Rechtsgeschichte der braunen Brühe: Kaffee als deut­sche "Leit­droge"

von Martin Rath

22.11.2015

Dass die alkoholverarbeitende Industrie positive Beschäftigungseffekte bei Staatsanwälten, Strafverteidigern und Verkehrsrechtsexperten hat, ist bekannt. Martin Rath über die weniger bekannten juristischen Untiefen in der Kaffeetasse.

Sollte der Bund der Steuerzahler jemals nach einem ironischen Helden des deutschen Abgabenrechts suchen, würde er ihn in einem Zollbeamten finden, dem bei einer Fahrt über den Bodensee am 23. Oktober 1954 gegen 21.55 Uhr der Besitz von 250 Gramm einer kostbaren Substanz zum Dienstvergehen wegen Überforderung durch die formalen steuerrechtlichen Vorgaben geriet.

Einwohnern des Grenzgebiets zur Schweiz war es damals erlaubt, ein halbes Pfund Kaffee pro Monat einzuführen. Dem wackeren Beamten fehlte es indes an der dazu formal notwendigen Grenz- und Warenkontrollkarte, die er zu beantragen versäumt hatte.

Gegen die erstinstanzliche Verurteilung zu 5 Mark Strafe ging der Bundesdisziplinaranwalt in Berufung, der Bundesdisziplinarhof erhöhte auf 20 Mark, weil der Zöllner glaubwürdig versichern konnte, den Kaffeeschmuggel treuen Herzens begangen zu haben und man ihm die bald in Aussicht stehende Beförderung zum Zollsekretär nicht zunichtemachen möge (Urt. v. 25.5.1958, Az. II D 38/57).

Kaffeeschwarzhandel als deutscher Volkssport

Dass der Bundesdisziplinaranwalt dem Zöllner vom Bodensee wegen des illegalen Grenzübertritts weniger Gramm Kaffees die dienstrechtliche Hölle heißmachte, wird verständlich, wenn man sieht, in welchem Umfang Kaffee in den 1950er Jahren Gegenstand von Zoll- und Steuerstraftaten war. Man handelte leidenschaftlich gern mit Kaffee, vor allem schwarz. Ob die Bundesrepublik jemals eine Leitkultur hatte, mag man streiten. Eine Leitdroge hatte sie jedenfalls in den Wirtschaftswunderjahren mit dem Koffein, dem infolge von Steuerlast und Devisenknappheit teuren Kaffee. Unzählige Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) befassten sich mit dem strafbaren Streben nach der leistungssteigernden Droge.

Neben 2.000 Litern Treibstoff fanden im Jahr 1953 beispielsweise 1.440 Kilogramm Rohkaffee ihren Weg aus einem Lagerhaus in der von Sowjets besetzten Zone zunächst nach Berlin (West), dann per US-amerikanischem Interzonenzug nach Bad Godesberg im Rheinland. Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Vorteilsbeihilfe zur Zollhinterziehung im Wesentlichen – ein vermutlich sehr gnädiges Schicksal im Vergleich zu dem, was die sogenannte DDR-Justiz mit den Kaffeeschmugglern angestellt hätte (Urt. v. 29.5.1955, Az. 5 StR 506/55).

Beim Verhehlen des Kaffees in Westdeutschland betätigten sich nicht nur lebensmüde DDR-Insassen, sondern Menschen aller Stände und Klassen. In Bielefeld besserte beispielsweise ein Beamtenehepaar die kargen Dienstbezüge durch jahrelanges Hausieren mit unversteuertem Kaffee auf (BGH, Urt. v. 11.6.1953, Az. 4 StR 567/52). Bot sich die Gelegenheit, preisgünstigen Kaffee zu kaufen, stand fast nur in Frage, ob man das Vergnügen mit Diebes- oder unverzollter Ware aus den Niederlanden hatte (BGH, Urt. v. 9.7.1953, Az. 4 StR 189/53). Unglücklich erwischte es einen offenbar gewohnheitsmäßigen, womöglich eher harmlosen Betrüger, der auf dem Kaffeeschwarzmarkt mittun wollte, dem das Landgericht Wuppertal aber nicht glaubte, jemals auch nur eine Bohne liefern zu wollen oder zu können – was in der Summe des Zuchthäuslerlebens zur tatgerichtlichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den "gefährlichen Gewohnheitsverbrecher" genügte (BGH, Urt. v. 18.2.1954, Az. 3 StR 872/53).

"Jüdische Händler" – Klischee und Wirklichkeit

Wenige Jahre, nachdem man das Hakenkreuz von der Amtstracht entfernt hatte, erkannten Gerichte in der Mitwirkung "jüdischer Händler" ein Warnsignal dafür, dass im regen Schwarzmarktgeschäft unverzollter Kaffee den Besitz wechselte. Unter anderem galt die Münchener Möhlstraße als illegale Koffein-Quelle, wurde doch von alliierter Seite außerhalb des deutschen Steuerrechts Kaffee an "Displaced Persons" in den "DP"-Lagern ehemaliger KZ-Häftlinge und entwurzelter Zwangsarbeiter abgegeben. Selbst wenn bekannt war, dass etwa die Möhlstraße den vormaligen "Ariern" ebenso wie den überlebenden Juden als beliebter Schwarzmarktplatz diente, galt dem BGH dieser Ort und der jüdische Händler an sich in den 1950er-Jahren als Indiz für notorischen Steuerbetrug im Kaffeegeschäft (Urt. v. 22.11.1951, Az. 4 StR 66/51 und 3.1.1952, Az. 4 StR 594a/51).

Die Untertöne in den BGH-Urteilen waren allerdings harmlos im Vergleich zu den Leistungen des selbsternannten "Sturmgeschützes der Demokratie": Der Spiegel ließ seinerzeit zwei ehemalige SS-Hauptsturmführer, einer von ihnen ein mutmaßlicher Einsatzgruppen-Massenmordhelfer, solange zum Kaffeeschmuggel schreiben, bis die jüdische Gemeinde Bayerns nach dem Antisemitismus im Hause Augstein fragte.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichte der braunen Brühe: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17610 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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