Grenzfragen der Jurisprudenz in der Erkältungszeit: "Tussis" und der Husten, juristisch betrachtet

von Martin Rath

22.02.2015

2/2: Opiate und sonstige Drogen – mit Kanonen auf Spatzen schießen

Wenn eingangs davon die Rede war, dass die Justiz eine gewisse Toleranz für Hustenmittel hat, soweit sie ihr die Arbeit leichter machen – ein Hustenbonbon im Mund des Zeugen ist nicht ungebührlich –, ist das Verhältnis von Hustenmitteln und Rechtsstaat allgemein doch eher angespannt: Mit Urteil vom 18. Oktober 1995 bestätigte beispielsweise das Bundessozialgericht (BSG) eine Entscheidung des LSG Schleswig Holstein: Ein in Kiel als praktischer Arzt hatte einer ganzen Anzahl seiner Kassenpatienten das nur zur Behandlung von Husten und Reizhusten zugelassene Mittel "Remedacen" verordnet. Allerdings nicht, weil die Patienten an primär Husten, Schnupfen, Heiserkeit litten, sondern an Alkohol- und Opiatabhängigkeit (Az. 6 RKA 3/93).

Die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Menschen mit einer stofflichen Abhängigkeit ein Ersatzpräparat bereitzustellen - das Hustenmittel enthielt Codein - ist ein echtes Reizthema. Das BSG beendete in diesem Fall die Praxis, indem es sie nicht zuletzt "unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeitsprüfung" für unangebracht erklärte. Bemerkenswert ist die lange juristische Traditionspflege, die hier unter dem Aspekt des Hustens betrieben wird: Das seit der Opiumkonferenz von 1912 international geächtete, seit 1929/30 auch in Deutschland pönalisierte Heroin – ein Produkt aus den Labors der Firma Bayer – galt zunächst als potentes Hustenmittel, um dann als Ersatzmittel für Alkohol-, Morphium- und Kokainabhängige zu dienen und schließlich verboten zu werden. Wo Husten unterdrückt werden soll, sind starke Substanzen im Einsatz, die früher oder später von Rechts wegen unterdrückt werden.

Kilometertiefe Zahnfleischtaschen

"Am 20.2.2007 befuhr der Betr. mit dem Pkw Suzuki … öffentliche Straßen … Er hatte zuvor Alkohol getrunken. Der Betr. führte das Fahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,36 mg/l." Damit also genug, um den Suzuki-Fahrer von Rechts wegen für einige Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, könnte man annehmen. Doch erkannte das OLG Hamm mit Beschluss vom 24. Januar 2008 (Az. 2 Ss Owi 37/08), es sei nicht auszuschließen, dass sich namentlich in den Zahnfleischtaschen des verschnupften und daher neben Cola und Bier auch einen Hustenlöser verzehrt habenden Kraftfahrzeugfahrers Reste eben dieses Hustentropfens befunden und diese die Atemalkoholmessung verfälscht hätten.

Den Verdacht, dass die Atemalkoholmessung durch Hustentropfen in Zahnfleischtaschen verfälscht worden sei, trug in diesem Fall nicht nur der Fahrer, sondern auch die Generalstaatsanwaltschaft vor. Das rechtliche Resultat dieses Vorgangs ist leider nicht überliefert. Ob von Husten geplagte Fahrer noch zum zahnärztlichen Herumgestocher in ihrer Mundhöhle geladen werden müssten, damit das Hustensaft-Lagervolumen ihrer Zahnfleischtaschen vermessen werden und Recht geschehen kann? Man möchte sich das lieber nicht ausmalen und stellt lieber gleich das Husten ein, ganz ohne Tropfen.

Und wo bleiben die Tussis?

Möglicherweise ist es nicht verboten, Menschen, die beispielsweise in einer Straßenbahn aggressiv herumhusten, als "Tussis" zu bezeichnen. Allein, man sollte darauf Acht geben, seinen Fluch nicht mit bösen Beiwörtern zu versehen. Ein gewisses sprachliches Recht lässt sich mit der Auskunft herleiten, die dem Beschluss des Bundespatentgerichts vom 24. Januar 2000 über Markenrechte an den Bezeichnungen "Werotussin" und "Sedotussin" zu entnehmen ist (Az. 30 W [pat] 128/99 ): "Der Markenanteil ‚TUSSIN‘ hat zwar eine Kennzeichnungsschwäche, weil er auf das lateinische Fachwort für Husten (tussis) zurückzuführen ist, das auch lautmalerisch und daher auch für den Laien erkennbar auf Husten hinweist."

Das hohe Gericht hält fest: Mit "Tussis" verbinden auch Laien nicht allein merkwürdige Damen schlechten Benehmens, sondern "erkennbar" den Husten. Wenn auch sonst nichts aus der Schnittmenge von Juristerei und Hustenpraxis haften bleibt: Den Schimpfwortschatz hätte man hiermit doch ein wenig modifiziert.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Grenzfragen der Jurisprudenz in der Erkältungszeit: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14763 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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