Seit Jahren fühlen sich die Vertretungskörperschaften etlicher deutscher Städte dazu berufen, die einst auf ihrem Boden als Hexen verfolgten Menschen "sozialethisch" zu "rehabilitieren". Über die gelegentliche Frage, welchen Sinn das nach weit über 250 Jahren ergeben soll, kommt die Kritik selten hinaus. Mehr als nur Unbeholfenheit entdeckt Martin Rath.
Besonders schön beschloss der Rat der westfälischen Stadt Werl, einer zwar alten, für nordrhein-westfälische Verhältnisse mit gut 30.000 Seelen aber eher beschaulichen Gemeinde, zu einem düsteren Kapitel ihrer Vergangenheit: "Die Rehabilitation der unschuldig gequälten und hingerichteten Opfer der Hexen- und Zaubererverfolgungen in Werl und seinen heutigen Ortsteilen während des 17. und 18. Jahrhunderts ist ein Akt im Geiste der Erinnerung und Versöhnung. Der Rat der Stadt Werl verurteilt diese Gewalt, die an Frauen, Männern und Kindern begangen wurde. Er gedenkt der Opfer, rehabilitiert sie öffentlich und gibt ihnen damit heute im Namen der Menschenrechte ihre Würde zurück."
Als sei die Vorstellung, ein Stadtrat könne vor Jahrhunderten hingerichteten Menschen "ihre Würde" zurückgeben, nicht bizarr genug, beschloss die Vertretungskörperschaft von Werl ausweislich ihres Protokolls vom Dezember 2011 diese "Rehabilitation" noch ganz pragmatisch, aber alles andere als stilsicher zwischen der Neubesetzung des Sparkassenverwaltungsrats und einem Antrag zu landwirtschaftlichen Biogas-Anlagen.
Zuständigkeit: Entschlossenes Nein-Aber
Auch der Rat der Stadt Osnabrück beschloss im September 2012 eine "Rehabilitierung" der auf ihrem Grund als Hexen verfolgten Menschen. Auch dies wurde nicht ohne eine gewisse Geschmacklosigkeit begangen, ordneten die Ratsleute das Anliegen doch einem "strategischen Ziel" des Osnabrücker Stadtmarketings zu: "Die Stadtmarke Friedensstadt wird aufgrund aktueller Aktivitäten erkennbar stärker wahrgenommen."
Mit Blick auf die wichtigste Frage aller deutschen Verwaltungsmenschen, also jener nach ihrer Zuständigkeit, lag dem Osnabrücker Rat zwar die Auskunft vor, dass "eine juristische Rehabilitierung, also eine Aufhebung der damals nach geltendem Recht gesprochenen Urteile" unter anderem deshalb nicht möglich sei, weil schlichtweg "das Heilige Römische Reich deutscher Nation ohne Rechtsnachfolger 1806" untergegangen ist. Über eine sogenannte "sozialethische Rehabilitierung" – also eine Art Schuldbefreiung ohne Rechtsfolgen – wurde gleichwohl unbefangen verhandelt.
Allein im oberfränkischen Bamberg scheint sich die Kommunalpolitik dem Verlangen nach einer "sozialethischen Rehabilitierung" der binnen zweier Jahrhunderte deutschlandweit maximal rund 30.000 wegen Hexerei hingerichteten Männer und Frauen aus Zuständigkeitsgründen zu verweigern.
Die örtliche CSU argumentierte, dass bei Justizunrecht der "moralischen" Rehabilitation die juristische Aufhebung der Fehlurteile vorangehen müsse, was dort dem Freistaat Bayern als Rechtsnachfolger des Hochstifts Bamberg obliege. Auf dieses klare Argument, dass – wenn überhaupt – der juristische vor dem moralischen Defekt zu beheben sei, gab der berufene CSU-Stadtrat, ein studierter Historiker und promovierter Philosoph, derweil leider eine eher krude Auskunft. Anders als Bamberg könne zum Beispiel der Stadtrat von Köln aus eigenem Recht auch eine juristische Rehabilitation beschließen, weil die ehemals freie Reichstadt einst auch aus eigenem Recht Hexen verfolgt habe.
Martin Rath, Recht & Moral: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11415 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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