Dass die Tötungsdelikte im deutschen StGB reformiert werden sollten, gilt als ausgemachte Sache. Man findet es nicht mehr schön, dass sie einst durch "Führergesetz" ihre im Kern bis heute gültige Form erhielten. Martin Rath zweifelt ob die aktuellen Reformbemühungen weit genug greifen werden. Zur Illustration stellt er ein Buch über teils populäre, teils irrsinnige Fälle vor.
"Der Mörder wird mit dem Tode bestraft." - Der ursprüngliche Wortlaut des § 211 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), der am 15. September 1941 in Kraft trat, hat seither bekanntlich nur Änderungen in der Strafandrohung, zunächst in "lebenslanges Zuchthaus", dann "lebenslange Freiheitsstrafe" erfahren.
Um die merkwürdige Formulierung: "Der Mörder wird … bestraft", die als Ergebnis der NS-nahen Tätertypenlehre gilt, hat sich die deutsche Nachkriegsjustiz jedoch wenig gekümmert und sich stattdessen auf die konkreteren Merkmale im zweiten Absatz des Mordtatbestandes gestützt. Unbestimmte Mordmerkmale wie der "sonstige niedere Beweggrund" wurden einigermaßen eingegrenzt. Die an sich zwingende lebenslange Freiheitsstrafe kann, unter freilich schwer zu kalkulierenden Umständen, vermieden werden. Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof nahmen ihr schließlich nach 1977 den Charakter einer Art Ersatztodesstrafe, als die sie durch die Fantasie vieler Menschen geistert.
In ihrer Praxis hat sich die deutsche Rechtsprechung damit erheblich vom ursprünglichen Plan des Gesetzgebers entfernt. Unter den "Gedanken über das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches", die beispielsweise der damalige Staatssekretär im Reichsjustizministerium in der rechtswissenschaftlichen Zeitschrift "Deutsche Justiz" (1941, S. 929-938) hinterließ, findet sich unter anderem die Idee, dass man auf den Absatz 2 des § 211 – "Mörder ist, wer …" eigentlich hätte verzichten können. Denn der deutsche Richter wisse auch so, wer und was ein Mörder sei, der die Todesstrafe verdiente.
Spät wiederentdeckte Reformbegründung
Es war der promovierte Jurist Roland Freisler (1893-1945), der diese recht originäre Interpretation des Mordtatbestandes 1941 veröffentlichte. Dass der deutsche Richter zur Aburteilung von Mördern keine tatbestandlichen Konkretisierungen, sondern nur einen vagen Befehl des Gesetzgebers und das "gesunde Volksempfinden" benötige, war zu diesem Zeitpunkt gewiss nicht unplausibel.
Unter der Herrschaft des Grundgesetzes haben die Gerichte glücklicherweise den denkbar weitesten Abstand von diesem ursprünglichen Plan der Norm nehmen können. Daher ist es verständlich, wenn der Bremer Jurist Michael Köhne im aktuellen Heft der Zeitschrift "myops" (Nachrichten aus der Welt des Rechts, Nr. 24, 2015, S. 53-58) leichte Verwunderung darüber ausdrückt, dass es nun vorrangig die nationalsozialistische Vorgeschichte des geltenden Tötungsstrafrechts sein soll, die "Öffentlichkeitswirksamkeit von Bezügen zu dunkler Vorzeit", mit der Politiker bis hin zu Bundesjustizminister Heiko Maas die – wie man in diesen Kreisen wohl sagt – "angedachte" Reform der §§ 211 ff. StGB begründen möchten.
Absolute Strafandrohung und andere Baustellen
Köhne vermutet schon jetzt, dass die Bemühungen um eine Reform des Tötungsstrafrechts zu kurz greifen werden. Die Auswahl der rechtswissenschaftlichen Gutachter und Berater des Ministers lasse keine Richtung erkennen, die eine Reform nehmen könnte. Nicht unwahrscheinlich sei, dass es am Ende zu einer eher sprachlichen Korrektur komme, weil sich auf politischer Seite beispielsweise niemand ernsthaft wagen werde, die absolute Strafandrohung aus dem Gesetz zu nehmen.
Im Kalkül politischer Opportunität ist an einer absoluten Strafandrohung wenig verkehrt: Zunächst liebt die Boulevardpresse den Nachgeschmack der Ersatztodesstrafe. Um "Einzelfallgerechtigkeit" bemühten sich zudem bis zur "Lebenslang"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1977 die Ministerpräsidenten mit großzügiger Gnadenrechtsausübung, seit 1977 die Rechtsprechung mit ihren etwas verwinkelten und schwer berechenbaren Zügen. Profilieren kann man sich mit diesem Aspekt nicht mehr.
Aber mit welchen Details vielleicht doch? Der verwinkelten und schwer berechenbaren Rechtsprechung zu Tötungsdelikten widmet der in Berlin lebende Jurist und Publizist Ernst Reuß seine Fallsammlung "Mord? Totschlag? Oder was? Bizarres aus Deutschlands Strafgerichten" (Leipzig, 2014).
Man sollte sich nicht weiter am etwas reißerischen Titel stören (wir sind hier nicht sensibel) und auch nicht daran, dass es sich auf den ersten Blick um eine Arbeit zu überwiegend sehr bekannten Lehrbuchfällen – "Sirius" und "Katzenkönig" sind auch dabei – handelt. Denn der Leser wird durch eine ganze Anzahl von Auskünften zu Mord- und Totschlagsprozessen belohnt, die teils nicht bekannt, teils wieder in Vergessenheit geraten sind. Und einen kleinen Beitrag zur Reform des Tötungsstrafrechts mag man Reuß‘ "Mord? Totschlag?" auch entnehmen.
Martin Rath, "Mord? Totschlag? Oder was?": . In: Legal Tribune Online, 17.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15537 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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