Weihnachtsglosse: Tanne macht weniger Ärger als Fichte

von Martin Rath

21.12.2014

2/2: Fichte über den Baum, den Staat und die Menschen

Auf einen Weihnachtsbaum überhaupt zu verzichten, kann indes auch keine Lösung sein, wie kein Geringerer als der große Kant-Schüler Johann Gottlieb Fichte in seiner 1797 erschienen Schrift "Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre. Zweiter Theil oder Angewandtes Naturrecht" nahelegt. In seiner Staatslehre führt Fichte zunächst aus, dass "die Menschheit … ein einziges organisiertes, und organisiertes Ganzes der Vernunft [ist]. Sie wurde getrennt in mehrere von einander unabhängige Glieder; schon die Naturveranstaltung des Staats hebt diese Unabhängigkeit vorläufig auf, und verschmelzt einzelne Mengen zu einem Ganzen, bis die Sittlichkeit das ganze Geschlecht in Eins umschaft."

Weil der Rechtsphilosoph fürchten musste, dass ihn mit diesen Worten niemand mehr versteht, erklärt er, dass sein Begriff der Menschheit zu verstehen sei der "eines organisirten Naturprodukts; etwa den, eines Baums. Man gebe jedem einzelnen Theile Bewußtseyn, und Wollen, so muß er, so gewiß er seine Selbsterhaltung will, die Erhaltung des Baums wollen, weil seine eigene Erhaltung nur unter dieser Bedingung möglich ist."

Kurz gesagt: Nach Fichte gleicht der einzelne Mensch im Verhältnis zum Staat dem Blatt eines Baumes, das sich um seiner Selbsterhaltung wünschen muss, die Gesamtpflanze am Leben zu halten. Entsprechend dem menschlichen Bewusstsein, Teil eines organischen Staatsganzen zu sein, würden auch die "Theile" eines beseelten Baums einander nur Gutes wünschen.

Zu Deutsch: Keine Nadel eines Weihnachtsbaums sollte wollen, dass es nadelt. Rechtsphilosophisch betrachtet darf der Weihnachtsbaum mithin als Symbol der Staatsorganisation gelten. Nicht unwichtig scheint dabei das Gefühl des Mitleids zu sein, wenn Nadeln fallen. Fichte wörtlich in seiner Staatslehre: "So nicht bei einem Sandhaufen, wo es jedem Theile gleichgültig seyn kann, daß der andere abgetrennt, zertreten, verstreuet werde."

Fichte, Tanne und Weihnachtsbaum in der Gesamtschau

Fördert die Fichte an sich schon Konflikte im engen Kreis der Familie oder bedarf es dazu erst ihrer erschreckenden Inszenierung in gleichsam militärischer Formation? Ist andererseits die Tanne schon hinreichend dadurch vom Verdacht der Konfliktgeneigtheit entlastet, dass im Düsseldorfer Fall erst die Rechtsfolgen der Tannenvernichtung strittig waren? Immerhin ist das Institut der WEG ja schon von seiner ganzen Rechtsnatur darauf angelegt, Menschen in Zwist zueinander zu setzten, verbindet es doch die hohe Verantwortung des Eigentümerstatus mit der räumlichen Bedrängtheit, die man auch in Mietverhältnissen zu ertragen hat. Die Mischung aus Fremdheit und Intimität mag dem Besuch entfernter Verwandter zur Weihnachtszeit wohl ähneln, aber so krude Analogien wie die zwischen einer WEG und einer Familie unterm Weihnachtsbaum würde ja niemand ziehen wollen.

Entsprechend der Präzisionsbedürfnisse einer "Gesamtschau" kann nach alledem festgehalten werden, dass die Gerichtsentscheidungen zu Fichten und Tannen keine eindeutige Entscheidung zulassen, ob man sich als Weihnachtsbaum die eine oder die andere Sorte Nadelbaum anschaffen sollte. Insgesamt scheinen Tannen aber weniger Rechtskonflikte nach sich zu ziehen.

Einen Weihnachtsbaum sollte man sich aber auf jeden Fall anschaffen. Schließlich hat der große deutsche Philosoph Fichte den Baum in seiner Staatsrechtslehre, § 17, Vom Staatsbürgervertrage, zum Symbol eines "organisierten Ganzen der Vernunft" erklärt. Zugegeben, in Fichtes Bild ging es nicht um Weihnachtsbäume, sondern um den Baum als Symbol für die Integration des Menschen in den Staat. Dennoch taugt der Weihnachtsbaum als Schmuckstück für das sogenanntes Familienfest vielleicht auch in rechtsphilosophischer Hinsicht: Um unter den Zweigen und Nadeln zu erkennen, dass auch die Familienmitglieder Teil des "Baumes" sind und sich daher nur Gutes wünschen sollten: Frohe Weihnachten!

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Weihnachtsglosse: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14178 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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