BGH zur Haftung für Schäden am Nachbarhaus: Gefähr­dungs­haf­tung zwi­schen Nach­barn

Ein Grundstückseigentümer, der einen Handwerker mit einer Reparatur beauftragt, haftet für Schäden, die dieser am Nachbargebäude verursacht, entschied der BGH. Das führt zu einer Gefährdungshaftung zwischen Nachbarn, meint Herbert Grziwotz.

Die – inzwischen verstorbenen - Eltern der beklagten Grundstückseigentümer beauftragten einen Dachdeckergesellen damit, ihr Hausdach zu reparieren. Obwohl er keinen Schweißerlaubnisschein hatte, führte der Geselle Schweißarbeiten an der Dachpappe im Heißklebeverfahren mit einem flüssiggasbetriebenen Aufschweißbrenner durch.

Unter den aufgeschweißten Bahnen entstand ein Glutnest. Denn der Handwerker hatte die brennbaren Bauteile nicht, wie es erforderlich wäre, entfernt, bevor er mit den Arbeiten im Heißklebeverfahren begann. Er hätte mit einer Klopfprobe oder durch Eintreiben eines Nagels in die Wand erkennen können - und müssen -, dass an der zu bearbeitenden Stelle keine massive Steinwand als Anschlusswand zum Nachbarhaus vorhanden war. Es kam zu einem Brand, das reparierte Haus brannte vollständig nieder. Durch den Brand und die Löscharbeiten wurde auch das unmittelbar angebaute Nachbarhaus erheblich beschädigt.

Der Dachdecker hat zwischenzeitlich Insolvenz angemeldet. Die Versicherung der Nachbarin verlangt den von ihr erstatteten Schaden in Höhe von 97.801,29 Euro samt Prozesszinsen und die Kosten der Rechtsverfolgung von den Erben der Grundstückseigentümer, die den Handwerker beauftragt hatten. LG und OLG haben die Klage abgewiesen.

Versicherer bekommt vor dem BGH recht

Beim Bundesgerichtshof (BGH) hat die Versicherungsgesellschaft Erfolg (Urt. v. 09.02.2018*, Az. V ZR 311/16). Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in Betracht, wenn von einem Grundstück im Rahmen einer privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf das Nachbargrundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen. Voraussetzung ist, dass der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden.

Verneint wurde dies zwar für einen Brandschaden wegen "Abdriftens" einer verspäteten Silvesterrakete (Urt. v. 18.9.2009; Az.: V ZR 75/08). Zu den Einwirkungen, für die derartige Ansprüche grundsätzlich bejaht werden, zählen jedoch Grobimmissionen, z.B. ein Feuer, das übergreift, sowie Schäden durch Rauch, Ruß, Brand und Löschwasser. Dies gilt auch für herunterfallendes Laub von Bäumen, die den landesrechtlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhalten, deren Beseitigung oder Zurückschneiden jedoch nicht mehr verlangt werden kann, weil die dafür im Nachbarrecht vorgeschriebene Ausschlussfrist abgelaufen ist (Urt. v. 27.10.2017, Az. V ZR 8/17).

Haftung, obwohl ein Handwerker beauftragt war

Bei dem nachbarrechtlichen Entschädigungsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB handelt es sich um einen aus dem Grundstückseigentum abgeleiteten Anspruch. Es bedarf deshalb eines Grundstücksbezugs auch für die Beurteilung der Frage, ob der betroffene Nachbar eine Entschädigung verlangen kann.

Nicht in den Anwendungsbereich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs fallen störende Verhaltensweisen, die zwar auf dem Grundstück stattfinden, durch die jedoch die spezifische Beziehung der Grundstücksnachbarn zueinander nicht berührt wird. Beispiele sind die Brandstiftung durch einen Dritten, aber auch die Silvesterrakete, die auch von einem anderen Grundstück hätte abgeschossen werden können. Der Zusammenhang kann sich jedoch aus einem gefahrenträchtigen Zustand des Grundstücks (z.B. Lagerung brennbarer Materialien) oder einer Nutzung durch den Eigentümer bzw. mit seiner Zustimmung (z.B. Lagerfeuer) ergeben.

Beauftragt der Grundstückseigentümer einen Handwerker, dann stellt sich die Frage, ob seine Tätigkeit einem Handeln gleichzustellen ist, das nur aus Anlass des Aufenthalts auf dem Grundstück vorgenommen wird, oder ob der Eigentümer trotz sorgfältiger Auswahl dem Nachbarn für einen Schaden haftet, den der Handwerker schuldhaft verursacht. Dies bejaht der BGH mit dem Argument, dass sich die Störung dem Verantwortungs- und Einflussbereich der Hauseigentümer zurechnen lässt. Sie haben die Dacharbeiten veranlasst; sie kamen auch ihnen zugute.

Im Gesetz nicht vorgesehene Gefährdungshaftung

Damit führt der nachbarrechtliche Entschädigungsanspruch zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Art Gefährdungshaftung für Schäden in nachbarrechtlichen Verhältnissen. Ähnlich wie im Straßenverkehr, wo eine Versicherungspflicht besteht, sollte sich der Eigentümer vom Handwerker eine diesbezügliche Versicherung nachweisen lassen oder sich selbst entsprechend versichern. Nicht nur die klagende Versicherungsgesellschaft wird sich somit über das Urteil freuen.

Nachdem der BGH eine Haftung des Grundstückseigentümers bei Beauftragung eines Handwerkers bejaht, besteht erst recht eine Haftung, wenn der Eigentümer selbst mit dem Schweißgerät in seiner Freizeit zugange ist. Gleiches gilt, wenn er einen Schwarzarbeiter beschäftigt, der nicht über die erforderliche Qualifikation verfügt. In diesen Fällen greift bereits die deliktische Haftung ein. Zusätzlich kann ein nachbarrechtlicher Entschädigungsanspruch im Hinblick auf seine weniger strengen Voraussetzungen zu bejahen sein.

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.

* falsche Datumsangabe (09.02.2017) korrigiert am 14.02.2018, 11:13 (LTO-Redaktion)

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, BGH zur Haftung für Schäden am Nachbarhaus: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26975 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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