BGH zu berufsrechtlichem Aufsichtsverfahren: Schwei­gepf­licht gilt auch ohne Vor­be­halt

von Dr. Christian Deckenbrock

11.03.2016

2/2: Keine gesetzliche Ermächtigung zur Weitergabe

Insoweit stellt der Senat überzeugend fest, dass der Beschwerdeführer in berufsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht Beteiligter ist und grundsätzlich keinerlei Verfahrensrechte genießt. Zur Erhöhung der Transparenz von Beschwerdeverfahren hat der Gesetzgeber aber 2009 den Vorstand der RAK in § 73 Abs. 3 BRAO dazu verpflichtet, den Beschwerdeführer von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Diese Mitteilung hat nach Abschluss des Verfahrens einschließlich des Einspruchsverfahrens zu erfolgen und ist mit einer kurzen Darstellung der wesentlichen Gründe für die Entscheidung zu versehen. Zugleich hat der Gesetzgeber jedoch klargestellt, dass auch insoweit die aus § 76 BRAO folgende Pflicht zur Verschwiegenheit unberührt bleibt. Insbesondere dürfen Tatsachen, die dem Beschwerdeführer unbekannt sind, diesem nicht mitgeteilt werden.

Für die Weiterleitung von Stellungnahmen des Rechtsanwalts im laufenden Beschwerdeverfahren fehlt es daher von vornherein an jeglicher gesetzlichen Ermächtigung. Hierdurch wird nach Ansicht des Senats auch die Aufklärung des Sachverhalts nicht unangemessen erschwert. Der zuständigen Kammer sei es möglich, "ohne Bezugnahme auf die Stellungnahme des Rechtsanwalts und in Gestalt einer reinen Auskunftsbitte" an den Beschwerdeführer oder einen sonstigen Dritten Fragen mit dem Ziel der Sachverhaltsaufklärung zu richten.

Eine Rechtfertigung für die Weiterleitung habe auch dann nicht bestanden, wenn sich die RAK Köln von der Münchener Kammer eine rechtliche Bewertung des Sachverhalts erhofft haben sollte. Eine solche rechtliche Würdigung des Verhaltens des betroffenen Anwalts sei ausschließlich dem zuständigen Kammervorstand vorbehalten.

Hohe Anforderungen an Entbindung von der Schweigepflicht

Eine Weiterleitung der Stellungnahmen an den Beschwerdeführer kam daher nur bei einer Einwilligung des betroffenen Rechtsanwalts in Betracht. Zwar muss eine solche Entbindung von der Schweigepflicht – anders als der Kläger beantragt hatte – nicht zwingend ausdrücklich, sondern kann auch konkludent erfolgen. Allerdings ist – wie der Anwaltssenat nun zu Recht betont – "ein restriktiver Umgang mit der Annahme einer konkludenten Zustimmung geboten." Die Verschwiegenheitspflicht des Kammervorstands sei auch deshalb weit zu verstehen, weil andernfalls der Rechtsanwalt Gefahr laufe, seinerseits die Verschwiegenheit, die er seinem Mandanten schulde (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch, § 43a Abs. 2 BRAO), zu verletzen. Dieses berechtigte Interesse Dritter gebiete es, die Anforderungen an eine Zustimmung zur Offenbarung von Tatsachen nicht zu gering anzusetzen.

Für den Streitfall bedeutete dies, dass das Schweigen des Anwalts auf die Ankündigung der Kammer, die Stellungnahme bei ausbleibendem Widerspruch an den Beschwerdeführer weiterzuleiten, nicht den notwendigen sicheren Schluss auf eine Zustimmung zulasse. Dass dem Schweigen grundsätzlich kein Erklärungsgehalt zu entnehmen ist, ist an sich keine große Neuigkeit. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Senat auch für Anwälte selbst keine anderen Maßstäbe anlegt. Ohne Bedeutung war es für das Gremium auch, dass mit der RAK München der Beschwerdeführer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts war, deren Vorstand seinerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Damit bekräftigt der Senat zugleich, dass das Erfordernis der Einwilligung auch gegenüber einer selbst an die Schweigepflicht gebundenen Person ernst zu nehmen ist.

Nachdem die Reichweite der Verschwiegenheitspflicht des Kammervorstands geklärt ist, bleibt abzuwarten, welches Schicksal das Aufsichtsverfahren nehmen wird: Es ist nun mit dem Makel der rechtswidrigen Verfahrensführung belastet. Die nächste Auseinandersetzung über die Frage, ob hieraus Verfahrenshindernisse oder zumindest Beweisverwertungsverbote entstehen, steht damit vor der Tür.

Der Autor Dr. Christian Deckenbrock ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Recht der freien Berufe und hier vor allem das anwaltliche Berufsrecht.

Zitiervorschlag

Christian Deckenbrock, BGH zu berufsrechtlichem Aufsichtsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18764 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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