Heute vor 50 Jahren traf der BGH zwei unverfängliche Entscheidungen zu Folgeschäden des Zweiten Weltkriegs. Ihnen voraus gingen zwei Gesetze und ein politischer Streit, der die junge Republik in Lager gespalten hatte.
Zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. Oktober 1969 zählten zu den ersten, die zum neuen Reparationsschädengesetz (RepG) vom 12. Februar 1969 ergingen.
Nachgegangen wurde in diesen Urteilen der Frage, ob und wie es der Bundesrepublik zuzurechnen sei, dass die westlichen Besatzungsmächte in den ersten Jahren nach dem Krieg unter anderem wertvolle Maschinen westdeutscher Unternehmen hatten demontieren lassen, um sie Betrieben im eigenen Land zuzuführen.
Doch bildete das neue RepG auch den vorläufigen Endpunkt einer Kontroverse in der Bundesrepublik, in der sich insbesondere FDP- und CDU/CSU-Politiker bis hin zur Position verstiegen hatten, die Rückgabe jüdischen Eigentums aufgrund alliierter Gesetzgebung sei ebenso unrechtmäßig wie dessen unter Druck erfolgte "Arisierung" im NS-Staat.
Entzug von Eigentum nach dem Krieg von Art. 14 GG betroffen?
An einem der beiden Urteile lässt sich der unverfänglichere Teil der übergreifenden Problematik erläutern, wie mit den alliierten Eingriffen in deutsche Eigentumsverhältnisse umzugehen sei – wegen der Komplexität der Argumentation wird sie hier aber eher grob skizziert (BGH, Urt. v. 13.10.1969, Az. III ZR 188/68).
Auf Anweisung der französischen Militärregierung waren im Jahr 1947 aus einem rheinland-pfälzischen Industriewerkzeug-Unternehmen Drehbänke, Fräs-, Schleif- und Hobelmaschinen demontiert und nach Frankreich abgeliefert worden.
Bereits die Zulässigkeit der Klage war zweifelhaft. Nach § 3 Abs. 2 Gesetz zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden vom 5. November 1957 konnten unter anderem der Ersatz für Schäden, die durch die Entziehung privater Vermögenswerte seitens der Alliierten zum Zweck der Reparation oder Restitution entstanden waren, vom Bund oder anderen öffentlichen Rechtsträgern "bis zum Inkrafttreten der vorbehaltenen gesetzlichen Regelung nicht verlangt werden".
Das Landgericht hatte diese auch als "Klagestopp" bekannt gewordene Regelung dahin verstanden, dass die Klage unzulässig sei. Das Oberlandesgericht erkannte aber – verkürzt gesagt – jedenfalls das Bedürfnis, die Höhe der seinerzeitigen Schäden gerichtlich klären zu lassen – auch wenn sie weiterhin unreguliert bleiben mochten.
Die Eigentümer des Industriewerkzeug-Unternehmens wünschten eine Klärung, ob die Bundesrepublik aus Gründen der Aufopferung oder Enteignung, der ungerechtfertigten Bereicherung, der Geschäftsführung ohne Auftrag, aus völkerrechtlichen oder aus Gründen einer Amtspflichtverletzung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sei, der durch die französische Demontage entstanden war.
Der BGH nahm zu den einzelnen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen ausführlich Stellung. Dabei billigte er dem (Verfassungs-)Gesetzgeber insbesondere zu, den Zusammenbruch des Deutschen Reichs als einen Staatsbankrott zu behandeln und auch noch die Eingriffe von alliierter Seite nach dem eigentlichen Kriegsende diesem Gesamtschaden zuzurechnen – er sei auch im Wesentlichen frei darin gewesen, ob und wie er die Gläubiger später mit Blick auf ihre soziale Bedürftigkeit und/oder die verloren gegangenen Vermögenswerte schadlos halten wollte.
In der Regelung dieses Ausgleichs zwischen Leistungs- und Vermögensinteressen sei der Gesetzgeber nicht an Art. 14 Grundgesetz (GG) gebunden.
Weil er in dieser Hinsicht an der Verfassungsmäßigkeit des Reparationsschädengesetzes vom 12. Februar 1969 nichts auszusetzen hatte, konnte sich der BGH aus der Sache dann auch verabschieden – das Gesetz hatte die Klärung der konkreten Entschädigungsfragen dem Verwaltungsrechtsweg zugeordnet.
Erinnerungspolitische Entscheidung in Sachen "Arisierungen"
30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist man leicht geneigt, das RepG neben dem altägyptischen Pyramidenplanungsrecht oder dem alliierten Kraftfahrtschadensrecht (z. B. BGH, Urt. v. 28.09.1978, Az. III ZR 203/74) als erledigte Angelegenheit zu betrachten.
Bemerkenswert – und ungebührlich vergessen – wirkt aber die politische Vorgeschichte des Gesetzes: Wie der Historiker Jürgen Lillteicher (1968–) in seiner 2002 vorgelegten Dissertation zur Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte, stand das Gesetz auch am vorläufigen Ende einer erinnerungspolitischen Kontroverse, deren Argumente heute vielfach stark befremden müssen.
Denn nicht nur die Demontage-Praxis der Alliierten wie im Fall der aus Rheinland-Pfalz nach Frankreich entführten Werkzeugmaschinen war Gegenstand des Gesetzes, sondern auch die von den Amerikanern, Briten und Franzosen angeordneten Rückübereignungen von Gütern jüdischer Eigentümer, die ihnen nach 1933/1935 im Rahmen der sogenannten Arisierungen genommen worden waren.
Das von den Alliierten nach 1945 gesetzte Recht hatte bei der Rückübereignung keine Rücksicht auf die Regeln des BGB zum gutgläubigen Erwerb genommen. Hatte beispielsweise ein "Arier" unter zweifelhaften Bedingungen zwischen 1933 und 1945 Eigentum an Wertgegenständen aus jüdischem Besitz erworben, war nach alliiertem Recht vielfach die Rückübereignung an den Alteigentümer angeordnet worden, ohne ihm die volle Beweislast für die Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts aufzubürden.
Vor allem für den Zeitraum nach Inkrafttreten der "Nürnberger Gesetze", 1935, bestand nach alliiertem Recht gegen den Erwerber die – angesichts der Zeitumstände oft schwer – widerlegbare Vermutung, dass die "Arisierung" unter Druck, wenn nicht unter Zwang und Überlebensnot erfolgt war.
In ihrem sachlichen Kern regelten §§ 5, 15 Absatz 2 Reparationsschädengesetz Fälle, in denen aus deutscher Sicht die "Arisierung" nicht daran krankte, "ohne angemessene Gegenleistung", mittels sittenwidrigem Rechtsgeschäft, durch Drohung oder widerrechtliche Handlung erfolgt zu sein.
War beispielsweise das Grundstück eines jüdischen Eigentümers in einer Zwangsversteigerung von seiner Sparkasse erworben worden, um ihre Forderungen gegen ihn zu retten, ging das alliierte Restitutionsrecht von der Vermutung aus, dass durch die allgemeine Zwangssituation kein sauberes Geschäft vorlag – hatte die Sparkasse das Grundstück beispielsweise später weiterveräußert, musste es der Zweiterwerber dem jüdischen Alteigentümer zurückgeben.
Während sich der Zweiterwerber an der Sparkasse schadlos halten konnte, eröffneten §§ 5, 15 Absatz 2 RepG dem Kreditinstitut nunmehr die Möglichkeit, einen Entschädigungsanspruch gegen den Bund geltend zu machen.
Entschädigung der Räuber dafür, ihre Beute wieder abgegeben zu haben?
Nach Einschätzung von Lillteicher griffen die Bestimmungen des Reparationsschädengesetzes hinreichend streng, sodass tatsächlich nur Ausgleichszahlungen an "arische" Zwischeneigentümer flossen, die zwischen 1933/35 und 1945 mit der Aneignung jüdischen Besitzes keine Wette auf einen erfolgreichen Völkermord geschlossen hatten.
Beeindruckend ist jedoch, in welcher Schärfe sich namentlich Politiker der FDP dafür aussprachen, eine – im Vergleich etwa zu den deutschen Flüchtlingen aus Ostpreußen, Danzig, Pommern und Schlesien – bevorzugte Behandlung von Arisierungsgewinnern im System des Kriegslastenausgleichs zu erreichen.
Der rheinland-pfälzische FDP-Landtagsabgeordnete Alfred Steger (1898–1967) setzte etwa als Vorsitzender des "Bundesverbands der Rückerstattungsgeschädigten" die Rückübereignung ohne Weiteres mit dem Unrecht der "Arisierung" gleich und erklärte – in maßloser Überschätzung der später nach dem RepG in fairer Weise Entschädigten – in einem offenen Brief an den Deutschen Bundestag:"Durch die Gesetze der alliierten Militärregierungen wurde das Recht gebeugt. Es muss wieder aufgerichtet werden. Dazu erbitten wir ihre [sic] Hilfe nicht zuletzt im Interesse der Demokratie. Denken Sie daran, dass es über 300.000 Rückerstattungsgeschädigte gibt, d. h. mit ihren Angehörigen über 1 Million Menschen, die nicht mehr an das Recht glauben können und in einen unüberwindlichen Gegensatz zum Staat getrieben werden, wenn man ihre Rechte weiterhin mit Füßen tritt."
Vom "Verband der Judengeschädigten"
Zu den führenden Köpfen der Lobbyarbeit für eine großzügige Entschädigung jener "Arisierer", die das Eigentum kraft alliierten Rechts wieder hatten herausgeben müssen, zählte auch der CDU-Politiker Ernst Schlapper (1888–1976), langjähriger Oberbürgermeister von Baden-Baden und Herausgeber der Monatszeitschrift "Die Restitution".
In seiner "Bundesvereinigung für loyale Rückerstattung" sammelten sich bundesweit Organisationen, die teils explizit als "Verband der Judengeschädigten" firmierten. In dieser Lobby fanden sich nicht nur mehr oder weniger gutgläubige Zweit- oder Dritterwerber, sondern auch jene, die der Sache der Rückübereignung schlechthin feindselig gegenüberstanden.
Wenn das RepG ihre Vorstellungen letztlich nicht im gewünschten Maß bediente, hatte das vermutlich mit der Lautstärke dieser Arisierungsverteidiger selbst zu tun: Die CDU/CSU-SPD-Bundesregierung befürchtete böses Blut unter der Wählerschaft, sollten die wenigen Zehn- oder Hunderttausend "Ariseure" deutlich besser entschädigt werden als die vielen Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen.
Es mag heute erstaunen, dass hier bis ins Herz des "bürgerlichen" Lagers das Selbstmitleid über Vermögensverluste im Rahmen der Restitution das Mitgefühl mit den Opfern der Shoa überwog – wenn man sich nicht überhaupt selbst als das eigentliche Opfer sah.
Dies gehört zur gern vergessenen Tradition des Antisemitismus in Deutschland und zu den Diskursen selbsterklärter Opfer der Geschichte. Immerhin lässt sich das mit Blick auf das unverfängliche BGH-Urteil vom 13. Oktober 1969 leicht wieder ausgraben.
Tipp: Die Dissertation von Jürgen Lillteicher enthält detaillierte Darstellungen von Rechtsproblemen zu diesem Komplex, die sehr knifflig sind.
Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38141 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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