2/2: Rechtsprobleme mit leckerem Känguru
Bekanntlich liefert die sogenannte islamische Paralleljustiz in Deutschland nicht selten Anlass zu öffentlicher Empörung. Für die nähere Differenzierung zwischen zulässiger privater Schiedsgerichtsbarkeit und malignen Formen familiärer oder ethnischer Anmaßungen von Strafgewalt ist hier kein Platz.
In unserem Zusammenhang ist aber von Interesse, dass die Gelehrten des islamischen Rechts durchaus jugendgerechte Angebote zu einer fröhlichen juristischen Rabulistik machen, mit dem ein erster Schritt zur Entfremdung gegenüber dem deutschen Recht getan sein mag. Und von so viel lustiger Rabulistik und Vertrauen in die Erklärungsmacht der Rechtsgelehrten sollte man sich etwas abschauen – womit wir beim Känguru sind.
In einem Online-Forum für Freunde der schiitischen Geschmacksrichtung des Islam beispielsweise findet sich die Frage, ob Kängurufleisch halal ist, also nach muslimischen Speisegesetzen verzehrt werden darf, und, sollte dies nicht generell verneint werden, wie die Tötung beziehungsweise Schlachtung von Wildtieren vonstatten zu gehen habe.
Auch die türkische Religionsbehörde Diyanet als Vertretung der mehr sunnitischen Geschmacksrichtung des Islam hat sich bereits mit der Verzehrfähigkeit von Kängurufleisch befasst und ein entsprechendes Rechtsgutachten veröffentlicht.
Auslegungsdogmatik am Beispiel des Kängurus
Man wird sich nun vielleicht fragen, warum ausgerechnet solch absurde Beispiele für Rechtsprobleme aus orientalischen Normsystemen dazu einladen sollten, mehr juristisch qualifizierte Dozenten an die deutschen Schulen zu locken. Wer die Befähigung zum Richteramt hat, so die einfache Antwort, ist dazu ausgebildet worden, auf höchstem Niveau kritisch mit Normen, Rechtsgutachten und Präjudizien umzugehen.
Vor allem der deutsche Volljurist hat dabei in den vergangenen hundert Jahren bewiesen, dass er noch die absurdesten Normen ernstzunehmen in der Lage ist: Welche Norm gilt? Wie ist ihr Wortlaut auszulegen? In welchem Zusammenhang steht sie? Ist der Sachverhalt unter sie zu subsumieren? Wie kommen höherrangige Normen ins Spiel?
Was sagt uns "die Schrift" – sei es ein heiliges Buch oder das Gesetz? Nicht ganz zufällig entstanden die moderne protestantische Theologie mit ihrer Kritik an allzu unbedarfter Gläubigkeit und wesentliche Methoden der heutigen Rechtswissenschaft einigermaßen parallel an den deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts. Wäre es nicht eine schöne List der Vernunft, würden Anwälte Kindern beibringen, wie man Texte aller Art nach den Regeln ihrer gewitzten Kunst auslegen kann?
Recht hilft aus postmoderner Standpunktlosigkeit
Natürlich ist dies ein Maximalziel. Doch den wirklich heiligen Ernst im Umgang mit Texten können heute nur Juristen ernsthaft vertreten und ihn so – hoffentlich - Schülern vermitteln. Im schulischen Alltag gibt es ihn nicht. Da heißt es: Interpretiere das Gedicht und gebe deine begründete Meinung dazu ab. "Begründete Meinung" wiederum heißt: Süßer Senf, bitte nicht zu scharf. Freiheit, Leben und Vermögen hängen von solchen Interpretationen eben nicht ab.
Dass es bei einer Auslegung auf etwas ankommt, wo lernen junge Menschen das denn noch in einem öffentlichen Palaver, in dem jeder politische Standpunkt demoskopisch getestet und PR-mäßig weichgespült wird?
Und natürlich tut auch platte Rechtskunde allein schon not. Über Handyverträge wollen Jugendliche unterrichtet sein und darüber, ob sie Dateien legal herunterladen. Und wenn demnächst das neue Sexualstrafrecht mit seinen schändlich unbestimmten Begriffen auf das noch unbedarfte Paarungsverhalten der Pubertierenden stößt, werden Anwältinnen und Anwälte vielleicht noch froh sein, wenn sie mit den jungen Männern und Frauen nur über die Rabulistik des Kängurus sprechen brauchten.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.
Martin Rath, Juristische Allgemeinbildung: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20152 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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