Der Bundestag in der Coronakrise: Von wegen zu Hause bleiben

von Hasso Suliak

19.03.2020

Während den Bürgern empfohlen wird, auf soziale Kontakte zu verzichten und zu Hause zu bleiben, will der Bundestag die nächste Sitzungswoche durchziehen. Ausschüsse und Plenarsitzungen sollen stattfinden. Die Demokratie müsse sich bewähren.

Mit dem früheren Grünenchef und aktuellen Vorsitzenden des Bundestagsverkehrsausschusses, Cem Özdemir, vermeldete am Donnerstag der nächste Bundestagsabgeordnete (MdB), dass er sich mit dem Coronavirus angesteckt habe. Mittlerweile sind es sechs. Özdemir, der in einer Videobotschaft auf Twitter versicherte, dass es ihm gut gehe und er selbst keine Symptome habe, appellierte an die Vernunft und Disziplin der Menschen: "Nehmt die Sache ernst, bleibt zu Hause." 

Diese Vernunft mag jedoch der Bundestag selbst nicht konsequent befolgen. Wie die Pressestelle des Parlaments mitteilte, haben sich der Bundestagspräsident und die Parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen am Mittwoch in einer Telefonkonferenz darauf geeinigt, die Sitzungen des Deutschen Bundestags in der kommenden 17. Kalenderwoche durchzuführen. Eine Änderung der Präsenztage sei nicht vorgesehen, hieß es.

Im Rahmen einer weiteren Beratung am Freitag sollen weitere geeignete Maßnahmen für den Ablauf der Plenarsitzungen und Ausschussberatungen abgestimmt werden, um das Infektionsrisiko auf ein Mindestmaß zu reduzieren.  Zuvor stand bereits fest, dass jedenfalls die öffentlichen Anhörungen der Fachausschüsse abgesagt werden. Überhaupt fallen jegliche Veranstaltungen der Bundestagsverwaltung und der Fraktionen mit Publikumsbeteiligung in der kommenden Woche aus, Besuchergruppen wurde abgesagt, Kuppel und Dachterrasse des Reichstagsgebäudes bleiben bis auf weiteres geschlossen.

"Handlungsfähigkeit oberstes Gebot"

Das Festhalten der Fraktionen an der Durchführung der Sitzungen wird in erster Linie mit der Sorge begründet, dass andernfalls das Signal ausgesendet werden könnte, der Bundestag sei nicht mehr handlungsfähig. In einem Schreiben vom 12. März hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble alle MdBs darauf eingestimmt, dass neben den erforderlichen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes es "oberstes Gebot sei, die Handlungsfähigkeit des Verfassungsorgans zu erhalten".

Auch in der Fraktion der Grünen, in der sich neben Cem Özdemir auch der Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik, Christian Kühn, infiziert hat, scheint man Schäubles "oberstem Gebot" den Vorrang vor dem Gesundheitsschutz einzuräumen. Auf LTO-Anfrage erklärte die Parlamentarische Geschäftsführerin, Britta Haßelmann, am Mittwoch:  "Demokratie muss sich in der Krise bewähren. Dazu gehört auch, dass das Parlament arbeitsfähig bleibt. Es ist gut und wichtig, dass der Bundestag in der nächsten Woche zusammenkommt. Denn es sind wichtige Entscheidungen zu treffen."  Schließlich leisteten auch "andere Menschen unter schwierigen Bedingungen Tag für Tag ihre Arbeit in dieser krisenhaften Zeit".

So sieht es auch die Fraktion der Linken: "Sowohl der Bundestagspräsident als auch die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen sind sich darüber einig, dass der Betrieb des Parlaments als Verfassungsorgan aufrecht erhalten werden muss", sagte Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion.  

Maximal 300 statt 709 Abgeordnete vor Ort

Welche genauen Maßnahmen nunmehr den Gesundheitsschutz der MdBs und ihrer Mitarbeiter in der nächsten Sitzungswoche gewährleisten sollen, stand bis zur Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht in allen Details fest. Sicher ist aber, dass es auch zu einer Verkleinerung des Bundestags kommen soll und vielleicht nicht Abgeordnete aller Ausschüsse zwingend nach Berlin kommen müssen. Nach LTO-Informationen sollen statt sonst 709 MdBs in der kommenden Woche maximal 300 MdBs im Bundestag arbeiten. Britta Haßelmann von den Grünen: "Die notwendigen Fachausschüsse und das Plenum werden zusammentreten. Zur Risikominimierung und zum Gesundheitsschutz werden weniger Abgeordnete zusammenkommen."

Außerdem verständigten sich die Fraktionen offenbar auf ein sogenanntes Pairing-Verfahren. Danach bleibt für jeden abwesenden Abgeordneten der Koalition auch ein Abgeordneter der Opposition den Abstimmungen fern. Durch ein solches Verfahren "können die bestehenden Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben", so Grünen-Geschäftsführerin Haßelmann.

Klar ist: Ein derartiges Verfahren muss tatsächlich von allen Fraktionen mitgetragen werden. Denn der Bundestag ist laut Geschäftsordnung nur so lange beschlussfähig, wie mindestens die Hälfte seiner Mitglieder, also 355 MdBs anwesend sind. Wie es scheint, ziehen aber in der Coronakrise zumindest in dieser Frage alle Fraktionen an einem Strang. "Unter den Fraktionen herrscht eine weitgehend vertrauensvolle Zusammenarbeit", so Linken-MdB Jan Korte.

Zitiervorschlag

Der Bundestag in der Coronakrise: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40957 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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