2/2: Mehrheitssicherung wichtiger als Minderheitenschutz
Schon das Arbeitsgericht (ArbG) hat den Antrag abgewiesen, das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen-Anhalt hat sich dieser Entscheidung angeschlossen. Das in § 15 Abs. 2 WO BetrVG angeordnete d'Hondtsche Höchstzahlverfahren verstoße nicht gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG. Weil alle gängigen Verfahren Abweichungen vom sog. "Idealanspruch" haben, habe der Verordnungsgeber einen "Gestaltungsspielraum" bei der Auswahl. Im Übrigen, so die spannende These des LAG, ginge es bei der Betriebsratswahl nicht um eine streng spiegelbildliche Repräsentation, sondern (nur) darum, dass sich die Belegschaft "wiederfindet".
Schließlich, so deutet das LAG an, hätte eine Verfassungswidrigkeit von § 15 WO BetrVG gravierende Folgen: Da eine verfassungskonforme Auslegung der Norm nicht möglich sei, könne eine Betriebsratswahl bis zur Neufassung durch den Verordnungsgeber nicht durchgeführt werden. Die allgemeinen Betriebsratswahlen 2018 wären also womöglich undurchführbar gewesen.
Diese Sorgen um die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung mag das BAG mit im Blick gehabt haben, als es den Antrag nun – wie bereits zuvor das LAG – abgewiesen hat. Der Verordnungsgeber habe einen Gestaltungsspielraum bei der Auswahl der Berechnungsmethode. Im Übrigen fördere das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren die Mehrheitssicherung, was ein anzuerkennendes Ziel sei, befanden die Richter in Erfurt.
Herausforderungen bei der Betriebsratswahl 2018
Für die Praxis ist der Beschluss des BAG zu begrüßen, da er die anstehenden Betriebsratswahlen 2018 von einem Damoklesschwert befreit. Gleichwohl sollten Arbeitgeber und auch Betriebsräte die Entscheidung zum Anlass nehmen, sich spätestens jetzt mit der anstehenden Betriebsratswahl 2018 zu beschäftigen. Diese findet turnusgemäß im Zeitraum vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018 statt.
Auch wenn durch den Beschluss des BAG eine Baustelle beseitigt wurde, so verbleiben genug ungeklärte Spannungsfelder. Dies beginnt schon beim Rechtsschutz in der Betriebsratswahl: unter welchen Voraussetzungen ist eine einstweilige Verfügung auf Abbruch einer Wahl zulässig – und kann es umgekehrt auch eine einstweilige Verfügung des Wahlvorstandes geben? Wie können Arbeitgeber oder auch die Gewerkschaft reagieren, wenn der Wahlvorstand inaktiv bleibt oder bewusst bzw. unbewusst Fehler macht?
Aber auch in formeller und materieller Hinsicht gibt es Fragen: ist eine zeitgemäße Online-Betriebsratswahl rechtlich zulässig und müssen Leiharbeitnehmer berücksichtigt werden? Wann darf der Wahlvorstand Kandidaten streichen und wie ist die Wahlurne richtig zu versiegeln?
Letztlich bleibt die Betriebsratswahl ein verkopftes und überkompliziertes System. Wer etwa die erstmalige Wahl eines Wahlvorstandes durch die Belegschaft im produzierenden Gewerbe miterleben durfte, merkt, dass das BetrVG und die WO am Bedürfnis und der Lebenswirklichkeit in mittelgroßen Betrieben vorbeigehen. Hier wäre der Gesetzgeber am Zug, für die nötige Entbürokratisierung zu sorgen – im Sinne von Arbeitgeber und Belegschaft gleichermaßen.
Der Autor Stephan Vielmeier ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Noerr LLP in Hamburg. Er berät Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere bei Auseinandersetzungen mit ihren Betriebsräten.
Sitzverteilung bei der Betriebsratswahl: . In: Legal Tribune Online, 27.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25681 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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