Änderung des Grundgesetzes: So wollen Ampel und Union das BVerfG stärker schützen

von Dr. Markus Sehl

23.07.2024

Das BVerfG soll vor politischen Kräften geschützt werden, die lieber ohne seine Kontrolle regieren wollen. Dafür sollen Verfahrensregeln statt "nur" in einem Gesetz künftig im GG stehen. Eine zentrale Regelung wird nicht abgesichert.

Die Ampel-Fraktionen haben gemeinsam mit der Union am Dienstag ihren Plan für eine Änderung des Grundgesetzes (GG) vorgestellt, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) besser vor einer rechtsstaatfeindlichen Entmachtung schützen soll. Der Entwurf liegt LTO vor.

Zum einen sollen zentrale Strukturregeln des Gerichts in die Verfassung geschrieben werden, etwa zur Amtszeit oder zur Altersgrenze. Das steht zwar so bereits im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), könnte aber jederzeit mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag geändert werden. Deshalb soll es nun durch die Niederschrift in der Verfassung abgesichert werden.

Auf der anderen Seite wird eine Lösung für das Szenario vorgesehen, dass etwa im Bundestag eine politische Kraft mit mehr als einem Drittel der Stimmen eine Sperrminorität erreicht und damit eine Richterwahl zum BVerfG zu blockieren könnte.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat gemeinsam mit den Rechtspolitikern der Ampel und der Union Einzelheiten präsentiert. Die beteiligten Politikerinnen und Politiker wirkten bei der Vorstellung am Dienstag zufrieden und regelrecht bewegt von der geleisteten Arbeit am Projekt. Buschmann sagte, man habe in der Arbeitsgruppe auf hohem Niveau und leidenschaftlich diskutiert, sich aber auch die Zeit zum Nachdenken über Lösungen gelassen. "Die Arbeit ist ein Zeichen unserer demokratischen Kultur". Niemand unter den Politikerinnen und Politikern, die oder der nicht betonen wollte: Diese Arbeit für eine GG-Änderung, soll auch ein Symbol für gute politische Arbeit über die Grenzen von Regierung und Opposition hinaus sein. Schließlich ist eine Grundgesetzänderung ohne die Stimmen der Union im Bundestag nicht möglich.

Konkret geht es um Änderungen in den Art. 93 und 94 GG, dort sind bereits Rahmenbedingungen zum BVerfG festgeschrieben. Die zentralen Strukturmerkmale und der Blockadelösungsmechanismus sollen dort in der Verfassung verankert werden. In Art 93 GG werden dazu mehrere neue Absätze eingefügt. 

Nur scheinbar harmlos: Regeln zu den Senaten, zur Amtszeit und zur Altersgrenze 

Ein Hintergedanke der Reform: Zunächst harmlos wirkende Regelungen könnten durch Gesetzesänderung schnell gegen die Arbeitsfähigkeit des Gerichts in Stellung gebracht werden. Wie das geht, kann man in unterschiedlichen Ausprägungen in Polen, Ungarn, der Türkei, in Israel oder den USA beobachten. Ein Beispiel: Unbequeme Richterinnen und Richter kann man loswerden, indem man die Altersgrenze herabsetzt oder Amtszeiten verkürzt. Durch ein solches Vorgehen könnte man auch personelle Lücken in die aktuelle Besetzung des Gerichts reißen. Deshalb sollen diese Regeln nun relativ veränderungsfest – Skeptiker würden sagen "versteinert" – in die Verfassung geschrieben werden. An diese Regelungen kommt man dann ohne verfassungsändernde Mehrheit von zwei Drittel aller Bundestagsabgeordneten nicht mehr heran. 

Die Elemente im Einzelnen:

  • Die Zahl der Senate: Das Gericht besteht aus zwei Senaten, so bisher in § 2 Abs. 1 BVerfGG. Der eher technisch klingende Aspekt könnte schnell große Wirkung entfalten. So könnte eine Partei, die dem BVerfG schaden will, auf die Idee kommen, einen dritten Senat zu schaffen, ihn mit eigenen Anhängern besetzen und alle wichtigen politischen Verfahren von den anderen Senaten abziehen und dem neuen Senat zuweisen.
  • Die Zahl der Richter: Acht je Senat, wie bereits in § 2 Abs. 2 BVerfGG geregelt.
  • Wahl von Richterinnen und Richter: Hälftige Wahl durch Bundestag und Bundesrat "in jeden Senat", eine Präzisierung gegenüber § 5 Abs. 1 S. 1 BVerfGG.
  • Die Amtszeit: Zwölf Jahre, wie bereits in § 4 Abs. 1 BVerfGG geregelt.
  • Die Altersgrenze: 68 Jahre, wie bereits § 4 Abs. 1 und 3 BVerfGG geregelt.
  • Übergangsweise Fortführung der Amtsgeschäfte, so bekannt bereits aus § 4 Abs. 4 BVerfGG.
  • Die Wiederwahl von Richterinnen und Richtern wird ausgeschlossen, so bereits in § 4 Abs. 2 BVerfGG geregelt.
  • Ampel und Union wollen auch die Geschäftsordnungsautonomie im GG verankern. Die garantiert, dass das BVerfG selbst über die Organisation seiner internen Arbeitsweise entscheiden kann, so bereits in § 1 Abs. 3 BVerfGG festgelegt. Geregelt werden können Zuständigkeiten, etwa wer wann Berichterstatter für ein Verfahren wird. Die Geschäftsordnung wird vom Plenum beschlossen.
  • Auch die Bindungswirkung seiner Entscheidungen wird für das BVerfG nun im GG verankert, bisher in § 31 BVerfGG geregelt.

Buschmann gab zu bedenken, dass es bisher Ausdruck einer politischen Kultur gewesen sei, dass der einfache Gesetzgeber nie die Chance ergriffen hat, durch die Änderungen des einfachen Gesetzes (BVerfGG) das Karlsruher Gericht disziplinieren zu wollen. "Das soll zukünftig keine Frage allein der Verfassungskultur mehr sein, sondern nun eine des Verfassungsrechts."

Ersatzwahl bei einer Blockade der Richterwahl

Ganz neu wird ein Lösungsmechanismus für ein Blockade-Szenario eingefügt. Er lautet:

"Durch Bundesgesetz kann vorgesehen werden, dass das Wahlrecht vom anderen Wahlorgan ausgeübt werden kann, wenn innerhalb einer zu bestimmenden Frist nach dem Ende der Amtszeit oder dem vorzeitigen Ausscheiden eines Richters eine Wahl seines Nachfolgers nicht zustande kommt."

Damit soll die Arbeitsfähigkeit des Gerichts und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Arbeit des Gerichts sichergestellt werden. Dazu ist auch bereits ein entsprechender Entwurf für ein solches Bundesgesetz vorbereitet worden, der die Details regelt. In § 7a BVerfGG soll ein neuer Abs. 5 eingefügt werden:

"Hat das zuständige Wahlorgan innerhalb von drei Monaten, nachdem ihm das Bundesverfassungsgericht einen Wahlvorschlag gemacht hat, keinen Nachfolger gewählt, kann sein Wahlrecht auch vom anderen Wahlorgan ausgeübt werden." Das bedeutet: Wäre der Bundestag von einer Partei mit mehr als einem Drittel der Stimmen blockiert, so könnte der Bundesrat einspringen.

Was soll trotz Diskussion nicht ins GG aufgenommen werden?

Nicht abgesichert wird der zentrale Modus der Zwei-Drittel-Mehrheitswahl für die Richterinnen und Richter an sich. Damit könnte mit einfacher Gesetzesmehrheit dieses Quorum abgeschafft werden und etwa durch eine einfache Mehrheit ersetzt werden.

Kritisch sieht das etwa der Verfassungsrechtler Dr. Ulrich Karpenstein, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins und Partner bei der Kanzlei Redeker Sellner Dahs: "Wichtig ist, dass künftige Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und insbesondere der Quoren für Richterwahlen und BVerfG-Entscheidungen nicht länger mit einer einfachen Mehrheit des Bundestages abgeändert werden können."

Rechtspolitiker Till Steffen (Grüne) schrieb auf X: "Ich hätte mir auch eine vollständige Regelung des Wahlverfahrens im Grundgesetz gewünscht. Diesen Weg wollten CDU/CSU nicht mitgehen. Trotzdem ist die Einigung ein großer gemeinsamer Erfolg"

Buschmann und seine rechtspolitischen Kolleginnen und Kollegen verteidigten die Entscheidung am Dienstag damit, dass man die Vor- und Nachteile abgewogen habe. So sagte der rechtspolitische Sprecher der FDP, Stephan Thomae: "Hohes Quorum klingt nach hohem Schutz, aber eben auch nach Gefahr durch Sperrminorität." Andrea Lindholz von der CSU betonte, man habe das Risiko eher bei der Blockade und nicht bei der Absenkung des Wahlquorums gesehen.

Wie geht es weiter für eine Grundgesetzänderung?

Der Entwurf soll als eine Gesetzesinitiative aus der Mitte des Bundestags (Art. 76 Abs. 1 GG) eingebracht werden. Auf diesem Weg ist formell keine frühzeitige Beteiligung des Bundesrates vorgesehen. Gespräche finden aber bereits statt, deutete Buschmann an. Schließlich braucht es auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit in dem Ländergremium, damit am Ende das GG geändert wird.

Zitiervorschlag

Änderung des Grundgesetzes: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55054 (abgerufen am: 23.07.2024 )

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