Beim 51. Verkehrsgerichtstag hagelte es Kritik an Ramsauers geplanter Reform des Punktesystems. Blitzgeräte wollen die Experten zukünftig nur noch dort, wo sie wirklich die Sicherheit im Straßenverkehr verbessern, um aggressive Fahrer kümmere man sich nicht genug. Dieses harsche Urteil sollte man auch nicht überbewerten, beruhigt der Präsident des Verkehrsgerichtstags, Kay Nehm, im LTO-Interview.
LTO: Der 51. Verkehrsgerichtstag hat beinahe einhellig den Gesetzesvorschlag der Bundesregierung zur Punktereform vom Dezember 2012 abgelehnt. Der Entwurf von Peter Ramsauer sieht vor, dass es weniger Punkte für Verstöße gibt und solche Vergehen, welche die Verkehrssicherheit nicht gefährden, nicht mehr mit Punkten geahndet werden. Ist Ihnen das zu lasch?
Nehm: Es geht nicht um zu lasch oder zu hart. Das Ziel der Reform lautet: Einfacher, gerechter und transparenter. Deshalb müssen Erziehungsgedanke, Sanktionsschwere und Registerfolgen miteinander in Einklang stehen. Hier steckt der Teufel im Detail.
LTO: Die Fahrerlaubnis soll nach dem Willen von Ramsauer nun schon bei acht Punkten entzogen werden können, anstatt wie bislang bei Erreichen von 18 Punkten. Gleichzeitig soll es nicht mehr möglich sein, durch freiwillige Maßnahmen Punkte abzubauen. Was stört die Experten an diesem Vorschlag, der doch eine höhere Abschreckungswirkung erzielen könnte?
Nehm: Die Reduzierung auf acht Punkte steht im Zusammenhang mit der Änderung von Punktbewertung und Tilgung. Für einfache Verstöße soll es nur noch einen Punkt geben. Der wird auch dann nach zwei Jahren getilgt, wenn neue Punkte hinzugekommen sind.
Wie sich dies auf die Abschreckung auswirkt, ist schwer zu prognostizieren. Ich erwarte, dass eine transparente Gestaltung des Punktetachos mit seinen zwei-Punkte-Schritten von der Ermahnung zur Verwarnung ihre Wirkung nicht verfehlen wird.
Der Verkehrsgerichtstag fordert, die Möglichkeit des Punkteabbaus durch freiwillige Schulung beizubehalten. Ich halte eine erzieherische Einwirkung bei mittlerem Punktestand für sinnvoll. Allerdings dient die nachtägliche Streichung von Punkten nicht unbedingt der Klarheit des Registers.
"Das harsche Urteil des Verkehrsgerichtstages nicht überbewerten"
LTO: Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums betonte am Freitag nach der Veröffentlichung Ihrer Empfehlungen, dass diese zwar die Diskussion weitertragen würden, aber die Punktereform keineswegs gescheitert sei, zumal das parlamentarische Verfahren noch ganz am Anfang stehe. Wie geht es nun weiter? Wie viel Einfluss haben die Vorschläge des Verkehrsgerichtstags auf das laufende Gesetzgebungsverfahren?
Nehm: Man sollte das harsche Urteil des Verkehrsgerichtstages nicht überbewerten. Die Registerreform ist überfällig. Der ursprüngliche Entwurf des Ministers bot ein solides Fundament, auf dem sich aufbauen lässt. Der Verkehrsgerichtstag versteht sich als Berater, dessen Sachverstand selbstverständlich auch von unterschiedlichen Interessen geleitet wird.
Jetzt sind Parlament und Bundesrat gefordert, im Interesse der Verkehrssicherheit gemeinsam nach optimalen Lösungen zu suchen. Dabei werden unsere Empfehlungen die Diskussion befruchten.
"40 Prozent der Unfälle: Geschwindigkeitskontrollen sind notwendig"
LTO: Die Experten empfahlen am Freitag in Goslar auch, Geschwindigkeitsmessungen nur noch dort durchzuführen, wo sie der Sicherheit oder dem Schutz vor Lärm oder Luftverschmutzung dienen. Ist das Gefühl vieler Bürger, dass Blitzgeräte tatsächlich nicht der Verkehrssicherheit, sondern den Kassen der Kommunen dienen, also zutreffend?
Nehm: Der Eindruck ist in der Tat weit verbreitet, trifft jedoch in dieser Allgemeinheit nicht zu. Wenn 40 Prozent der Unfälle auf überhöhte Geschwindigkeit zurückgeführt werden, kann man die Notwendigkeit von Kontrollen nicht bezweifeln. Nur: Kontrollen sind ein Instrument der Pflichtenmahnung. Deren Wirkung hängt nicht zuletzt auch von der Akzeptanz bei den Autofahrern ab.
LTO: Wurde jemand mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt, ist es aus anwaltlicher Sicht der Klassiker, die Richtigkeit der Messung zu bestreiten. Aber wie hoch ist der Anteil falscher Messergebnisse wirklich?
Nehm: Zur Akzeptanz gehört auch das grundsätzliche Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Messungen. In der anwaltlichen Beratungspraxis haben sich Defizite herausgestellt, die man nicht verallgemeinern sollte. Geräte- und Bedienungsmängel sind vor allem bei knapper Überschreitung der Grenzwerte von Bedeutung. Hier ist es jedermanns Recht, die Resultate sachverständig überprüfen zu lassen.
LTO: Sie fordern nun umfassendere Informationen über die Messung für die Verteidiger. Woran hapert es derzeit?
Nehm: Bei so genannten standardisierten Messverfahren wäre es übertrieben, die Verfahrensakten mit sämtlichen technischen Details zu befrachten. Sachverständige Überprüfung erfordert jedoch Kenntnis der Fakten. Werden sie – sofern vorhanden – von der Verwaltung offengelegt oder vom Hersteller zur Verfügung gestellt, können Streitigkeiten und gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden. Die Aufklärung darf deshalb nicht durch die Zurückhaltung der Hersteller oder durch den Datenschutz behindert werden.
"Wer sich behindert fühlt, neigt zur Selbstjustiz"
LTO: Eine Arbeitsgruppe unter den Verkehrsexperten hat sich mit Aggressivität im Straßenverkehr beschäftigt. Was genau definieren Sie als aggressives Verhalten im Straßenverkehr überhaupt?
Nehm: Von aggressivem Verhalten spricht man bei normabweichendem Verhalten, bei Gefährdung anderer und bei einem entsprechenden Handlungswillen.
LTO: Gibt es tatsächlich zunehmend aggressiv motivierte Verkehrssünder, liegen Ihnen diesbezüglich belastbare Zahlen vor?
Nehm: Nein, es fehlt eine entsprechende Rubrik in der Unfallstatistik. Innere Vorgänge entziehen sich der validen Bewertung, zumal immer die anderen aggressiv sind. Wer sich in seinem Fortkommen rechtswidrig und ohne dass der Kontrahent belangt wird, behindert fühlt, neigt zur Selbstjustiz. Das kann bis zu schweren Straftaten eskalieren.
LTO: Der Arbeitskreis schlägt vor, bei aggressiven Delikten nicht nur den einzelnen Vorfall in den Blick zu nehmen, sondern auch die Fahreignung insgesamt zu überprüfen, die Verwaltungsbehörden sollten dabei einheitlich entscheiden. Wie soll das aus Ihrer Sicht aussehen?
Nehm: Diese Empfehlung spiegelt die soeben angesprochene Problematik der Erfassung aggressiv motivierter Delikte. Sie muss durch einen Deliktskatalog unterstützt werden, der von den Verwaltungsbehörden zu erarbeiten ist. Wichtiger scheint mir die Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer zu mehr Gelassenheit.
LTO: Herr Nehm, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Kay Nehm ist ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und Generalbundesanwalt a.D. Er ist Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages e.V.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Mit Materialien von dpa.
Der Präsident des Verkehrsgerichtstags: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8047 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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