2/2: Eltern und Kinder grundsätzlich ein Leben lang zusammengeschweißt
Diese strenge Linie gründet auf der Annahme eines prinzipiell lebenslangen Solidaritätsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern, welches für beide Seiten eine besondere Verantwortung mit sich bringt und sie in einer Art Risikogemeinschaft zusammenschweißt. Lediglich tätliche Angriffe, ständige grobe Beleidigungen und Bedrohungen, vorsätzliche Kränkungen, falsche Anschuldigungen und das Verschweigen von eigenen Einkünften können einen Ausschluss des Unterhaltsanspruchs wegen schwerer Verfehlungen rechtfertigen (Az. XII ZB 607/12).
Gleiches gilt, wenn Eltern ihr Kind im Kleinkindalter bei den Großeltern zurückgelassen und sich in der Folgezeit nicht mehr um dieses gekümmert haben (BGH, Urt. v. 19.05.2004, Az. XII ZR 304/02). Allerdings muss das Verhalten vorsätzlich sein. Es scheidet aus, wenn es krankheitsbedingt ist (BGH, Urt. v. 15.09.2010, Az. XII ZR 148/09).
Eine weitere Ausnahme regelt zudem das Sozialhilferecht, namentlich § 94 Sozialgesetzbuch (SGB) XII. Danach findet der eigentlich in § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vorgesehene Forderungsübergang auf die Sozialämter nicht statt, wenn ein Fall der unbilligen Härte vorliegt. Ein solcher ist etwa dann gegeben, wenn die Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen für ihn und seine übrigen Familienmitglieder zu einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung führen würde.
Schließlich gilt eine Heranziehung auch dann als unbillig, wenn der Unterhaltspflichtige den Sozialhilfeempfänger bereits vor Eintritt der Sozialhilfe über das Maß einer zumutbaren Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut oder gepflegt hat. Der Normalfall ist das alles jedoch nicht. Wenn der Verpflichtete lediglich seinen Lebensstil stark einschränken muss, um für die Pflegekosten der Eltern aufzukommen, so befreit ihn das von seiner Zahlungspflicht keineswegs.
Auch Vermögensstamm muss angegriffen werden
Im Regelfall ist eine Zahlungspflicht des Kindes also zu bejahen. In einem zweiten Schritt stellt sich dann die Frage nach deren Ausmaß, das von der Leistungsfähigkeit des Kindes abhängt. Maßgebend ist dafür zunächst sein Einkommen. Bei einem Kind, das in einem Eigenheim wohnt, muss zum Einkommen noch die ersparte Miete hinzugerechnet werden. Abgezogen werden vor allem vorrangige Unterhaltspflichten, zum Beispiel gegenüber Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnern und Kindern. Auch Aufwendungen, die für Besuche der Eltern entstehen, mindern das einzusetzende Einkommen.
Unterhaltspflichtige müssen grundsätzlich auch den Stamm ihres Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen; ausgenommen ist solches Vermögen, dessen der Unterhaltspflichtige zur Erzielung von Einkünften bedarf, zum Beispiel Betriebsvermögen. Auch Leistungen für die eigene, angemessene Altersversorgung sind mit Blick darauf zu berücksichtigen, dass die primäre Altersvorsorge in Form der Rente in Zukunft nicht mehr ausreichen wird.
Hierzu erkennt die Rechtsprechung bisher eine Höhe von fünf Prozent des Jahresbruttoeinkommens des Unterhaltspflichtigen als abzugsfähig an. Ein Notgroschen in Anlehnung an das Schonvermögen, von dessen Verwertung die Gewährung von staatlichen Leistungen nach § 98 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII nicht abhängig gemacht wird, ist ebenfalls anzuerkennen. Nach einem Beschluss des BGH vom 7. August 2013 (Az. XII ZB 269/12) bleibt selbstgenutztes Immobilieneigentum im Rahmen der Vermögensbewertung grundsätzlich unberücksichtigt, jedoch nicht insgesamt. Es ist in das einsatzpflichtige Vermögen einzubeziehen, wenn der Wert oberhalb des den jeweiligen Verhältnissen des Unterhaltsschuldners angemessenen Wertes liegt.
Die Verpflichtung zur Leistung von Elternunterhalt spielte lange Jahre keine Rolle; noch 1992 schlug der damals 59. Deutsche Juristentag eine Abschaffung des Instituts vor. Das dürfte heute angesichts leerer öffentlicher Kassen keine Option mehr sein. Im Gegenteil nimmt die Bedeutung des Elternunterhalts durch die demographische Entwicklung und das Sinken der Renteneinkommen immer weiter zu. Allerdings bleibt die Frage, wieso es die Politik in Deutschland nicht fertig bringt, auch für den Normalverdiener bezahlbare Pflegeheimplätze zu schaffen.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel und Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zum Familienrecht.
Herbert Grziwotz, Keine Verwirkung von Elternunterhalt: . In: Legal Tribune Online, 12.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10975 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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