2/2: Sonderregeln für Muslime in Bosnien und der Herzegowina
Unter dem vorletzten Kaiser Österreichs und Königs von Ungarn, Franz Josef I. (1830–1916, seit 1848 im Amt), herrschte eine vergleichsweise aufgeklärt liberale Konfessionspolitik.
Dass in den Kirchen, Synagogen und Moscheen seiner Reiche für das Wohl dieses Landesherrn gebetet wurde, ist legendär. Noch zu Kaisers Geburtstag, am 18. August 1965 stieß man, einer Anekdote des deutschen Diplomaten Jörg von Uthmann zufolge, in einem Restaurant in Tel Aviv auf den Monarchen an – Ausdruck der empfundenen Verbundenheit des Kaisers zu den von Rechts wegen emanzipierten jüdischen Kultusgemeinden des k.u.k. Imperiums.
In die Anerkennungspraxis spielte im Fall der muslimischen Gemeinden auch ein politisches Kalkül hinein, das auf den Gegensatz zwischen österreichischen Anhängern der imperialen Idee und den teils besinnungslos nationalistischen Kreisen Ungarns zurückverweist: Bosnien und die Herzegowina war im Jahr 1878 von Österreich-Ungarn besetzt worden, blieb aber völkerrechtlich Teil des Osmanischen Reichs. Die Annexion erfolgte erst 1908 und machte, neben Spannungen mit den anderen europäischen Mächten, auch den Konflikt zwischen Österreich und Ungarn evident – welcher Reichshälfte sollte das Annexionsgebiet zugeschlagen werden?
Um sich mit der Reichsidee zu profilieren und Widerstände in Bosnien und der Herzegowina zu überwinden, setzte Wien statt auf abstrakt-formelle Gleichstellung aller Konfessionen auf die spezialgesetzliche Anerkennung des islamischen Bekenntnisses durch das Islamgesetz von 1912 – aber auch auf eine auf Bosnien ausgerichtete weitere Gesetzgebung. Beispielsweise enthält die für Bosnien und die Herzegowina erlassene Strafprozessordnung eine Reihe von Regeln, die auf muslimische Empfindsamkeiten ausgerichtet sind, von spezifischen Vorstellungen zur Geschlechterehre – möglichst keine Hausdurchsuchung ohne Mann im Haus – bis zu den Eidesformeln.
Diktat der Mehrheitsgesellschaft statt imperialem Kalkül
Grob zusammengefasst: Das cisleithanische Islamgesetz von 1912 enthielt vor allem in kurzer Form Ermächtigungsgrundlagen, die es dem auf konfessionellen Ausgleich in einer multikulturellen Gesellschaft angewiesenen Imperium erlaubten, die Loyalität der neuen Untertanen zu sichern, indem man ihr vorherrschendes Bekenntnis den anderen Religionsgesellschaften des Reichs gleichstellte. Das Österreich des Jahres 2015 hingegen leistete sich ein Islamgesetz, das an die problematische Einhegung von Bekenntnissen durch Artikel 15, 16 des Staatsgrundgesetzes (Nr. 142) von 1867 anknüpft, ohne sie – über die Streichung von Religionsbezügen in den Satzungen privater Vereine und Stiftungen hinaus – wirklich effektuieren zu können.
Derlei bedient wohl eher die polizeirechtlichen Ordnungsfantasien (vgl. § 31 Abs. 4 Islamgesetz 2015) von Bevölkerungsschichten, die nicht einmal islamfeindlich sein müssen, sondern vielmehr einer seit jeher bestehenden antiklerikalen Tradition unserer südlichen Nachbarn folgen. Befriedigen kann es sie freilich nicht – zumal man sich ja gerade einen weiteren staatsnahen Klerus heranbildet und Organisationsstrukturen verfestigt.
Abgesehen von solch lässlichen Problemen wie der Kultushoheit der deutschen Länder – die Kompetenz hat ja nicht von Schul- sondern von den fürs Kultische zuständigen Ministern ihren Namen – fragt sich, ob man die cisleithanisch-österreichischen Mottenkisten, gefüllt mit der imperialen und antiklerikalen Tradition unseres Nachbarlandes, ernsthaft zum Vorbild nehmen möchte.
Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 09.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22616 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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