Sklavenrecht: Mensch als Eigentum

von Martin Rath

23.08.2015

Ius cogens in den Kinderschuhen

Noch weiter verwickelt wurde der Fall durch Zuständigkeitsfragen und seine politische Dimension: Die Zollkutter-Offiziere standen im Verdacht, die "Fracht" in Connecticut an Land gebracht zu haben, weil dort die Sklaverei als rechtmäßig galt, im nähergelegenen Staat New York jedoch nicht. Immerhin war im bekannten Kompetenzwirrwarr der USA die Bundes-, nicht die einzelstaatliche Gerichtsbarkeit zuständig.

Hinzu kam die unausgereifte Völkerrechtslage: Auf Initiative der damals einzigen ernstzunehmenden Weltmacht, also des britischen Imperiums, war der maritime Sklavenhandel bereits einzelvertraglich untersagt. Die inländischen Sklavenrechtsverhältnisse des spanischen Restweltreichs oder der USA blieben davon unberührt. Fraglich war, wie weit völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen der spanischen Krone und den USA aus dem Jahr 1795 einschlägig blieben, die eine sofortige Herausgabe von Seefracht betrafen, die namentlich durch Piraterie oder Meuterei in fremde Hand gelangt waren.

Gordischer Knoten verwickelten Rechts

In Spielbergs Film aus dem Jahr 1997 wird der gordische Knoten der Interessens-, Rechts- und Beweislage durchtrennt, indem für die am Ende 39 vom US-Zoll inhaftierten Afrikaner festgestellt wird, dass man sie in ihrer westafrikanischen Heimat unrechtmäßig entführt hatte, sie anders als auf Kuba oder in den US-Südstaaten geborene Sklaven nie legale Seefracht werden konnten und sie mit der Inbesitznahme der "Amistad" mithin rechtmäßige Notwehr leisten konnten.

Diese Beweisführung gelang, tatsächlich ebenso wie im Film akkurat gezeigt, durch einen frühen Einsatz der Linguistik als juristischer Hilfswissenschaft: Ein Philologe brachte Hilfskräften bei, in verschiedenen afrikanischen Sprachen bis zehn zu zählen. Im Hafengebiet wurde mit dieser Kunst ein englischer Seemann und ehemaliger Sklave als Dolmetscher für den Prozess entdeckt, der das westafrikanische Mende beherrschte.

Das Antonio-Problem

Das Urteil des Bezirksgerichts von Connecticut erklärte die vormalige Fracht zu freien Menschen, bestätigt durch Entscheidungen des Bundesberufungsgerichts und, im März 1841, durch den Obersten Gerichtshof der USA – es wird als Sieg der Freiheit im juristischen Verfahren von Gegnern der Sklaverei bis heute gefeiert.

Vergessen wird dabei Antonio. Er stand im Eigentum des Kapitäns der "Amistad", den die unfreiwilligen Reisegäste aus Westafrika im Wege der Notwehr getötet hatten. Wo Eigentum existiert, finden sich Erben.

Der persönliche Sklave des verblichenen Kapitäns war nicht illegal entführt worden, sondern blieb rechtmäßiges Eigentum. Das ius cogens vom Sklavereiverbot stand noch in den Kinderschuhen. Allerdings wurde Antonio von politischen Gegnern der Sklaverei die Flucht ermöglicht, in New York oder in Kanada soll seine Spur verlorengegangen sein.

Mit dem Gehorsam gegenüber dem Recht war es freilich auf allen Seiten des Verfahrens nicht weit her: Hätte das erste Gericht die Insassen der "Amistad" zu Fracht statt zu freien Leuten erklärt, wären sie auf Weisung von US-Präsidenten Martin Van Buren (1782-1862) unverzüglich nach Spanisch-Kuba rückübereignet worden, um ihnen den Weg durch die Instanzen abzuschneiden.

UNESCO-Gedenktage, vielleicht gar nicht so albern

Möglicherweise steckt im UNESCO-Festtagskalender doch eine List der historischen Erinnerung, selbst wenn man es mit Blick auf den kalifornisch-indischen Esoterikerinnengymnastikgedenktag nicht vermuten möchte.

Schon der grobe Abgleich von rechtshistorischen Daten und populärhistorischer Darstellung liefert interessante Details. Auf den vergessenen Sklaven Antonio folgte der berühmte Dred Scott (1799-1858), der vergeblich um seine Freiheit prozessierte. Es kann nicht so verkehrt sein, sich von der UNESCO einmal im Jahr eingeladen zu fühlen, beispielsweise die rechtshistorische Wahrheit unter den kitschigen Schichten eines Justizkostümfilms von Steven Spielberg zu entdecken.

Zwar mag uns die Ur-Großeltern-Generation der aktuell ernstzunehmenden Weltmacht samt aller rechtlichen, ökonomischen und Familien traumatisierenden Aspekte relativ fern liegen. Doch gibt es da noch einen Gedenktagszufall: Für den gleichen Tag schlägt die diplomatisch formierte Weltgemeinschaft vor, sich an den Hitler-Stalin- bzw. Molotow-Ribbentrop-Vertrag zu erinnern, der am 23. August 1939 den Weg zu Krieg, Klassen- und Völkermord sowie zur Versklavung von Millionen Menschen in Mittel- und Osteuropa freimachte.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Sklavenrecht: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16682 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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