Teilzeitkräfte bekommen Zuschläge erst ab Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten – oder? Der 8. Senat legte die Frage – anders als kürzlich der 6. – dem EuGH vor. Yvonne Dietzel erläutert den Fall.
Werden Teilzeitbeschäftigte diskriminiert, wenn ihnen nach tarifvertraglichen Regelungen ein Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten zu zahlen ist? Mit dieser Frage hat sich schon wieder das Bundesarbeitsgericht (BAG) beschäftigt (Beschl. v. 28.10.2021 Az. 8 AZR 370/20 (A)). In diesem Fall war der 8. Senat gefragt und der hat nun den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung gebeten. Erst kürzlich hatte der 6. Senat des BAG ohne vorzulegen entschieden, dass Teilzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst ein Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten zusteht (BAG, Urt. v. 15.10.2021, Az. 6 AZR 253/19).
In dem nun zugrundeliegenden Fall ist die Klägerin als Pflegekraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 % der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Haustarifvertrag Anwendung. Dieser sieht Überstundenzuschläge für Stunden vor, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden. Alternativ zur Auszahlung des Zuschlags sind entsprechende Zeitgutschriften im Arbeitszeitkonto möglich.
Weder das eine noch das andere hat die Klägerin erhalten, obwohl sie regelmäßig über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus gearbeitet hatte. Denn sie hatte die Vollzeitarbeitszeit nicht überschritten.
Klägerin will Zeitgutschrift und Entschädigung aus AGG
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage die Gewährung der Zuschläge als Zeitgutschrift ab der ersten geleisteten Mehrarbeitsstunde, denn die tarifliche Regelung verstoße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot für Teilzeitbeschäftigte nach § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) und sei unwirksam. Daneben fordert sie – anders als die bisherigen Klägerinnen in vergleichbaren Konstellationen – eine Entschädigung in Höhe eines Vierteljahresverdienstes gemäß § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), denn sie werde durch die tarifliche Regelung auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert. In dem Betrieb sind 36 Mitarbeitende beschäftigt, davon sind 27 Frauen und neun Männer. Von den Frauen arbeiten 20 in Teilzeit und drei in Vollzeit. vier Frauen befinden sich in Elternzeit.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hatte der Klägerin die Zuschläge in Form von Zeitgutschriften zugesprochen (LAG Hessen, Urt. v. 19.12.2019, Az. 5 Sa 436/19). Die Zahlung einer Entschädigung lehnte das LAG ab. Eine entsprechende Verurteilung sei unangemessen. Mit ihrer Revision verfolgte die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Ungleichbehandlung oder keine…?
Der 8. Senat des BAG hat nun dem EuGH mehrere sich in diesem Zusammenhang stellende Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vorgelegt und den Rechtsstreit bis zu deren Klärung ausgesetzt.
Der Senat möchte zum einen wissen, ob eine Ungleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten im Sinne von Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG vorliegt. Der Grund: Die tarifvertragliche Regelung sieht die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vor, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinaus gearbeitet werden.
Mit seiner Vorlagefrage geht der 8. Senat den gleichen Weg, den schon der 10. Senat des BAG im Zusammenhang mit der Mehrflugdienststundenvergütung für das Cockpitpersonal der Lufthansa beschritten hat. In einem noch anhängigen Vorabentscheidungsersuchen hat dieser bereits den EuGH um Klärung gebeten, ob mit einer derartigen tariflichen Regelungssystematik eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Sinne des Unionsrechts verbunden ist (Beschl. v. 11.11.2020, Az. 10 AZR 185/20 (A)).
Der 6. Senat des BAG hatte hingegen entschieden, dass die Differenzierung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Bereich der kommunalen Krankenhäuser (TVöD-K) zwischen den Gruppen der Voll- und der Teilzeitbeschäftigten wirksam sei, weil für sie völlig unterschiedliche Regelungssysteme in Bezug auf das Entstehen und den Ausgleich von Mehrarbeit und Überstunden gelten würden.
…und wäre die gerechtfertigt?
Ebenso wie der 10. Senat des BAG stellt der 8. Senat dem EuGH in diesem Zusammenhang die weitere Frage, ob eine etwaige Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sein kann. Er erkennt an, dass mit der tariflichen Regelung zu den Überstundenzuschlägen auf der einen Seite der Ausgleich einer Mehrbelastung bezweckt sei, die bei Mehrarbeit entsteht. Auf der anderen Seite werde allerdings auch das Ziel verfolgt, eine ungünstigere Behandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern, weil Zuschläge nur für Überstunden geschuldet sind, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinaus geleistet werden.
Insoweit wirft der Beschluss also keine wesentlichen Neuerungen auf, sondern der 8. Senat greift letztlich nur das auf, was der 10. Senat bereits angestoßen hat.
Mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts?
Da die Klägerin auch eine Entschädigung wegen mittelbarer Geschlechterdiskriminierung fordert, bittet der 8. Senat den EuGH mit seinem Vorabentscheidungsersuchen nun jedoch auch um Klärung eines weiteren Aspektes. Er möchte nämlich wissen, ob die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten (d.h. von Männern und Frauen) im Sinne von Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG bewirkt.
Dabei besteht vorliegend die Besonderheit, dass in dem relevanten Betrieb insgesamt mehr Frauen als Männer beschäftigt und in der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten jedenfalls nicht signifikant mehr Männer als Frauen tätig sind. Die Regelung zu den
Überstundenzuschlägen betrifft also in der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zur Gruppe der Vollzeitbeschäftigten nicht signifikant mehr Frauen als Männer. Daher will der 8. Senat vom EuGH auch wissen, auf welche Betrachtung es in diesem Fall ankommt. Muss man einen Vergleich zwischen den Gruppen der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten anstellen oder genügt es bereits, dass in der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten mehr Frauen als Männer betroffen sind?
Schließlich will der 8. Senat auch im Zusammenhang mit der vermeintlichen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wissen, ob diese durch die Zielsetzung der tarifvertraglichen Regelung zu den Überstundenzuschlägen sachlich gerechtfertigt sein kann – wenn sie denn überhaupt vorliegt.
Bisher keine einheitliche Linie
Die tariflichen Zuschlagsregelungen für Überstunden beschäftigen die Rechtsprechung über alle Branchen hinweg. Eine einheitliche Linie hat das BAG bisher nicht gefunden. Dem mutigen Vorstoß des 6. Senates, der dem im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Tarifautonomie zugutekam, ist der 8. Senat bedauernswerter Weise nicht gefolgt.
Vermutlich hätte es auch wenig genutzt, denn letztlich hat der 10. Senat den Stein bereits ins Rollen gebracht. Welche Auswirkungen die EuGH-Rechtsprechung auf die Rechtsprechung und die Tariflandschaft haben wird, bleibt abzuwarten.
Yvonne Dietzel, LL.M. (UWA, Perth) ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und assoziierte Partnerin im Dresdner Büro der Kanzlei Noerr. Sie berät deutsche und internationale Unternehmen umfassend zu Themen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.
Weiteres Vorabentscheidungsersuchen des BAG: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46538 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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