2/2: War der Hund im Dienst oder nicht?
Nach Auffassung des Landgerichts Marburg und des Oberlandesgerichts Kassel hätte der Hilfsförster wegen des Dämmerlichts im Wald nicht schießen dürfen, die Reichsrichter hielten dagegen, es habe nicht im sinnvollen Willen des Gesetzgebers gelegen, dass in den Dämmerstunden des deutschen Forstes nicht auf mutmaßlich wildernde Hunde geschossen werden dürfe.
Im Übrigen hätte nach Ansicht des Reichsgerichts "eine dienstliche Verwendung des Hundes" vorausgehen müssen, damit der Deutsch-Drahthaar-Rüde von § 40 Abs. 2 Nr. 2 Reichsjagdgesetz geschützt wird, der die Tötung von erkennbar und dienstlich verwendeten "Hirten-, Jagd- und Blindenhunden, Sanitäts- und Meldehunden der Wehrmacht und Polizeihunden" vom Tötungsrecht des Jagdaufsehers ausnahm.
Dieses Privileg sollten aber insbesondere nur "überjagende" Hunde genießen, "die, von ihrem jagdberechtigten Herrn auf die Fährte des jagdbaren Wildes gesetzt, sich aus diesem Anlaß vorübergehend der Einwirkung ihres Herrn entziehen und dabei auf fremdes Jagdgebiet geraten. Davon kann hier keine Rede sei" – Nur weil der Hundeeigentümer selbst auf dem Weg zu seinem Forst gewesen sei, sei der Deutsch-Drahthaar-Rüde nicht dienstlich hinter dem Hasen her gewesen.
Blütenlese: Reichsjagdgesetz
Über all den feinsinnigen Erwägungen, wann ein Hund in dienstlicher Verwendung wild durch den Wald laufen durfte, nimmt es fast wunder, dass dieser Schadensersatz-Prozess nicht noch auf ganz anderen Ebenen eskalierte.
Beispielsweise schrieb § 39 Abs. 6 Reichsjagdgesetz vor: "Die Jagdaufseher müssen bei der Ausübung des Jagdschutzes Diensthut und Dienstabzeichen tragen." Nicht auszumalen, welche Bedeutung diese Norm in der deutschen Rechtsgeschichte hätte gewinnen können, wären in diesem Fall Förster und Jäger noch über ihre Kleidung zum Zeitpunkt des Drahthaar-Todesschusses in Streit geraten – immerhin war der Reichsjägermeister Hermann Göring ein Fan von schmucken Uniformen, wie man sie in jüngerer Zeit nur noch von Elvis Presley, Michael Jackson oder dem nordkoreanischen Generalstab kennt.
Solch wunderbare Fragen, wie jene, ob ein deutscher Förster, der seinen Diensthut nicht trägt, berechtigt ist, auf wildernde Hunde zu schießen – Fallabwandlung: der Hut fällt ihm vom Kopf, vor/während/nachdem er den Schuss abgibt –, sind der Rechtswissenschaft leider entgangen: Das Bundesjagdgesetz von 1952 kannte keine Diensthut-Regelung mehr. Vielleicht nehmen sich die in Bekleidungsrechtsfragen so erfreulich wettbewerbsföderalen Bundesländer ja auch dem Diensthut im Walde wieder an – mit der Föderalismusreform von 2006 erhielten sie bekanntlich Zuständigkeiten für das Jagdrecht zurück.
Eine pompöse Präambel
Einen besonderen Platz in der deutschen Rechtsgeschichte hat sich das Reichsjagdgesetz indes erobert. Es dürfte über die pompöseste Präambel aller Zeiten verfügt haben – man möchte sich das mit der aller-, allerpathetischsten Bruno-Ganz-Stimme vorgetragen denken:
"Die Liebe zur Natur und ihren Geschöpfen und die Freude an der Pürsch in Wald und Feld wurzelt tief im deutschen Volk. Aufgebaut auf uralter germanischer Überlieferung, hat sich so im Laufe der Jahrhunderte die edle Kunst des deutschen Waidwerks entwickelt. Für alle Zukunft sollen Wild und Jagd als wertvolle deutsche Volksgüter dem deutschen Volk erhalten bleiben, die Liebe des Deutschen zur heimatlichen Scholle vertiefen, seine Lebenskraft stärken und ihm Erholung bringen von der Arbeit des Tages.
Die Pflicht eines rechten Jägers ist es, das Wild nicht nur zu jagen, sondern auch zu hegen und zu pflegen, damit ein artenreicher, kräftiger und gesunder Wildbestand entstehe und erhalten bleibe. Die Grenze der Hege muß freilich sein die Rücksicht auf die Bedürfnisse der Landeskultur, vor allem der Landwirtschaft und Forstwirtschaft.
Das Jagdrecht ist unlösbar verbunden mit dem Recht an der Scholle, auf der das Wild lebt und die das Wild nährt. Die Ausübung des Jagdrechts aber kann nur nach den anerkannten Grundsätzen der deutschen Waidgerechtigkeit zugelassen werden. Treuhänder der deutschen Jagd ist der Reichsjägermeister. Er wacht darüber, daß niemand die Büchse führt, der nicht wert ist, Sachwalter anvertrauten Volksguts zu sein."
Ein kleiner Verdacht bleibt hängen
Vegetarier wird es nicht interessieren, omnivoren Zeitgenossen, die bei ihrer Fleischversorgung mehr ans Kühlregal denn an die Jagdstrecke denken, wird es aber vielleicht wundern: In der Tradition des pompösen Reichsjagdgesetzes (§ 39 Absatz 5) werden bis heute im Forst- und Jagdbetrieb tätige Menschen zu "Hilfsbeamten", im heutigen Sprachgebrauch: "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" mit strafprozessualen Privilegien ernannt.
Dass dies für das Aufsichtspersonal in der Fleischindustrie nicht, jedenfalls nicht an prominenter Stelle in der Norm-Hierarchie der Fall ist, mag dafür sprechen, dass okkulte Traditionen im Zweifel mehr wert sind als Verbraucher- oder Tierschutzbedürfnisse.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Solingen-Ohligs.
Martin Rath, Trauriges Ende eines Deutsch-Drahthaars: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24145 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag