Grenzfragen der Jurisprudenz in der Erkältungszeit: "Tussis" und der Husten, juristisch betrachtet

von Martin Rath

22.02.2015

Unterdrücktes Krächzen bei den leisen Stellen, erregtes Röcheln, wenn es interessant wird: Kino-, Theater- oder Konzertbesuchter haben so gelegentlich den Verdacht, dass Ärzte ihre Patienten ins Publikum gesetzt haben, damit sie einmal gründlich abhusten können. Weil Juristen die ganze Welt zur Bühne ihrer Kunst machen, befassen sie sich natürlich auch mit dem Husten, wie Martin Rath zeigt.

In den Gerichtssälen und -sitzungszimmern, also dort, wo sich die Justiz höchstselbst in Szene setzt, scheint sie erstaunlich robust mit der Frage zu beschäftigen, ob Husten stört. Hier findet sich eine Toleranz im Umgang mit Gegengiften, auf die wir später nicht überall treffen werden, wenn das Verhältnis der deutschen Justiz zum öffentlichen Husten zur Sprache kommt: Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig befand mit Beschluss vom 13. Januar 1994 (Az. 2 Ws 7/94), dass es für einen erkälteten Zeugen keine Ungebühr nach § 178 Gerichtsverfassungsgesetz darstelle, wenn er ein Hustenbonbon lutsche.

Leider ist dieser Beschluss nicht ausführlich überliefert. So lässt sich nicht feststellen, ob es, sobald in Gerichtsräumen gehustet wird, jenen seltenen Augenblick gibt, in dem sich die Einheit der Rechtsordnung leibhaftig manifestiert: Das OLG Köln erkannte bereits mit Beschluss vom 31. Oktober 1984 (2 Ws 593/84), dass mit künstlichem Husten aus den Zuschauerreihen des Amtsgerichts Bonn ein Strafprozess begann, aus dem Ruder zu laufen.

Ohne Hustenbonbons bei Gericht, so viel einheitliche Rechtsordnung müsste wohl sein, wäre zu gewissen Jahreszeiten die Grenze zwischen erlaubtem und unerlaubtem Krächzen, Bellen und Röcheln gar nicht zu ziehen.

Husten wegen Exposition von 161 "Feinstaubjahren"

Nun könnte es leicht abwegig erscheinen, sich mit den juristischen Abgründen des Hustens überhaupt zu befassen. Dieser Tage war zwar in öffentlichen Verkehrsmitteln zwar eine Kakophonie des Röchelns und Bellens zu vernehmen, die glauben ließ, nicht mit gewöhnlichen Erkälteten, sondern inmitten einer Tuberkulose-Epidemie unterwegs zu sein.

Allerdings war es ein Fahrzeug der Kölner Verkehrsbetriebe. In dieser Stadt gibt es womöglich Volkshochschulkurse, deren Teilnehmern dramatisch lautes, Tbc-artiges Husten beigebracht wird. Immerhin, öffentliche Bildungseinrichtungen, die hochdeutschsprachigen Zugezogenen das kölsche Idiom beibringen, existieren hier auch. Vielleicht ist dies also alles nur regionale Folklore. Allerdings zeigt eine große kalifornische Suchmaschine böse aktuelle Daten an, die den Verdacht der Hypochondrie bzw. der überreizten Wahrnehmung von uns nehmen. Sie mögen also Grund genug sein, noch etwas ins juristische Husterei-Wesen vorzudringen.

Ihre vielleicht höchste Entwicklungsstufe dürfte die deutsche Jurisprudenz auf dem Gebiet des bergmännischen Hustens erreicht haben. Bergwerke werden hierzulande geschlossen, bald werden die Rechtsprobleme des bergmännischen Lungenschadens bestenfalls Gegenstand rechtshistorischer Untersuchungen sein. Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2002 (Az. L 2 KN 96/00 U) entführt in diese fremd werdende Welt: Ein Bergmann stritt um die sozialrechtliche Einordnung seines Lungenleidens. Die Gerichte bzw. Ärzte stellten eine Belastung des Mannes durch eine "Feinstaubexposition von 161 Feinstaubjahren" fest. Husten und Atemnot geraten also sozialrechtlich zu "Feinstaubjahren" – was damit gemeint sein soll, bleibt das Geheimnis der Sachverständigen und des Gerichts.

Husten im besonderen Gewaltverhältnis

Etwas näher am eigenen Arbeitsfeld, zugleich ein schöner Fall, in dem mit der archaischen Rechtsfigur der "besonderen Gewaltverhältnisse" aufgeräumt wurde, liegt der Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 11. Juli 1984 (Az. 1 Vollz 353/83): In der Justizvollzugsanstalt Werl saß ein Gefangener ein, der sich nicht damit abfinden wollte, dass seine Haftgenossen die Möglichkeit hatten, mit den Lebensmitteln, die er zu verzehren erhielt, in Berührung kämen, schlimmer noch, ihm womöglich aufs Essen husten könnten. Er beantragte darum, dass die Mitgefangenen, die als sogenannte Essensträger die Nahrung verteilten – es wurde in Werl offenbar noch mit der Schöpfkelle in den Napf gelöffelt – den gleichen gesundheitsrechtlichen Prüfungen unterworfen würden wie entsprechendes Personal in Freiheit, samt Kontrolle durch das Gesundheitsamt, statt nur durch den Anstaltsarzt. Im Gegensatz zur Anstaltsleitung half das Landgericht dem ab.

Der Fall mag unspektakulär oder übersensibel wirken. Doch waren die deutschen Zuchthäuser vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, vom NS-Staat nicht zu sprechen, Brutstätten der Lungenkrankheiten. Das Leben dort war so prekär, dass manche Juristen zu Kaisers Zeiten die Todesstrafe als mildere Strafform gegenüber dem schwindsüchtigen Siechtum einer lebenslangen Freiheitsstrafe sahen. Juristische Abhilfe schon gegen mutmaßliches Husten im Gefängnis ist vor diesem Hintergrund kein schlechtes Indiz für Fortschritte in der Strafrechtspflege gewesen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Grenzfragen der Jurisprudenz in der Erkältungszeit: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14763 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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