Die Idee, das Verhältnis von Staat und muslimischen Konfessionen mit einem "Islamgesetz" zu regeln, hat zurzeit Konjunktur. Die österreichische Gesetzgebung seit 1912 gilt als vorbildlich. Ein Griff in die Mottenkiste, meint Martin Rath.
Das sogenannte "Islamgesetz 2015", mit dem die Republik Österreich seit eben diesem Jahr die Rechtsverhältnisse von muslimischen Religionsgesellschaften regelt, geht auf ein "Gesetz vom 15. Juli 1912, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft" zurück – so die amtliche Bezeichnung des historischen Gesetzes, unter Nr. 159 abgedruckt im "Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder", 1912, S. 875–876.
Die barock anmutende Fundstelle enthält österreichische Verfassungsgeschichte in Kurzform. Sie wird uns später ein bisschen bei der Einordnung der Islamgesetzgebung helfen:
Seit 1867 agierte der Kaiser von Österreich in Personalunion zugleich als König von Ungarn. Gemeinsam unterhielten beide Reiche im Wesentlichen das Militär und den diplomatischen Dienst sowie ein Finanzministerium für diese zwei Aufgabenbereiche. Im Reichsrat, dem Abgeordneten- und Herrenhaus in Wien, war nur der sog. cisleithanische Teil des Imperiums vertreten – grob über den Daumen gerechnet also das heutige Österreich, Böhmen, Mähren, das südliche Polen, Slowenien und Teile der Ukraine. Für Transleithanien, also Ungarn, das damals u.a. zudem weite Teile Kroatiens und Rumäniens umfasste, galt das österreichische Islamgesetz nicht.
Was das Islamgesetz von 1912 regelte
Den Geltungsbereich des sogenannten Islamgesetzes von 1912 auf diese Weise einzugrenzen, ist nicht allein ein Griff in die historische Mottenkiste – es hilft zu verstehen, unter welchen Bedingungen das Gesetz seinerzeit zustande kam.
Doch bevor wir darauf zurückkommen, zunächst ein kurzer Blick in das Gesetz selbst:
"Den Anhängern des Islams nach hanefitischem Ritus wird in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern die Anerkennung als Religionsgesellschaft im Sinne des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 […], insbesondere des Artikels XV desselben, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gewährt" (Artikel 1).
Diese Bestimmungen gaben – zumeist unter Verweis darauf, dass die Details auf staatlichem Verordnungswege zu regeln seien – nur grob vor, dass (§ 1) die "äußeren Rechtsverhältnisse der Anhänger des Islams" auf "Grundlage der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung" zu regeln seien, wobei die "Kultusgemeinde" als der geografisch-soziale Anknüpfungspunkt ausgemacht wurde. §§ 2 bis 4 erklärten, dass für "das Amt eines Religionsdieners" mit kultusministerialer Genehmigung bosnische Geistliche rekrutiert, dass Regelungen zu gottesdienstlichen Veranstaltungen im öffentlichen Interesse untersagt werden könnten und dass verbrecherische bzw. vermögensdelinquente "Religionsdiener" aus dem Amt zu entfernen seien.
Nach § 5 hatte die zuständige Staatsbehörde darüber zu wachen, dass die Gemeinden bei Androhung unbestimmter Vermögensstrafen "ihren Wirkungskreis nicht überschreiten" – was wohl vorwiegend auf den Wettbewerb muslimischer Gemeinden untereinander zielte. Der muslimischen Religionsgesellschaft und ihren "Religionsdienern" wies § 6 "denselben gesetzlich anerkannten Schutz wie andere(n) anerkannte(n) Religionsgesellschaften" zu.
§§ 6 und 7 öffneten den Weg dahin, die muslimisch-hanefitischen Kultusgemeinden mit jenen standesamtlichen Aufgaben zu betrauen, für die es – neben der staatlichen Behörde für Konfessionslose – bereits Zuständigkeiten etwa der katholischen und jüdischen Gemeindebehörden gab.
Das Versprechen vollständiger Gleichstellung
Da in Cisleithanien das Ehe- und Personenstandswesen im Wesentlichen den Konfessionen zugeordnet war – was nebenbei bemerkt einen Ehe-Tourismus in den ungarischen Reichsteil mit liberalerem Eherecht auslöste – steckte hierin das Versprechen vollständiger Gleichstellung: Ob Geburts- oder Heiratsurkunde, fragen Sie je nach Konfession Ihren Priester, Rabbi oder Imam.
Auch andere Passagen nehmen sich ausgesprochen fortschrittlich aus: Artikel 15 des bis heute geltenden Staatsgrundgesetzes (Nr. 142) vom 21. Dezember 1867 (RGBl. S. 394–396) gibt vor, dass jede "gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft" das "Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung" habe. Eine Vorschrift weiter heißt es dann: "Den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses ist die häusliche Religionsausübung gestattet, in soferne dieselbe weder rechtswidrig, noch sittenverletzend ist."
Auf diese Einschränkung verweist auch noch das 2015 in Kraft getretene neue Islamgesetz Österreichs. In § 3 Absatz 4 heißt es dort: "Mit dem Erwerb der Rechtspersönlichkeit nach Abs. 3 [als islamische Religionsgesellschaft und Körperschaft des öffentlichen Rechts, kraft Verordnung durch den Bundeskanzler, MR] sind jene Vereine aufzulösen, deren Zweck in der Verbreitung der Religionslehre der betreffenden Religionsgesellschaft besteht."
Ein muslimisches Gegenstück beispielsweise zum Katholischen Männerverein Tuntenhausen (Satzung) wäre damit in Österreich unzulässig.
Allerdings umgeht Österreich die Auflösung außerhalb der Körperschaften öffentlichen Rechts organisierter muslimischer Geselligkeit mit einer pragmatischen Lösung: Statt das – nach europäischen Maßstäben fragwürdige – Konzessionsmodell zurückzunehmen, lebt man damit, dass die Vereine etwaige Religionsbezüge aus ihren Satzungen streichen.
Martin Rath, Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 09.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22616 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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