Das BVerfG hat entschieden, dass die Bundesregierung die Rechte von Abgeordneten verletzte, indem sie deren Anfragen weitgehend unzureichend beantwortete. Sebastian Roßner zur Entscheidung und dazu, was eine gute Antwort ausmacht.
Wissen ist Macht. Dieser Gemeinplatz gilt vielleicht nirgends so sehr wie in der Politik. Daher ist die Frage, was die Regierung dem Parlament zu offenbaren hat, so sensibel und entscheidend. Dass wieder einmal das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entscheiden musste, welche Antworten die Bundesregierung auf parlamentarische Fragen zu geben hat, ist eine Folge des parlamentarischen Charakters unseres Regierungssystems mit seiner engen Verflechtung von Regierung und Parlamentsmehrheit, in dem die öffentliche Kontrolle und Kritik der Regierung Sache der Opposition, also der Minderheit im Bundestag ist.
Die Minderheit hat dabei wenige Daumenschrauben, die sie der Regierung anlegen kann, und braucht daher häufig das Verfassungsgericht, um berechtigte Informationsinteressen durchzusetzen. Auf dem Feld der parlamentarischen Informationsansprüche rückt das Gericht daher systembedingt in die Position des Schiedsrichters im politischen Wettbewerb, wie auch auf den benachbarten Feldern des Parteien- und des Wahlrechts.
Am Dienstag hatten die Karlsruher Politschiedsrichter über zwei notorisch schwierige und miteinander verflochtene Problemkreise zu entscheiden (Az. 2 BvE 2/11). Die zwei Kernfragen lauteten: Wie sind die Grundrechte Dritter zu berücksichtigen, die von den parlamentarischen Anfragen berührt werden? Und: Wie steht es um die Pflicht der Regierung zur Auskunft gegenüber dem Parlament, wenn sie nicht wegen ihrer besonderen Befugnisse als Regierung, sondern "wie ein Privater" in den Besitz der Informationen gelangt ist, etwa weil der Bund Gesellschafter eines privatrechtlich organisierten Unternehmens ist?
Privatisierung schützt nicht vor Auskunftsansprüchen
Konkret ging es um aufsichtsrechtliche Maßnahmen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegenüber mehreren Banken in den Jahren 2005 bis 2008 und um Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Deutschen Bahn AG über Investitionen in das Schienennetz, ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten zum Projekt "Stuttgart 21", sowie um Zugverspätungen, über die Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Auskünfte von der Regierung verlangten. Aus Sicht der fragenden Abgeordneten waren die Auskünfte unzureichend. Sie strengten daher ein Organstreitverfahren gegen die Regierung wegen einer Verletzung von Informationsansprüchen aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG)* an, das weitgehend erfolgreich war.
In Hinblick auf die Fragen zur Deutschen Bahn AG war zunächst zu klären, ob Auskünfte über Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, überhaupt dem parlamentarischen Informationsanspruch unterfallen. Das Gericht fand dazu klare Worte. Es befand, dass die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand legitimationsbedürftig sei und daher von der Regierung gegenüber dem Parlament verantwortet werden müsse.
Dem ist beizupflichten, zumal der Bund nicht nur Alleingesellschafter der Bahn ist, sondern nach Art. 87e GG auch die Verantwortung für die Schienenwege und das überregionale Verkehrsangebot trägt. Der Bund konnte sich also seiner politischen und rechtlichen Verantwortlichkeit nicht entziehen, indem er die damalige Bundesbahn 1994 teilweise in die privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG ausgegliedert hat. Allerdings hat das Verfassungsgericht seine Aussage auf Unternehmen beschränkt, die sich zumindest mehrheitlich in der Hand des Bundes befinden. Ob und inwieweit die Bundesregierung dem Parlament auch Rede und Antwort stehen muss, falls es um Minderheitsbeteiligungen des Bundes geht, ließ das Gericht offen.
Konturen des Auskunftsanspruchs zeichnen sich ab
In einem nächsten Schritt wandte sich der Senat den möglichen Grenzen eines Informationsanspruchs zu. Grundrechte der DB AG ließen die Richter nicht gelten, weil sie nicht grundrechtsfähig sei. Das ist konsequent, da die Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen eine Folge der Grundrechte der Menschen ist, die gewöhnlich hinter der juristischen Person stehen. Dies gilt jedoch nicht für das hundertprozentige Staatsunternehmen Deutsche Bahn.
Bei den Fragen zum Themenkomplex Finanzmarktaufsicht stand eine andere Grenze der parlamentarischen Informationsansprüche im Zentrum, nämlich die Belange des Staatswohls. Dahinter steht die Überlegung, dass gewichtige öffentliche Interessen, hier die Stabilität des Finanzmarktes und der Erfolg staatlicher Stützungsmaßnahmen, geschädigt werden könnten, falls die von den Abgeordneten erfragten Informationen öffentlich werden. Das Gericht verlangt von der Regierung aber, plausibel und auf den jeweiligen Fall bezogen zu begründen, weshalb ausnahmsweise der Informationsanspruch des Bundestages zurückstehen müsse. Bevor eine Information vollständig verweigert werden darf, muss zudem geprüft werden, ob es nicht ausreicht, die Geheimschutzordnung des Bundestages anzuwenden. Dadurch wird zwar eine öffentliche Debatte verhindert, aber immerhin noch die Information der Abgeordneten gewährleistet.
Nimmt man das Urteil vom 21. Oktober 2014 zur Auskunftspflicht bei Rüstungsexporten (2 BvE 5/11) hinzu, werden die Konturen des parlamentarischen Auskunftsanspruchs deutlich: Die Bundesregierung hat Auskunft zu geben über alles, was innerhalb ihrer Verantwortung geschieht. Der Verantwortungsbereich ist weit und umfasst auch das Handeln des Staates in privatrechtlichen Formen. Grenzen findet der Anspruch des Parlaments auf Auskunft, soweit es um interne Abläufe der Regierung und unabgeschlossene Entscheidungsvorgänge geht. Auch die Grundrechte Dritter können den Informationsanspruch der Abgeordneten begrenzen. Er ist dann mit den betroffenen Grundrechten abzuwägen. Stehen Belange des Staatswohls einer Auskunft entgegen, muss die Regierung dies eingehend begründen.
Der Präsident der Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat nicht ohne Grund zu Beginn der Verkündung des Urteils am Dienstag ausdrücklich auf die Vielzahl der jüngeren Entscheidungen hingewiesen, die das Gericht zu den parlamentarischen Informationsrechten gefällt hat. Es ist wohl auch dem Präsidenten unverständlich, weshalb die Bundesregierung ihre deutlich umrissene Pflicht, dem Parlament Auskunft zu geben, immer wieder mit schwachen Begründungen verletzt.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
*Falsche Norm korrigiert am 08.11.2017, 16.27 Uhr.
Sebastian Roßner, BVerfG zu Auskunftspflichten der Regierung: . In: Legal Tribune Online, 07.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25419 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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