Die Geschichte hinter "Save the Children": Die Kinder und das Völ­ker­recht

von Martin Rath

13.09.2015

Britische Diplomaten, die nein und dann ja sagen, eine Menschenrechtsorganisation, die ihre Existenz gegen eine Boulevard-Redaktion verwettet und von Völkern umgesetztes Völkerrecht. Martin Rath über die Geschichte von "Save the Children".

Vor wenigen Tagen folgte die LTO der Idee des Spendenaufrufs 'Lawyers Billable Hours Appeal' des englischen Anwalts Sean Jones und beschloss, diese Aktion auch nach Deutschland zu bringen. Mit dem Projekt 'Juristen helfen Flüchtlingen' sind die Leser derzeit aufgerufen, den Gegenwert von einer Stunde ihrer Arbeitszeit zu spenden. Ihre Spende geht zu gleichen Teilen an "Aktion Deutschland hilft" und an "Save the Children".

Dieser größten unabhängige Kinderrechtsorganisation der Welt widmet sich das Sonntags-Feuilleton. Im Rahmen des Projekts "Flüchtlingskrise: Kinder brauchen dringend Schutz" kümmert sich die Vereinigung um Kinder in den Aufnahmezentren in Lampedusa/Italien und in Griechenland, aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Somalia und Eritrea.

Die Organisation hat eine weit zurückreichende Geschichte. Im September 1924 beschloss die Völkerbundsversammlung in Genf eine Deklaration über die grundlegenden Rechte des Kindes. Sie zählt zu den ersten Bekundungen grundrechtsähnlicher Normen auf der Ebene internationaler Organisationen, wird oft als Grundlage nachfolgender – unverbindlicher – Erklärungen der United Nations Organisation (UNO) und der – verbindlichen – UN-Kinderrechtskonvention von 1990 genannt.

Erstaunlich ist im Rückblick nicht allein, wie schnell diese Deklaration 1924 auf Initiative der britischen Kinderschutzorganisation "Save the Children Fund" und ihrer Sprecherinnen Eglantyne Jebb (1876-1928) und ihrer Schwester Dorothy Buxton (1881-1963) zustande kam, sondern auch, welche Hoffnungen damals jene gesellschaftlichen Kräfte auf das Völkerrecht und den Völkerbund, der Vorgängerorganisation der UNO, setzten, die man heute als "Zivilgesellschaft" bezeichnet.

Kinder retten, die Briten töten wollen?

Völkerrecht, das die Völker in eine soziale Bewegung versetzt, die so gar nicht den wütenden Online-Protesten gegen finstere Welthandelsabkommen entspricht, sollte man sich näher anschauen.

Davor steht aber ein Blick in die britische Presse, genauer gesagt: die Presse des britischen Weltreichs nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Denn die beiden Damen, die beim Zustandekommen der "Genfer Deklaration über die Rechte des Kindes" eine wesentliche Rolle spielten, hatten mit ihrer Organisation, dem britischen "Save the Chrildren Fund" zunächst eine heftige existenzbedrohende Kontroverse mit einem führenden Boulevardblatt, "The Daily Express" auszufechten.

Warum sollte man Kinder vor dem Hungertod retten, die in 25 Jahren nichts anderes im Kopf haben werden, als uns Briten zu töten? – Diese Frage kreiste nach dem Ende des ersten Weltkriegs nicht allein in den Köpfen paranoid-rechtsradikaler Briten. Der Krieg war mit einem solchen Maß an individueller Gewalterfahrung von Männern und propagandistischer Verhetzung der Frauen einhergegangen, dass die 1919 von Eglantyne Jebb und Dorothy Buxton maßgeblich mitgegründete Hilfsorganisation "Save the Children Fund" (kurz: SCF) ihren Einsatz für – ausländische – Kinder in Not stets rechtfertigen musste.

Modernes Fundraising wird erfunden

Großformatige Anzeigen warben seit 1919 in britischen Zeitungen um Spendengelder zur Rettung von Kindern aus Hunger und der in Zentral- und Osteuropa grassierenden Typhusgefahr. Die anglikanischen und katholischen Erzbischöfe Englands, der Großrabbiner von London und prominente Labour-Politiker unterstützten die ausgesprochen moderne Kampagne. In den Vordergrund gerückt wurden russische Kinder, die in den Wirren des russischen Bürgerkriegs und den Anfangsjahren des kommunistischen Staatsterrorismus besonders darunter zu leiden hatten, dass die Institutionen von Staat und Wirtschaft weitgehend zerrüttet waren.

Der SCF setzte im Fundraising modernste Methoden ein, beispielsweise stammen die ersten Film-Dokumente über diese erste Hungerkatastrophe in der frühen Sowjetunion aus den Kampagnen der britischen Kinder-Wohltäterinnen. Auch erfand man eine Technik, die heute einen Gutteil der Öffentlichkeitsarbeit nicht nur humanitärer Verbände ausmacht: Der SCF lancierte Pressemitteilungen, die man – als Beleg für die selbst getätigten Tatsachenbehauptungen über die Versorgungslage in Russland – wiederum im Verbandsblatt zitierte.

Weit über ein journalistisches Aufklärungsinteresse, das solche weniger feinen, damals noch eher ungewohnten Methoden rechtfertigten, ging das seinerzeit äußerst bedeutende Boulevardblatt "The Daily Express" unter seinem Chefredakteur Ralph David Blumenfeld (1864-1948) gegen die Schützer unbritischer Kinder vor. Der Kampagnenverlauf erinnert an heutige Boulevardstrategien. Behauptung: In Russland gibt es gar keinen Hunger (und außerdem werden uns die ausgewachsenen Bolschewistenkinder später töten).

Gegenbeweis: Der hoch angesehene erste Hochkommissar für Flüchtlinge, Fridtjof Nansen (1861-1930) bestätigt telegraphisch vor Ort, dass es in der Ukraine und in Sibirien wirklich eine Hungersnot gibt. Aber darf man einem solchen Norweger glauben, wo doch ehrbare britische Boulevardzeitungszeugen in Moskau und Petrograd gesättigte Menschen gesehen haben wollen?

Et cetera. Am Ende dieser Auseinandersetzung standen die hohen Eigenkosten für Öffentlichkeitsarbeit und die – bis dahin unbekannte – Fundraising-Organisation im Fokus des "Daily Express". Der SCF ließ nun, grob wiedergegeben erklären: Wir lassen einen vom "Daily Express" bestellten öffentlichen Buchprüfer unsere Geschäfte untersuchen. Sollte es etwas zu beanstanden geben, schließen wir unseren Betrieb.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Die Geschichte hinter "Save the Children": . In: Legal Tribune Online, 13.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16877 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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