Juristenausbildung im Mittelalter: Ein Moot Court mit dem Teufel

von Martin Rath

01.05.2016

2/2: Replik, Duplik und ein absurdes Plädoyer

Nachdem die Sache des Teufels unter gewöhnlichen zivilrechtlichen Ansprüchen gescheitert ist, verlangt sein Anwalt, "in rem" zu entscheiden – grob gesagt erhebt er die Forderung, die gestörte Besitzordnung aus objektiven Rechtsgründen wiederherzustellen, appelliert an den Richter als Hüter dieser Ordnung mit dem korrekten Argument: Gott selbst habe nach biblischem Wort verfügt, dass jeder, der verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse äße (Genesis 2:17), des Todes sei.

Dem begegnet die jungfräuliche Anwältin der Menschheit, der Satan selbst habe seinerzeit Adam und Eva zum Verzehr der verbotenen Frucht angestiftet, mithin habe er kein Recht dazu, die Früchte aus seinem bösartigen Verhalten zu ziehen, also die Seelen der nachadamitischen Menschen zu besitzen.
Auf diese Duplik antwortet der Anwalt des Teufels, dass in diesem Fall das menschliche Fehlverhalten unbestraft bleibe, weshalb der göttliche Richter gegen die Sache der Menschheit zugunsten der Höllenstrafe zu entscheiden habe.

An dieser Stelle fällt die Jungfrau Maria auf die Knie, öffnet ihr Gewand und zeigt dem Richter – der, wie erwähnt, nebenbei ihr göttlicher Sohn ist – die Brüste, um ihn an seine Pflichten als ihr und damit auch der Menschheit zugehöriges Kind zu erinnern.

An heutigen Hochschulen möchte man sich diese Lehrstoffpräsentation vielleicht doch nicht vorstellen.

Woher der "Anwalt des Teufels" kommt

In dem theatralischen Satansprozess kreuzen sich noch weitere Argumente. Manchem kann man noch immer, insbesondere unter deutschen Juristen, begegnen. Über den Anspruch des Teufels "Herr dieser Welt" zu sein, zerbricht man sich beispielsweise auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts im weiten Freundeskreis von Carl Schmitt (1888-1985) weiterhin den Kopf.

Nach Auffassung Coulsons Auffassung waren die Teufelsprozesse eine interessante Methode, mittelalterlichen Jungjuristen wichtige Elemente ihres Fachs zu vermitteln – trotz oder gerade wegen der oftmals grotesken Formen dieser Form akademischen Theaterspiels.

Während man sich hierzulande, wenn überhaupt, nur sehr gedankenschwer den Schnittstellen von Theologie und Rechtswissenschaft nähert, zeigt Coulson einige heitere und trotzdem seriöse Erkenntnisse. Entgegen dem heute allgemein üblichen Verständnis, sich unter einem "Anwalt des Teufels" einen Juristen vorzustellen, der bereit ist, für die Sache seines Mandanten alle Register zu ziehen, ist es im Processus Satahanae die Vertreterin des Guten, der jedes Mittel recht ist. Dem armen Mascaron bleibt immer wieder nur, förmlich auf verbrieften Rechten zu beharren, während die Mutter Gottes mit Gnade und Billigkeit argumentiert, als hätte sie persönlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip erfunden.

Den Satan wieder zu Ehren kommen lassen?

Als Figur, die dazu taugt, arme Hexen und Hexer fachgerecht zu Tode zu bringen, eignet sich der Satan nicht mehr. Skurrile Lehrstücke wie der Processus Satahanae, dessen Wiederaufführung doch den Unterhaltungswert eines Moot Courts mit Monty-Python-Besetzung hätte, haben im Lehrplan der rechtwissenschaftlichen Fakultäten wohl keinen Platz.

Ganz überholt ist der Satan trotzdem nicht. Immanuel Kant (1724-1804), der Königsberger Meisterdenker, erklärte immerhin: "Das Problem der Staatseinrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln auflösbar […]", soweit sie sich – grob formuliert – in der Öffentlichkeit Gesetzen unterwerfen, als ob sie insgeheim keine bösen Gesinnungen hätten.

Wenn also schon mit Teufeln ein gescheiter Staat zu machen ist und bereits mittelalterliche Jungjuristen lernten, dass der Satan bei billig und gnädig durchgeführten Prozessen den Kampf um die Seelen stets verliert – wie kommt man dann heute eigentlich wieder dazu, weite Teile der Menschheit als staats-, vernunft- oder demokratieunfähig zu verteufeln?

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Juristenausbildung im Mittelalter: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19257 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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