Juristische Allgemeinbildung: Mehr Rechts­wis­sen­schaft an Schulen

von Martin Rath

31.07.2016

Bald gehen die nächsten Schulanfänger an den Start, aber lernen die Kinder wirklich alles Wichtige? Dass ein Bedarf an juristischer Rabulistik existiert, belegt nicht zuletzt eine Auslegungsfrage zum Verzehr von Kängurus. Von Martin Rath.

Der Berliner Publizist und Philosoph Mathias Greffrath (1945–) rieb sich bereits in den 1980er Jahren bei der Feststellung die Augen, dass die Kinder an den deutschen Schulen so gut wie nichts über die drei Themen, die wirklich wichtig in ihrem Leben sein würden, lernten: Medizin, Ökonomie und natürlich Recht.

Stellt sich die Frage nach dem Status Quo: Hat sich - um nur das Recht aufzugreifen - daran bis heute wirklich etwas verändert?

Zwar hat die LTO etwa über die Bemühungen im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland berichtet, über freiwillige Arbeitsgemeinschaften den Schülerinnen und Schülern der Klassen 9 oder 10 ein wenig vom Recht in Deutschland zu vermitteln. Die Zahl von rund 850 ehrenamtlichen Dozenten allein in Nordrhein-Westfalen ist auf den ersten Blick beeindruckend. Doch die Statistik relativiert das rühmenswerte Engagement einzelner Juristen leider sehr deutlich: Allein den Jahrgangsstufen 9 und 10 gehörten im jahrgangsstärksten Land der Bundesrepublik im Jahr 2015 nicht weniger als 305.898 junge Menschen an. Im besten Fall kommen auf einen Rechtsgelehrten im Schulbetrieb also rund 360 Schüler.

Und dann sind da noch 2,2 Millionen weitere…

Die Versorgung der rund 2,2 Millionen weiteren Schülerinnen und Schüler in den anderen Bundesländern wird damit noch nicht einmal abgebildet. Im besten Fall erfahren sie später bei der Aufnahme einer entsprechenden Ausbildung etwas an den Berufsschulen über das eigenwillige kaufmännische Zivilrecht. Oder, noch während der Schulzeit, mit etwas Glück im Geschichts- oder Politikunterricht einige Trivialitäten über das Grundgesetz.

Nicht unwahrscheinlich ist es also, dass sich die gruselige Praxis, den jungen Leuten erst zum Abitur einen billigen Druck des Verfassungstextes auszuhändigen, bis heute gehalten hat. Dabei hätte man im Zwangssystem Schule ja schon früher etwas damit anfangen können.

Großartige Jugendbücher wie "100 × Bürgerrecht" mit Texten zu den Grundrechten (1979), verfasst vom ehemaligen Spiegel-Korrespondenten in Karlsruhe, Rolf Lamprecht (1930–), und illustriert von der großartigen Marie Marcks (1922–2014), beweisen, dass man schon aus 12-Jährigen glühende Verfassungspatrioten machen kann.

Kinder können früher Recht lernen als sie dürfen

Der autobiografische Selbstversuch des Autors – das autodidaktische Studium von Lamprecht/Marcks als 12-jähriger Realschul-Dötz – wird nicht den höchsten Beweiswert für die Argumentation haben, mehr Recht an Schulen zu unterrichten. Bemerkenswert mag aber sein, dass einer der Hausgötter der pädagogischen Wissenschaften, der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget (1896–1980), das Alter von etwa 12 bis 15 Jahren als jene Phase definiert, in der der Mensch befähigt ist, formale Operationen intellektuell zu bewältigen: Er schafft es nun, Probleme vollständig auf einer hypothetischen Ebene zu lösen – später im (Juristen-)Leben besser bekannt als Falllösungstechnik.

Mit Blick in die Schulstatistik allein von Nordrhein-Westfalen tut sich nun der Greffrath’sche Abgrund auf: Rund 800.000 Kinder fallen in diese Altersklasse, in der – folgt man der Doktrin Piagets – grundlegende Kenntnisse zum deutschen Recht vermittelt werden könnten.

Bei der Frage, ob dies denn notwendig sei – und überhaupt, nicht dass die Kinder hinterher auf den Gedanken kommen, sie müssten später alle einmal Jura studieren – kommen wir auf das Känguru zu sprechen. Denn dieses sprunghafte Stück australischer Fauna bietet ein beeindruckendes Beispiel für den Hunger junger Menschen nach normativer Unterweisung.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Juristische Allgemeinbildung: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20152 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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