Rechtsmedizin: Die Fälle des Pro­fessor Tsokos

von Martin Rath

15.06.2017

2/2: Tsokos kann es doch besser

Enttäuscht über die TV-Performanz schlagen wir die Zeitschrift "Rechtsmedizin" (im Weiteren mit Jahr und Seite) auf. Aus dem Aufsatz "Tödliche Kohlenmonoxidintoxination bei einem Schwarzafrikaner" (2007, 315–317) ist beispielsweise von den Schwierigkeiten zu erfahren, die sich infolge der dunklen Hautfarbe einstellen, für diesen nicht ganz seltenen Vergiftungsfall typische Verfärbungen zu erkennen.

Bilder eines mit lilafarbenem Filzstift beschriebenen nackten Leichnams – Textbeispiel: "Ich kann zu meinen Gefühlen nicht stehen ich möchte nieWieder leben [sic!]" – dokumentiert der Artikel "Abschiedsbrief auf dem Körper nach genitaler Selbstbeschädigung" (2010, 419–422) zum Fall eines psychisch kranken Suizidenten, den Tsokos ebenfalls mituntersuchte.

Wenn schon das natürlich in erster Linie geleistete Zahlenreferat samt medizinischer Kasuistik nicht ausreichen sollte, urbanen Raubtierhaltern die abartige Liebe zum Hund auszutreiben, ein Bild von Haaren und Ohren könnte dies leisten: mit der Unterschrift "Kopfweichteile aus dem Magen eines der obduzierten Hunde" zu finden im Artikel "Tödliche Attacken von Hunden auf Kinder" (2014, 37-31).

Und wenn sich – wie etwa eine Kollegin in der FAZ zur neuen Tsokos-Fernsehreihe  erklärte – der Berliner Rechtsmediziner mit Angriffen auf die deutsche Kinderärzteschaft unbeliebt gemacht habe, der er undifferenziert Aufmerksamkeitsmängel bei Gewalt gegen Kindern attestierte, finden sich im Werk von Michael Tsokos auch ganz klare sozialmedizinische Miniaturen wie jene zum meist alkohol- und immer einsamkeitsbedingten Vorgang: "Natürliche Mumifikation im häuslichen Milieu" (1999, 32-38).

Moral rechtsmedizinisch nüchtern

In Tsokos' Oeuvre entdecken wir (2001, S. 96–100) insbesondere folgenden Todesfall, den man sich nicht im ProSiebenSat.1-Format ausmalen möchte:

"Ein 57 Jahre alt gewordener Gynäkologe wurde von seiner Ehefrau im Stallgebäude seines Hofgrundstücks aufgefunden. Der Leichnam lag mit entblößtem Unterleib neben zwei hochdruckgepressten Strohballen, welche sich am Ende einer der Pferdeboxen befanden. An den Genitalien fanden sich Schmutzantragungen sowie spermaverdächtige Anhaftungen. In dem Stall befand sich des Weiteren das einjährige Stutenfohlen des Verstorbenen."

Mit der Kraft der Nüchternheit, die vom rechtswissenschaftlichen aufs rechtsmedizinische Schrifttum ausstrahlt, folgt darauf eine Analyse wie die folgende:

"Die Häufigkeit des plötzlichen Tods beim Geschlechtsverkehr wird im rechtsmedizinischen Untersuchungsgut mit 0,08–0,6 % angegeben. In allen Studien lag dabei im überwiegenden Anteil der Fälle ein außerehelicher Geschlechtsverkehr, nicht selten in Motels oder Bordellen, zumeist mit Prostituierten vor."

Und derlei endet mit der beruhigenden Moral:
"Bei der Beurteilung von Sexualitäts-assoziierten Todesfällen aus natürlicher Ursache sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein hoher Grad sexueller Aktivität sowie eine damit assoziierte Befriedigung auch im höheren Lebensalter durchaus gesundheitsfördernde und zur Langlebigkeit beitragende Wirkung hat."

Als geschriebenes Wort ist diese Mediziner-Moral nur unfreiwillig, vielleicht sogar freiwillig komisch. Stellen wir es uns im Fernsehen vor – "Dem Tod auf der Spur – Die Fälle des Prof. Tsokos" ist ja ein noch junges TV-Format, man darf also hoffen und fürchten –, lässt schon der Gedanke daran schmerzhafte Fremdscham keimen.

Immerhin: Nicht das Allerschlimmste

Bei allem, was hier an des Professors Tsokos' Fernseh-Format moniert wurde, ist doch seine Niedlichkeit zu rühmen. Statt Fleisch und Blut werden überwiegend computeranimierte Bilder gezeigt. Im Vergleich zur Zeitschrift "Rechtsmedizin" ist Sat.1 optisch harmlos.

Den etwas merkwürdigen Wechsel von medizinischer und polizeibürokratischer Fachsprache haben wir schon eingangs erwähnt.

Richtig schlimm sind dokumentationsartige TV-Filme ja immer erst, wenn Christian Schult ins Spiel kommt, der als Synchronstimme von Robert Redford ganz großartig , aber als Sprecher für Beiträge aus dem justiz- und sicherheitsbürokratischen Segment nur schwer erträglich ist: Wenigstens kommt also "Dem Tod auf der Spur – Die Fälle des Prof. Tsokos" stimmlich nicht so daher wie dieser Beitrag im Gedenken an 188 Jahre der Hamburger Polizei

Jedenfalls das macht die Sendung fast schon wieder gut.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsmedizin: . In: Legal Tribune Online, 15.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23188 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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