urteil des BVerfG dürfte zur Erleichterung sowohl bei den Spitzenverbänden der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite als auch in der großen Koalition geführt haben. Wenig begeistert dürften hingegen die Spartengewerkschaften sein, ist doch ihre Verdrängung aus den Betrieben durch die Mehrheitsgewerkschaften infolge dieses Urteils heute legitimiert worden.

Aus praktischer Sicht dürfte die Sicherung der Befriedungsfunktion infolge des heutigen Urteils allerdings kaum noch erfüllt werden können: Droht keine Haftungsfolge für einen unzulässigen Streik, wird auch eine Minderheitsgewerkschaft von einem solchen kaum abzuhalten zu sein.

Interessant dürfte auch sein, wie das Gesetz bis zur gesetzlichen Neuregelung im Hinblick auf die Verdrängung von Tarifverträgen in der Praxis zur Anwendung gelangt. Dass die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen einzelner Berufsgruppen, deren Tarifvertrag verdrängt wird, bereits in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat, dürfte wohl eher nicht der Normalfall sein.

Dennis Lüers, LL.M. ist Partner bei vangard in München und Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Zitiervorschlag

BVerfG zu Tarifeinheitsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 11.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23428 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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