Die StA Mainz hat das Verfahren gegen Jan Böhmermann eingestellt. Kein Vorsatz, so die Begründung, Präsident Erdogan hat bereits Beschwerde eingelegt. Hat die Behörde es sich zu einfach gemacht? Ja, meint Alexander Ignor im Interview.
LTO: Herr Professor Ignor, die Staatsanwaltschaft Mainz hat das Verfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes eingestellt. In ihrer Begründung stützt sie sich darauf, dass ein Vorsatz nicht nachzuweisen sei. Haben Sie die Ausführungen zum Vorsatz überzeugt?
Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor: Ich finde, sie sind Ausdruck einer Verlegenheit, in der sich die Staatsanwaltschaft gesehen hat. Es geht ja im Kern um die Rechtsfrage, ob die für sich genommen als Schmähung zu verstehenden Äußerungen von Herrn Böhmermann eine strafbare Beleidigung darstellen oder von der Kunst- oder Meinungsfreiheit gedeckt sind. Dies kommt ja auch im ersten Teil der Begründung zum Ausdruck.
Die Staatsanwaltschaft hat aber offensichtlich nicht gewagt, das zu entscheiden. Dass Böhmermann seine Äußerungen nicht ernst gemeint hat, ist für sich genommen noch nicht entlastend. Es kann nur darum gehen, ob er sein Handeln für gerechtfertigt hielt. Wenn er sich gerechtfertigt glaubte, ist dies aber keine Frage des Vorsatzes, sondern der Schuld, weil dann ein Verbotsirrtum vorliegen könnte. Dann hätte man sich allerdings wieder mit der Frage der Rechtfertigung seiner satirischen Äußerungen auseinandersetzen müssen. Insofern überzeugt mich die Begründung nicht.
LTO: Die Staatsanwaltschaft argumentiert, Böhmermann dürfte aufgrund der offensichtlich mangelnden Ernsthaftigkeit seines Gedichts nicht davon ausgegangen sein, dass es als ernst gemeinte Herabwürdigung verstanden würde. Ist nach dieser Ansicht eine strafbare Beleidigung im satirischen Kontext überhaupt denkbar?
Ignor: Nein, denn dann könnte sich jeder, der einen anderen beleidigt, damit herausreden, dass es nicht ernst zu nehmen sei. Dies lässt aber die Wahrnehmung des Betroffenen außer Betracht. Ein Witz kann schließlich auch beleidigend sein. Im Übrigen wird man auch dem Satiriker nicht gerecht, wenn man ihm einräumt, es ohnehin nicht ernst gemeint zu haben. Denn Satire ist nicht einfach Quatsch, sondern immer auch eine Form der geistigen Auseinandersetzung. Die bloße satirische Einkleidung enthebt also nicht per se der strafbaren Beleidigung.
"Die Staatsanwaltschaft hätte differenzierter argumentieren müssen"
LTO: Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es, zu prüfen, ob nach den Ermittlungen genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht. Folgen sie der Auffassung, dass eine Verurteilung derart unwahrscheinlich gewesen wäre, oder hat die Staatsanwaltschaft ihren Beurteilungsspielraum hier überschritten?
Ignor: Im Ergebnis nicht, nur die Begründung der fehlenden Ernstlichkeit überzeugt mich nicht. Ich hätte entweder die Rechtsfrage entschieden oder Herrn Böhmermann einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zugutegehalten. Es lässt sich sowohl die Auffassung vertreten, dass es sich um zulässige Satire handelt, als auch, dass es eine strafbare Beleidigung ist. Angesichts nicht eindeutiger Rechtsprechung durfte er sein Verhalten somit als zulässig einordnen.
LTO: Hat die Staatsanwaltschaft, indem sie auf den Vorsatz abstellte, also nur den einfachsten Weg gewählt?
Ignor: Ich habe den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft sich in der Frage nicht positionieren wollte und deshalb auf den Vorsatz ausgewichen ist. Sie hat es sich damit einfacher gemacht. Aus meiner Sicht hätte sie rechtlich differenzierter argumentieren müssen.
LTO: Der Begründung ist gleichwohl zu entnehmen, dass man in Böhmermanns Gedicht tendenziell keine strafbare Schmähung erkennen kann. Teilen Sie die vorgebrachten Zweifel?
Ignor: Ich halte beide Auffassungen für vertretbar. Persönlich neige ich im Zweifel eher der Kunst- und Meinungsfreiheit zu.
Maximilian Amos, Strafrechtsprofessor zur Causa Böhmermann: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20824 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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