Wer jahrelang für ein Kuckuckskind aufgekommen ist, hat deshalb noch lange nicht das Recht, von seiner untreuen Partnerin die Identität des wahren Vaters zu erfahren. Der am Mittwoch bekanntgegebene Beschluss des BVerfG zum Auskunftsrecht des Scheinvaters überbetont die Belange von Betrügerinnen in grotesker Weise, meint Constantin van Lijnden.
Betrug tut weh. Besonders dann, wenn er sich auf dritte Personen erstreckt, und am allermeisten, wenn diese Dritten die – vermeintlich – eigenen Kinder sind. Wer in einem Atemzug erfährt, dass seine Partnerin ihn hintergangen hat, und dass die Kinder, die er finanziert und großgezogen hat, nicht die seinen sind, dem mag so manche Reaktion durch den Kopf schießen, die mit Gerichtssälen herzlich wenig zu tun hat.
Von dort jedenfalls hat er keine Hilfe zu erwarten, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit seinem am Mittwoch bekanntgegebenen Beschluss (v. 24.02.2015, Az. 1 BvR 472/14) unmissverständlich klargestellt hat. Der Fall betraf einen Mann, der seine Vaterschaft bereits erfolgreich angefochten hatte und nun von seiner Ex-Frau die Identität des wahren Vaters – oder der für die Rolle in Frage kommenden Kandidaten – erfahren wollte. Dort wollte er Regress für die bisher geleisteten Unterhaltszahlungen nehmen.
Die Vorinstanzen billigten ihm dies zu: Der Auskunftsanspruch, obschon nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt, sollte aus §§ 1353 Abs. 1, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) folgen, der ehelichen Fürsorgepflicht und dem Prinzip von Treu und Glauben. Damit befanden sich die Gerichte auf einer Linie mit dem Bundesgerichtshof (BGH), der 2011 in einer Grundsatzentscheidung anerkannt hatte, dass der Regressanspruch des Scheinvaters durch einen entsprechenden Auskunftsanspruch flankiert wird.
Formalisiertes Gerechtigkeitsverständnis statt Empathie
Zwar sind einige Details des Falles geeignet, an den Motiven des Scheinvaters Zweifel aufkommen zu lassen. Das tut jedoch nichts zur Sache, denn das BVerfG hat nicht bloß diese eine, sondern sämtliche Auskunftsklagen gegen untreue Partner pauschal für unbegründet erklärt.
Denn, so heißt es aus Karlsruhe, mit der Konstruktion eines Auskunftsanspruchs über § 242 BGB hätten die Gerichte Rechtsfortbildung betrieben. Dies sei zwar durchaus üblich und im Grundsatz legitim – nicht jedoch, wenn dadurch die Grundrechte einer der Verfahrensbeteiligten in erheblicher Weise beschnitten würden.
So soll die Sache hier also stehen. Die Verpflichtung der Frau, die Identität ihrer Liebhaber im relevanten Zeitraum - inter partes, nicht auf der Titelseite der BILD-Zeitung - zu offenbaren, wiege "schwer". Dem stehe "allein" das finanzielle Interesse des Scheinvaters an der Durchsetzung seines "einfachgesetzlichen" Regressanspruchs gegenüber.
Schon diese Frontenziehung ist nur vor dem Hintergrund eines maximal formalisierten Gerechtigkeitsverständnisses begreiflich. Denn gewiss: Die Regressforderung gegen den leiblichen Vater ist auf Geldzahlung gerichtet, ebenso wie, sagen wir, die Regressforderung eines Kfz-Versicherers gegen den Verursacher eines Blechschadens. Dass beide, trotz gleichen Anspruchsziels, nicht den gleichen emotionalen Gehalt haben, blendet das Bundesverfassungsgericht vollkommen aus.
Umgekehrt tritt es den inneren Drängen und Zwängen der Fremdgängerin, die nicht das geringste Interesse zeigt, den von ihr angerichteten Schaden auch nur ein Stück weit zu mindern, mit dem Verständnis eines gütigen Beichtvaters entgegen.
Fehlentscheidung mit Ansage
Wohlgemerkt: Diese Entscheidung war alles andere als zwingend. Im Gegenteil war der Ausgangsfall atypisch gelagert; den dortigen Auskunftsantrag hätte das BVerfG abschmettern können, ohne dies zugleich auch für sämtliche weiteren Verfahren dieser Art tun zu müssen. Und so sehr den Leser 55 Randnummern und zahllose Zitationen vom Gegenteil überzeugen wollen: Die Grenze, ab welcher ein Grundrechtseingriff einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, ist weder gottgegeben noch präzise bestimmbar.
Doch ganz offensichtlich ging es dem 1. Senat gerade darum, ein Grundsatzurteil zu fällen. Bis zu einem Eingreifen durch den Gesetzgeber bleibt den Gerichten somit nichts anderes übrig, als ihre Entscheidungen nach dem Maßstab aus Karlsruhe zu treffen: Hier der "einfachgesetzliche" Regressanspruch, bei dem es bloß um schnöden Mammon geht (bis zum 18. Lebensjahr regelmäßig um Summen, die selbst beim Jahressold eines Verfassungsrichters schmerzen würden), dort das verfassungsrechtlich geschützte und bereits deshalb ungleich höherwertige Persönlichkeitsrecht, das auch zur Verwirklichung schäbigster Ziele uneingeschränkt parat steht.
Die finale Ironie ihrer Fehlentscheidung entgeht den Richtern und Richterinnen des Verfassungsgerichts jedoch offenbar: Denn für das so hoch gehaltene allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt nichts anderes als für den so leichtfertig abgetanen Auskunftsanspruch des Scheinvaters: Es ist im Gesetz nicht geregelt, sondern Produkt richterlicher Rechtsfortbildung. Bloß eben der eigenen.
Constantin Baron van Lijnden, BVerfG zum Auskunftsrecht des Scheinvaters: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14988 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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