Ermittlungen gegen Netzpolitik: Spiegel-Affäre und Netz­po­litik: Gemein­sam­keiten und Unter­schiede

von Martin Rath

02.08.2015

Dem Magazin Netzpolitik wird publizistischer Landesverrat vorgeworfen. Schon werden Vergleiche mit der Spiegel-Affäre von 1962 gezogen. Beides könnte Unsinn sein: die Ermittlungen ebenso wie der historische Vergleich.

Dieser Tage ging Markus Bekedahl, dem presserechtlich verantwortlichen Betreiber von netzpolitik.org, und seinem Kollegen Andre Meister als Verfasser zweier Online-Artikel ein Schreiben des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (BGH) zu. Vom Oberstaatsanwalt beim BGH, Michael Greven, wurden die zwei davon in Kenntnis gesetzt, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Landesverrats nach §§ 94 Abs. 1 Nr. 2, 25 Abs. 2 und 53 Strafgesetzbuch (StGB) eingeleitet worden sein.

In den Reaktionen wurden bereits Vergleiche zur Spiegel-Affäre des Jahres 1962 gezogen, in der letztmals – jedenfalls soweit es die breite Öffentlichkeit betraf – gegen Journalisten wegen des Verdachts publizistischen Landesverrats ermittelt wurde. In der Süddeutschen Zeitung vom 30. Juli führten die Redakteure Hans Leyendecker und Georg Mascolo die bisherige Zurückhaltung der Generalbundesanwaltschaft bei ähnlichen Vorgängen auf allgemeinpolitische Erwägungen zurück.

Es fragt sich, ob Journalistinnen und Journalisten, die zu sicherheitspolitischen Fragen schreiben, stets Gefahr laufen, den Nachfolgern von Franz-Josef Strauß und Siegfried Buback auf die Füße zu treten.

Der Vorgang und die medialen Reaktionen sind schwer fassbar: Die Ermittlungen vergreifen sich womöglich an einem arg hochgehängten Tatbestand, der Vergleich mit der Spiegel-Affäre ist schief und auch der Gedanke, es sei  ins allgemeinpolitische Belieben der Bundesanwaltschaft gestellt, sich beim Vorwurf des "publizistischen Landesverrats" zu regen, löst Kopfschütteln aus.

Spiegel-Affäre – ein kurzer Rückblick

Am 23. Oktober 1962 erging neben Haftbefehlen gegen Rudolf Augstein, Herausgeber von Der Spiegel, und den Redakteur Conrad Ahlers ein umfassender Durchsuchungsbefehl, der sämtliche Geschäftsräume und Archive des Magazins in Bonn und Hamburg betraf. Anlass gab die am 10. Oktober 1962 publizierte Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit".

Der Artikel thematisierte die überaus schwachen Leistungen der Bundeswehr bei der NATO-Übung "FALLEX 62". Das vom ermittelnden Staatsanwalt Siegfried Buback angeforderte militärkundliche Gutachten vom 18. Oktober 1962 hielt den Spiegel-Verantwortlichen einige Verratsmomente vor: So könnten die Geheimdienste der Sowjetunion aus dem Artikel beispielsweise folgern, dass es unter NATO-Militärs und -Politikern erhebliche Meinungsunterschiede gebe. Auch könnten sich die feindlichen Mächte das schwache westeuropäische Atombomben-Potenzial ausrechnen.

Der Vorwurf, mit der journalistischen Aufbereitung von Daten zur äußerst begrenzten militärischen Schlagkraft der westdeutschen Streitkräfte einen "publizistischen Landesverrat" nach §§ 99, 100, 100c StGB a.F. begangen zu haben, war ein wenig wackelig. In vielem trug der Spiegel Auskünfte zusammen, die bereits öffentlich bekannt waren. Um beispielsweise die Schwäche der westeuropäischen Atomrüstung anhand der Reaktorstandorte zu ermitteln, brauchte es kein Diplom in Kernphysik und keiner "Verräter" aus Hamburg.

Im Rückblick betrachtet mutet die Spiegel-Affäre, die hier ausführlich geschildert ist, wie eine Geschichte an, aus der die tatverdächtigen Journalisten, aber auch ihre politischen Kontrahenten als Gewinner hervorgingen. Das Bundesverfassungsgericht adelte in der justizirellen Aufbereitung der Spiegel-Affäre die deutsche Presse – vom Vereinsblatt der Taubenzüchter zu Bottrop bis zum "Sturmgeschütz der Demokratie" (Teilurteil vom 05.08.1966 , Az. 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64):

"Der Funktion der freien Presse im demokratischen Staat entspricht ihre Rechtstellung nach der Verfassung. Das GG gewährleistet in Art. 5 die Pressefreiheit. Wird damit zunächst - entsprechend der systematischen Stellung der Bestimmung und ihrem traditionellen Verständnis - ein subjektives Grundrecht für die im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen gewährt, das seinen Trägern Freiheit gegenüber staatlichem Zwang verbürgt und ihnen in gewissen Zusammenhängen eine bevorzugte Rechtstellung sichert, so hat die Bestimmung zugleich auch eine objektiv-rechtliche Seite. Sie garantiert das Institut ‚Freie Presse‘. Der Staat ist […] verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen."

Weise Worte, aber aktuell vonnöten? Die inkriminierten Beiträge des Magazins Netzpolitik machen publik, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Personalbestand für die Internetüberwachung aufstockt und sich technisch mit allem rüsten will, was eine – verfassungsrechtlich womöglich bedenkliche – Überwachung des Internets ermöglicht. Fiel es 1962 schon schwer, im Bericht des Spiegel ein schützenswertes Staatsgeheimnis zu erkennen, so gilt dies für die Publikation der lediglich als "vertraulich" eingestuften Unterlagen des Verfassungsschutzes erst Recht.

Wer um des Staates Willen nicht vorsichtig genug sein kann, mag vielleicht auch gegen lokale Käseblätter ermitteln, weil sie mit Auskünften zu Defiziten von Katastrophenübungen zauselbärtige Selbstmordkrieger ins Land locken könnten.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Ermittlungen gegen Netzpolitik: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16462 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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