Mit Art. 14 GG wollte der BGH Minderheitsaktionäre vor dem Rückzug einer Aktiengesellschaft von der Börse schützen. Das BVerfG erteilte diesem Gedanken eine Absage. Nun macht das Zivilgericht eine Kehrtwende, die nicht nötig gewesen wäre, und verweist Investoren auf den aufsichtsrechtlichen Schutz durch die Börsenordnung. Keine große Hilfe, meint Alexander O'Connolly.
Seit dem Jahr 2002 galt es als höchstrichterlich geklärt, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft nicht die Kompetenz hat, den vollständigen Rückzug von der Börse (Delisting) zu beschließen. Vielmehr musste diese Frage der Hauptversammlung, also den Aktionären, vorgelegt werden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) maß damals der Verkehrsfähigkeit der Aktien Eigentumscharakter bei, da Aktionäre über den Handel an der Börse Wertsteigerungen kurzfristig besser realisieren können. Die Karlsruher Richter forderten zudem eine volle Kompensation für Minderheitsaktionäre, da ihnen durch das Delisting die Möglichkeit genommen werde, den Wert ihrer Aktien jederzeit durch eine Veräußerung zu realisieren. Kompensiert werden sollten die Aktionäre durch ein Kaufangebot der Gesellschaft oder des Großaktionärs für die Aktien.
BVerfG: Delisting berührt Eigentumsfreiheit nicht
Zehn Jahre später lehnte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Eigentumsschutz für Aktionäre klar ab (Urt. v. 11.07.2012, Az. 1 BvR 3142/07 und 1569/08). Der Widerruf der Börsenzulassung von Aktien auf Antrag des Emittenten berühre den Schutzbereich von Art. 14 Grundgesetz (GG) nicht. Denn mit dem Delisting verliere der Aktionär nicht seine Rechtsposition, vielmehr bleibe die Substanz seiner Aktie unbeeinträchtigt.
In der Börsenzulassung und der damit verbundenen faktisch verbesserten Verkehrsfähigkeit der Aktien sieht das BVerfG nur einen wertbildenden Faktor, der keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Die Rechtsprechung des BGH sei daher unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Rechtsfortbildung zwar verfassungsrechtlich zulässig, nicht aber geboten.
BGH: Nur noch aufsichtsrechtlicher Schutz der Aktionäre
Derart auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen hingewiesen, hat der BGH nun eine vollständige Kehrtwende vollzogen (Beschl. v. 08.10.2013, Az. II ZB 26/12). Zwar musste das höchste Zivilgericht nur über die Frage des Downlisting, also nicht über einen vollständigen Rückzug von der Börse, sondern nur über den Wechsel von einer regulierten Börse in den börsenregulierten Freiverkehr entscheiden. Allerdings nahm es den Fall zum Anlass, mehrere Aspekte zu klären:
Zum einen sei das Delisting eine bloße Geschäftsführung und könne damit vom Vorstand (gegebenenfalls gemeinsam mit dem Aufsichtsrat) beschlossen werden. Mangels Eingriff in ein Grundrecht besteht kein Bedürfnis für eine Entscheidung durch die Hauptversammlung.
Zum anderen sei beim regulären Delisting ein Barabfindungsangebot an die Minderheitsaktionäre nicht mehr erforderlich. Der Schutz der Minderheitsaktionäre sei ausschließlich über aufsichtsrechtliche Vorschriften zu gewährleisten. Da der Gesetzgeber den Anlegerschutz allein öffentlich-rechtlich ausgestaltet habe, sei eine Ergänzung durch einen zivilrechtlichen Anspruch nicht schon deshalb veranlasst, weil ein solcher individuell durchsetzbarer Anspruch für sinnvoll oder effektiver gehalten werde.
Kursverfall nach Ankündigung des Delisting? Bisher nicht belegt.
Wer eine Investition plant, muss in Zukunft neben wirtschaftlichen Überlegungen auch berücksichtigen, dass ihnen der Vorstand einer Aktiengesellschaft den Markt für den Handel mit ihren Aktien ohne weiteres entziehen kann. Das gilt vor allem dann, wenn ein Großaktionär die Gesellschaft dominiert.
Potentielle Aktionäre sollten auch die Börsenordnungen prüfen. Häufig schützen diese Regelwerke Anleger nämlich und sehen etwa für den Fall, dass eine Aktie nicht mehr an einer Börse gehandelt wird, vor, dass nach der Bekanntgabe des Widerrufs den Anlegern ausreichend Zeit verbleiben muss, die betroffenen Wertpapiere im regulierten Markt zu veräußern.
Wenn es aber zutrifft, dass allein die Ankündigung des Delisting schon zu einem Kursverfall führt, wovon der BGH im Jahr 2002 überzeugt war, ohne dass dies bisher empirisch belegt ist, dann ist dieser aufsichtsrechtliche Schutzmechanismus unzureichend.
Der Autor Alexander O'Connolly ist Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare in Essen. Dort ist er vor allem in der gesellschaftsrechtlichen Beratung von Unternehmen sowie im Rahmen von Unternehmenstransaktionen tätig.
BGH reagiert auf BVerfG-Urteil zum Delisting: . In: Legal Tribune Online, 13.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10031 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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