Im Wirecard-Prozess hat der angeklagte frühere Chef der Buchhaltung am Donnerstag seine Erklärung fortgesetzt. Vom Richter kamen teils sehr kritische Nachfragen.
Im Wirecard-Prozess vor dem Landgericht München I sieht sich der angeklagte Chef der Buchhaltung, Stephan von Erffa, am zweiten Tag seiner Aussage zunehmend kritischen Nachfragen des Vorsitzenden Richters Markus Födisch gegenüber. "Die Frage ist, warum Sie hier nichts erkennen", kommentierte Födisch die Erklärungen von Erffas zu Ungereimtheiten bei Kontosalden im Jahr 2017. Damals hatten nach dessen Darstellung zunächst 35 Millionen Euro gefehlt, die dann später in einer neuen Bestätigung aber doch vorhanden waren. Nach Einschätzung des Richters hätte von Erffa dadurch Verdacht schöpfen müssen.
Von Erffa sagte am 139. Verhandlungstag, er sei einfach von einem Fehler wegen einer Rückbuchung ausgegangen, der dann korrigiert worden sei. Das sei für ihn eine runde Geschichte gewesen. Er folgte damit auch am zweiten Tag seiner Aussage der Linie, die Verantwortung von sich zu schieben. Schon am ersten Tag hatte er betont, ja selbst kein Buchhalter zu sein.
"Sie hätten die Konten anschauen müssen"
Bei Födisch stieß die Darstellung offensichtlich auf Skepsis. Es sei schließlich um 35 Millionen gegangen, nicht nur um eine falsche Kreditkartenabrechnung. "Eine Unrichtigkeit von 35 Millionen - da würde ich doch mal nachfragen, was ist da passiert", sagte er. Die Buchhaltung basiere auf E-Mails und ein paar Saldenbestätigungen, die mehrmals falsch gewesen seien.
"Sie hätten die Konten anschauen müssen", betonte er. Gerade, dass angeblich eine Person mehrmals Fehler gemacht habe, hätte von Erffa aufstoßen müssen, sagte der Richter. Entweder fehle das Geld, oder es seien "absolute Dilettanten am Werk, die einen Kontoauszug nicht richtig abschreiben können".
Die Kammer hatte von Erffa vor seiner Aussage im Fall eines Geständnisses einen Deal mit sechs bis acht Jahren Haft in Aussicht gestellt. Als solches Geständnis sind von Erffas bisherige Ausführungen allerdings kaum zu bewerten.
1,9 Milliarden Euro waren nicht mehr auffindbar
Der Zahlungsdienstleister Wirecard war im Juni 2020 in die Insolvenz gegangen, weil auf Treuhandkonten verbuchte 1,9 Milliarden Euro nicht mehr auffindbar waren. Die Anklage wirft den drei Angeklagten sowie dem abgetauchten früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek und weiteren Komplizen vor, Umsätze in Milliardenhöhe schlicht erfunden zu haben, um den eigentlich defizitären Konzern über Wasser zu halten.
In dem seit Dezember 2022 geführten Prozess hatte von Erffa bis zum Mittwoch geschwiegen. Ex-Wirecard-Chef Markus Braun bestreitet alle Vorwürfe, der geständige Ex-Manager Oliver Bellenhaus tritt als Kronzeuge auf und beschuldigt die beiden Mitangeklagten.
dpa/sts/LTO-Redaktion
Gericht zweifelt an Schilderungen im Wirecard-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55032 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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