Vor 70 Jahren entschied der Bundesfinanzhof über die Steuerpflichtigkeit eines kommunalen Zweckverbands, der die Besamung von Rindern organisierte. Das Urteil gibt Einblick in ein obskures Rechtsgebiet.
Das Geschäft mit männlichen Zuchttieren und zugelassenem Sperma muss in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland gelegentlich hart umkämpft gewesen sein – jedenfalls erklärt das zum Teil, warum das Finanzamt in diesem Fall seine etwas vergebliche Rechtsauffassung zur Besteuerung eines kommunalen "Bullenhalterverbands" im Jahr 1951 noch vor dem Bundesfinanzhof (BFH) vertrat.
Zehn kleine Gemeinden im Amt Villip bei Bonn hatten im Jahr 1937 einen Verband gegründet, der nach den Regelungen des "Gesetzes zur Förderung der Tierzucht" vom 17. März 1936 und der "Ersten Verordnung zur Förderung der Tierzucht" vom 26. Mai 1936 die männlichen Tiere für die örtliche Rinderzucht bereitstellen sollte.
Nach der Satzung des Verbands lag sein Zweck in der "Förderung der Viehzucht" durch "Beschaffung und Haltung von Zuchtbullen".
Wie kommt eine politische Gemeinde ins Besamungsgeschäft?
Durch das "Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der tierischen Erzeugung" vom 7. Juli 1949 hatte der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets – ein gern etwas in Vergessenheit geratener Vorläufer des Bundestags – zwar das Gesetz aus dem Jahr 1936 durch ein neues Tierzuchtgesetz (TierZG) ersetzt. Das relevante materielle Recht war dabei aber im Wesentlichen unangetastet geblieben.
In der deutschen Landwirtschaft hatte sich die Fortpflanzung der Nutztiere weiterhin in strikt geordneten Bahnen zu bewegen, § 1 TierZG (1949) befahl im Wortlaut:
"1) Männliche Tiere (Hengste, Bullen, Eber, Schafböcke, Ziegenböcke und nach näherer Bestimmung andere männliche Tiere) dürfen nur dann zum Decken oder zur künstlichen Besamung verwendet werden, wenn sie gekört sind und für sie eine Deckerlaubnis nach § 5 erteilt ist. Für die Verwendung zur künstlichen Besamung können weitere Anforderungen gestellt werden. (2) Vor der Körung sind Probesprünge zur Feststellung der Deckfähigkeit zulässig, soweit die Oberste Landesbehörde für Landwirtschaft nicht für einzelne Tierarten etwas anderes bestimmt."
Für die "Körung", also die züchterische Auswahl von männlichen Tieren, die für die Befruchtung zugelassen wurden, griff das Gesetz nach wie vor auf die "Erste Verordnung" zurück, teils übernahm es sie wortgleich, z. B. mit § 4 Abs. 1 TierZG (1949): "Männliche Tiere dürfen nur gekört werden, wenn sie geeignet sind, die Landestierzucht zu verbessern. Es muß für sie ein ausreichender Abstammungsnachweis einer anerkannten Züchtervereinigung vorliegen."
Landwirte, die potenziell zur Zucht geeignete männliche Tiere der in § 1 Abs. 1 TierZG (1949) genannten Gattungen hielten, waren bei Androhung einer damals sehr beachtlichen Geldstrafe von bis zu 10.000 Deutsche Mark verpflichtet, sie bei den regionalen Musterungsterminen den Gutachtern aus den Züchterverbänden und der Landwirtschaftsverwaltung vorzustellen.
Von dem Gutachten hing es dann ab, ob die Tiere überhaupt zur Fortpflanzung zuzulassen waren, auch bei fremden Landwirten eingesetzt oder ausschließlich im heimischen Stall ihrer Eigentümer sexuell aktiv werden durften. Für Tiere, deren Fortpflanzung unerwünscht war, konnte die Schlachtung oder Unfruchtbarmachung angeordnet werden, sollte Eigentümer unbotmäßige Vorstellungen zum Genpool haben.
Vorbilder hatten solche Normen zwar auch in älterem Landesrecht. Die Regeln der "Ersten Verordnung" aus dem Jahr 1936 wirken aber, liest man das Ganze im Gesetzblatt nach, auf groteske Art detailliert. Das hatte natürlich seinen Grund: Der federführende Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Herbert Backe (1896–1947), durfte sich als Diplom-Landwirt fachlich qualifiziert fühlen. Backe, der wie nicht wenige studierte Landwirte bereits früh in den 1920er Jahren als NSDAP-Aktivist tätig gewesen war, sollte sich, schwer belastet durch Kriegs- und Verbrechen gegen die Menschheit, 1947 in Nürnberger Haft selbst töten, bevor ihm der Prozess gemacht werden konnte.
Entschlackte NS-Herrschaftsprosa
In der 1949 von nationalsozialistischer Herrschaftsprosa entschlackten Fassung der von Backe hinterlassenen Regeln konnten die notorisch katholischen Bauern aus den kleinen Voreifeldörfern bei Bonn nunmehr nur noch einen gemeinnützigen Sinn erkennen: Es werde durch ihren Verband "die Tierzucht und damit die Volksernährung, insbesondere die Milchversorgung" geregelt.
Das Geschäft wurde in dem vom Finanzamt aufgegriffenen Fall in der Weise organisiert, dass der Verband als fortpflanzungswürdig "gekörte" Bullen kaufte und sie zum sogenannten "Fleischwert" an ihren Halter in Villip verkaufte. Dieser wiederum verpflichtete sich, den Bullen gegen eine jährliche Entschädigung zu halten, um das Tier für Besamungszwecke vor Ort zur Verfügung zu haben.
Für die Verwaltungskosten und den Differenzbetrag zwischen dem Fleischwert des Bullen als künftigem Schlachttier und seinem genetischen Wert als Zuchttier war der Zweckverband nach einer Regelung aus dem Jahr 1939 ermächtigt, eine Umlage zu erheben – für diese hatten die Halter von potenziell zu befruchtenden weiblichen Tieren aufzukommen, im Fall von Rindern aller über zwölf Monate alten Kühe.
Einen strikten Anschluss- und Benutzungszwang gab es für die Halter von weiblichen Rindern, Schweinen, Schafen oder Ziegen im jeweiligen Körungsamtsbezirk hinsichtlich der vergesellschafteten männlichen Zuchttiere zwar nicht, das ganze System war aber doch darauf angelegt, die Qualitäts- und Rassenzucht in eng kontrollierten und lokal eingegrenzten Bahnen zu halten.
Finanzgericht und BFH verneinen eine Steuerpflicht
Für die in Villip erzielten Überschüsse aus dem Bullengeschäft hatte das Finanzamt den Zweckverband zur Körperschaftsteuer heranziehen wollen. Bei der Beurteilung, ob ein sogenannter Hoheitsbetrieb vorlag, der nicht zu besteuern war, würdigte der BFH wie schon das Finanzgericht die weitgehend privat organisierten Vorgänge vor Ort sehr milde.
Weder die Bullenbeschaffung auf dem freien Markt noch das Fleisch-/Zuchtwert-Differenzgeschäft trübten den BFH das Bild eines hoheitlichen Vorgehens. Der fehlende Annahmezwang auf Seiten der Halter weiblicher Rinder sei nur ein Indiz gegen das Vorliegen eines Hoheitsbetriebs, das jedoch vom insgesamt hoheitlichen Auftrag überragt werde, wie der Reichsfinanzhof bereits 1931 für die kommunale Zuchtbullen- und -eberstellung in Bayern entschieden hatte (BFH, Urt. 12.12.1951, Az. I 95/51 S).
Die Bereitschaft des Finanzamts, diese Sache zur höchstrichterlichen Klärung zu bringen, dürfte aus zwei Motiven entstanden sein. Zum einen waren vergleichbare Geflechte aus damals noch nicht so genannten Private Public Partnerships mit reichlich ungeordneten Konsequenzen für den Zugang zu und Ausschluss von Märkten seit dem Kaiserreich, über die Weimarer Republik und dann – unter extremer Ausweitung einer politischen Korruption des Wirtschaftslebens – im NS-Staat weit verbreitet. Die Flucht in einen Zweckverband, mit dem sich der Körperschaft-, aber auch der Umsatzsteuer entgehen ließ, ohne auf die Privatisierung von wirtschaftlichen Vorteilen verzichten zu müssen, schien attraktiv. Die Beseitigung kleiner wie großer Kartelle und die Öffnung von Märkten für unternehmerisches Handeln waren keine deutsche Tradition.
Zu verdanken war diese Öffnung im Wesentlichen erst dem Einfluss der US-Militärregierung, später dann der europäischen Einigung. Bis es so weit war, muss die Finanzämter schlicht die Sorge um die Steuerbasis im Reich altdeutscher PPP-Geflechte umgetrieben haben.
Zum anderen werden den ortskundigen Finanzbeamten die mitunter wilden Verhältnisse im Zuchtgeschäft kaum entgangen sein. So findet sich inmitten der bis zum Naßauskiesungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1981 (1 BvL 77/78) umfangreichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu "enteignungsgleichen Eingriffen" auch ein abgründiger Fall aus dem Feld des Rinderspermageschäfts.
Im Jahr 1949 hatte ein Tierarzt im niederrheinischen Issum die Chance ergriffen, eine "Besamungsstation" in eigener wirtschaftlicher Verantwortung zu gründen. Dieses Geschäft wurde von der Landwirtschaftskammer systematisch mit Hilfe des örtlichen Körungsamts über die ausschließliche Vergabe der Zuchterlaubnis für Bullen einer konkurrierenden "Rinderbesamungsgenossenschaft für den Kreis Geldern eGmbH" hintertrieben. Dass der Veterinär wegen der Drohung, tierzuchtrechtliche Zwangsmittel gegen seine Besamungsstation zu ergreifen, die Betriebsmittel schließlich an die Genossenschaft verkauft hatte, sahen die Zivilgerichte später als unrechtmäßiges "hoheitliches Abnötigen eines Sonderopfers" (BGH, Urt. v. 08.03.1965, Az. III ZR 209/63).
Konnte schon die große öffentlich-rechtliche Landwirtschaftskammer Rheinland hart für bäuerliche Kartellpolitik vor Ort instrumentalisiert werden, dürfte die Würde eines "hoheitlichen Betriebs" winziger kommunaler Zweckverbände aus Sicht der Finanzämter erst recht fraglich gewesen sein.
Liberalisierung im europäischen Rahmen
Das ältere Körungsrecht mit seiner örtlichen Musterung fortpflanzungswürdiger Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen fand sein Ende erst zum 1. Januar 1990. Das neue Tierzuchtgesetz nahm nun Rücksicht darauf, dass die bisherigen, oft intransparenten Verfahren als europarechtswidriges Handelshemmnis wirkten.
Selten findet das Thema in die allgemeine Öffentlichkeit. Die Wochenzeitung "Die Zeit", die beinahe täglich ulkige Besinnungsaufsätze zur menschlichen Sexualität online stellt, brachte einmal eine rare, traurige Fotostrecke zu den lieblosen Rindern. Nur die Anbieter selbst bieten reicheres und stolzeres Anschauungsmaterial.
In Zeiten, in denen Landwirtschaft unter dem "Bio"-Siegel wieder einmal idyllisiert wird und es moderne Methoden des Eingriffs in den Genpool schwer haben, wäre ein wenig mehr Orientierung an ihrer historischen wie heutigen Realität vielleicht nützlich.
Tierzuchtrecht: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46900 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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