2/2: "Kunst- und Meinungsfreiheit sind nicht nur Gelehrtensache"
LTO: Seit Beginn der Affäre erfuhr Böhmermann in der Öffentlichkeit überwiegend Unterstützung. Können Sie sich vorstellen, dass die öffentliche Meinung die Arbeit der Staatsanwaltschaft beeinflusst hat?
Ignor: Ja – und zwar zu Recht. Grundsätzlich darf sich eine Staatsanwaltschaft natürlich nicht von der öffentlichen Meinung leiten lassen, wenn das Recht dagegen steht. Hier ist die Rechtslage aber nicht eindeutig. Verfassungsrechtliche Positionen hängen immer davon ab, welches Verständnis wir von Freiheit haben. Die Beurteilung der Kunst- und Meinungsfreiheit ist aber nicht nur eine Gelehrtensache, sondern man wird dafür auch auf die öffentliche Meinung und den Zeitgeist rekurrieren dürfen.
LTO: Ist es aus ihrer Sicht begrüßenswert, dass es in diesem Fall nicht zu einer Verurteilung nach dem Straftatbestand des § 103 StGB kommt, den Bundesjustizminister Heiko Maas eher heute als morgen abschaffen möchte?
Ignor: Die Abschaffung dieser Strafnorm ist eine politische Frage. Ich bin aber der Auffassung, dass die Mächtigen Kritik und Satire aushalten müssen.
LTO: Glauben Sie, dass die Einstellung des Verfahrens Auswirkungen auf das noch anstehende Zivilverfahren gegen Böhmermann hat, in dem es ja auch darum gehen wird, ob es sich um eine zulässige Satire handelt?
Ignor: Ich denke schon, dass es eine Bedeutung hat. Das Zivilgericht entscheidet natürlich unabhängig, aber es wird sich schon dafür interessieren, wie die Staatsanwaltschaft den Fall beurteilt hat. Ob es deren Auffassung folgen wird, ist eine andere Frage.
"Es gibt hier kein Richtig oder Falsch"
LTO: Präsident Erdogan will Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss einlegen. Wie schätzen Sie die Erfolgswahrscheinlichkeit ein?
Ignor: Nach meiner Erfahrung sind Beschwerden gegen Einstellungsverfügungen eher selten erfolgreich. Die Staatsanwaltschaft ist jedenfalls nach außen eine homogene Behörde und die Einstellung ist sicherlich mit den übergeordneten Stellen abgesprochen gewesen. Zudem ist vor der Einstellung wohl auch eine Benachrichtigung der Bundesregierung erfolgt.
LTO: Unabhängig von der Bewertung der Einstellungsbegründung: Hätten Sie die Signalwirkung begrüßt, welche die Entscheidung eines Gerichts, in letzter Konsequenz auch des Bundesverfassungsgerichts, über die Frage der Rechtmäßigkeit von Böhmermanns Handeln gehabt hätte?
Ignor: Als Verteidiger finde ich es gut, wenn Rechtsfragen nicht ohne Not auf dem Rücken des Beschuldigten in höhere Instanzen getragen werden. Schließlich ist ein Strafverfahren für die Person immer sehr belastend. Und so sehr auch ein Interesse an der Klärung der zugrunde liegenden Rechtsfragen bestehen mag, so glaube ich, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts uns nicht klüger gemacht hätte. Vermutlich hätte es seine bisherige Rechtsprechung wiederholt. In dieser Sache gibt es, so glaube ich, ohnehin kein Richtig oder Falsch.
Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor ist Strafverteidiger und Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, mittelalterliche und neuzeitliche Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Er ist zudem Vorsitzender des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Straf- und Strafprozessrecht.
Die Fragen stellte Maximilian Amos.
Maximilian Amos, Strafrechtsprofessor zur Causa Böhmermann: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20824 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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