2/2: Totengedenken ist rechtlich kein Todeskult
Im Verfahren um das Verbot der sogenannten „libanesischen Hisbollah“ dokumentiert das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (v. 25.5.2011, Az. 11 S 308/11) ein interessantes Argument. Den Hisbollah-Herrschaften war vorgeworfen worden, einen "Gewalt und Terror verherrlichenden Märtyrerkult" zu pflegen.
Aus dem schiitischen Islam, der religiösen Quelle der Hisbollah, den Märtyrerkult herausrechnen zu wollen, wäre zwar ungefähr so sinnlos wie der Versuch, vom polnischen Katholizismus den Marienkult abzuziehen. Geschickter versuchten die Anwälte in Mannheim zu relativieren: "Wenn bis heute etwa auch in Deutschland am Totensonntag v.a. der deutschen Gefallenen der vergangenen Kriege einschließlich der des von Deutschland vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkriegs gedacht werde", stelle dies "auch keinen Gewalt und Terror verherrlichenden Märtyrerkult dar."
Gegen diesen Relativierungsversuch konnte die Behördenseite belegen, dass die Hisbollah-Herrschaften für eine Kultur der Todessehnsucht werben, in der schon Kindergartenkindern der Märtyrertod schmackhaft gemacht wird – was sich selbst dem tanz- und musicalwütigsten Menschen doch als substanzieller Unterschied zu mehr oder weniger zwanghafter Formen des Totengedenkens darstellen dürfte.
Engere Totensonntagslehre für juristische Zwecke
Musik, Tanz und Todesfragen sind im Übrigen mit dem Totensonntag verwoben, seit dieser Feiertag im 19. Jahrhundert festgesetzt wurde. Gern wird in evangelischen Kirchen am Totensonntag das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen zum Gegenstand gemacht, eine Fabel, die Jesus von Nazareth laut Neuem Testament (Matthäus 25, 1-13) zur moralischen Erbauung erzählt haben soll.
Das Gleichnis lässt sich für juristische Zwecke verwenden: Zehn junge Frauen warten in der Dunkelheit eines noch nicht elektrifizierten orientalischen Dorfes auf eine Hochzeitsgesellschaft. Fünf haben ausreichend Lampenöl dabei, fünf andere nicht. Als der Bräutigam kommt, dürfen die beleuchteten Damen mit in den Festsaal, die unbeleuchteten bleiben von der Party ausgeschlossen. Die Öl bewirtschaftenden Jungfrauen gelten als klug, die Damen ohne Öl als töricht. Der Bräutigam verhöhnt die ausgeschlossenen Frauen sogar, als diese endlich doch noch vor der Tür um Einlass betteln.
Für diese etwas unangenehme Geschichte, die zwar nicht von Andrew Lloyd Webber, dafür aber von Johann Sebastian Bach vertont wurde (BWV 140), gibt es mindestens zwei theologische Deutungen, an die sich für den juristischen Moralbedarf anschließen lässt. Eine gängige theologische Auslegung behauptet, der Bräutigam stehe für den Messias, der Festsaal für das Himmelreich, die beiden Jungfrauen-Fraktionen für die mehr oder weniger klug auf eine finale Entscheidung vorbereiteten Menschen. Eine Frist einzuhalten oder einen Fall zu verlieren – das kennt der gemeine Jurist natürlich vom Umgang mit Terminsachen, von Präklusionsfristen oder Säumnisurteilen.
Theologische Präklusionsfristen für Rechtsanwaltsfachangestellte
Interessant am Gleichnis ist die theologische Zuspitzung: Wer den Termin nicht einhält, wird der ewigen Verdammnis überantwortet, ohne jede Chance auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand oder eine übergeordnete Instanz. Wer diese Moral für sich nicht braucht, kann sie ja den Rechtsanwaltsfachangestellten weitererzählen oder sie am Totensonntag in die Kirche schicken, wenn schon Tanz und Musical verboten sind.
Eine weniger gängige Lesart thematisiert die Fairness des Bräutigams: Obwohl jene Damen, die weniger klug mit dem Lampenöl gewirtschaftet haben, doch noch den Weg zur Party finden, will der feine Herr mit seinen Messiasallüren nichts mehr von ihnen wissen. Damit ist das Phänomen angesprochen, dass sich ein Entscheidungsträger künstlich dumm stellt, ob sein Urteil nun aus Unterbelichtungsgründen spät eintreffende Partygäste betrifft oder eine verspätet vortragende Partei im juristischen Prozess.
Das evangelische Totensonntagsgleichnis könnte also ins Gewissen reden, dass sich Entscheidungsträger aller Art nicht allzu gottgleich benehmen sollten, wenn wichtige Auskünfte der Form nach zu spät eintreffen.
Warum allerdings für die Vermittlung solch schlichter Erkenntnisse, die zudem in die Geschichte einer antiken biblischen Hochzeitsparty verpackt werden, gleich dem ganzen Volk am Totensonntag der öffentliche Party- und Spaßbetrieb von Rechts wegen untersagt werden muss, bleibt einstweilen ein Rätsel.
Martin Rath, Feiertagsrecht zum Totensonntag: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13893 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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