2/2: Die Arbeit des Verteidigers – oft vergebens, nie umsonst
Attraktiv war die vergleichsweise gute materielle Ausstattung der in Nürnberg tätigen Verteidiger.
Während anderenorts in Deutschland der Justizbetrieb fast vollständig einge-stellt werden musste, weil sich – in der "kleinen Eiszeit" jener Jahre – die Ge-richtsgebäude nicht beheizen ließen und manch Oberlandesgerichtspräsident seine Dienstwohnung an die Besatzungsmacht verlor, erhielten die Anwälte in Nürnberg neben wertvoller Schwarzmarktware, eine Stange Zigaretten wöchentlich, drei Mahlzeiten am Tag, eine amerikanische Prisoner-of-War- sowie eine Schwerarbeiterration – nach Angaben des US-Anklägers Benjamin Ferencz (1920–) mit 3.900 Kalorien das Dreifache dessen, was einem durchschnittlichen Deutschen zugeteilt wurde.
Außerdem wurde den Anwälten pro Mandant ein monatliches Salär von 3.500 Reichsmark gezahlt. Diese Summe galt beim Hauptkriegsverbrecherprozess als Besatzungskosten und war vom deutschen Fiskus zu leisten. Für die Verteidigerkosten in den Nachfolgeprozessen wurde die bayerische Staatskasse in die Pflicht genommen – mit stolzen 7.000 Reichsmark monatlich pro Mandat. Die bayerische Staatsregierung versuchte sich mit dem Hinweis zu wehren, dass mancher Verteidiger so mehr verdiene als ein Minister des Freistaats, musste nach einer "showdown conference" mit der amerikanischen Militärregierung jedoch kleinbeigeben.
Ein Anwalt sollte selbst ins KZ eingewiesen werden
Einige Angeklagte wie der gut vernetzte Ernst von Weizsäcker erhielten dank materieller und immaterieller Unterstützung ihrer Freundeskreise eine optimierte Verteidigung – samt Lobby- und Litigation-PR-Arbeit in den USA.
Der Nürnberger Rechtsanwalt Hanns Marx (1882–1973), der während der NS-Zeit eigenartige Wendungen mitmachte – er wurde wegen Zugehörigkeit zu einer "völkischen Freimaurerloge" aus der NSDAP ausgeschlossen – erhielt dagegen ein immaterielles 'Honorar' ganz eigener Art. Der Gauleiter, dessen Vertretung er übernahm, soll vor seiner Hinrichtung erklärt haben, eine KZ-Einweisung Marx’ nach dem deutschen Sieg sei bereits beschlossene Sache gewesen.
Der etwas undurchsichtige Rechtsanwalt Marx erhielt freilich auch eine bemer-kenswerte Erwähnung von anderer Seite: Als er im Zusammenhang mit seiner Verteidigertätigkeit von der Berliner Presse angegriffen und ihm mit einem Boykott gedroht wurde, erklärte der Vorsitzende Richter Sir Geoffrey Lawrence (1880–1971) in öffentlicher Sitzung, dass es allein dem Gerichtshof zukomme, über das Verhalten der Verteidiger bei Gericht zu wachen und nahm Marx insoweit in Schutz.
Kanzlei- und Kammergeschichte aufarbeiten!
Das durch eigenes Aktenstudium sehr reiche Werk von Hubert Seliger enthält zudem eine Vielzahl von Verweisen und weckt Neugier auf weitere Fragen zur Geschichte der Anwaltschaft in der zweiten deutschen Republik.
Zu den von Seliger selbst aufgeworfenen Fragen zählt etwa jene nach einem Vergleich der Praxis politischer Strafverteidigung, mit Blick insbesondere auf die Verfahren gegen die Angehörigen der "Rote Armee Fraktion" und ihrer Anwaltschaft von Horst Mahler (1936–) bis Otto Schily (1932–). Gewiss ein spannendes Unterfangen, nicht zuletzt, wenn es um die politische Sozialisation derartiger Juristen geht.
Die feministische Geschichtsforschung, die zwar lieber Lorbeerkränze für große liberale und sozialistische Vorkämpferinnen flicht, könnte sich zudem vielleicht einmal des Spektrums von der braunen Feministin Mathilde Ludendorff (1877–1966) bis zur Nürnberger Strafverteidigerin Dr. Elisabeth Gombel (1912–?) annehmen, um aus dem Ruf kaffeeschwesterlichen Rosinenpickens herauszukommen.
Und natürlich: Was mag noch in den Akten der Rechtsanwaltskammern an Ver-suchen dokumentiert sein, Nürnberger Verteidiger zu maßregeln, und wie viele Kanzleien werden überrascht feststellen, dass ihr hochverehrter Gründungsgroßvater vor 70 Jahren in Nürnberg als Verteidiger arbeitete?
Entsprechende Forschung kann wohl nur vor Ort und „im Haus“ initiiert werden.
Hinweis: "Politische Anwälte? – Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse" von Hubert Seliger ist 2016 bei Nomos erschienen. Der Preis von 128 Euro ist leider prohibitiv hoch.
Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 05.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22272 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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