Rezension zu Gerhard Strates "Der Fall Mollath": Natürlich kein neutrales Buch

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller

12.12.2014

2/2: Nur punktuelle Justizkritik

Im Vergleich zur Kritik an der forensischen Psychiatrie, die prinzipiell und unversöhnlich vorgetragen wird, tritt die Justizkritik im Buch etwas in den Hintergrund. Sie bezieht sich jedenfalls nicht auf das Gesamtsystem Justiz oder auf grundsätzliche Konstruktionsfehler bei der justiziellen Anwendung der §§ 20, 21, 63 StGB, sondern primär auf das Versagen einzelner Personen innerhalb dieses Systems.
Strates Buch bietet ganz unabhängig davon eine gut verständliche, ja spannende Darstellung des gesamten Falls und eine mit Zitaten aus der Hauptverhandlung gespickte, anregend erzählte Prozessgeschichte.

Angesichts der vielen Stunden Hauptverhandlung wird es keine ganz leichte Aufgabe gewesen sein, hier eine Auswahl zu treffen, die sich notwendigerweise auf kurze prägnante Ausschnitte beschränken muss. Aber die Selektion ist durchweg gelungen. Zudem verweist Strate den kritischen Leser auf die kompletten Mitschriften, die nach wie vor auf seiner Website verfügbar sind.

Streit mit Mollath bleibt Randnotiz

Wer allerdings gehofft hat, Näheres über das tagelang die Berichterstattung dominierende Zerwürfnis mit seinem Mandanten zu erfahren, dürfte enttäuscht sein. Eine seine Schweigepflicht verletzende oder dem früheren Mandanten zusätzlich schadende Äußerung war hier aber auch kaum zu erwarten. Trotz des Streits, der im Buch weder verschwiegen noch besonders betont wird (S. 248, S. 254 f.), bleibt Strate loyal.

Auf meine Frage, warum dieser Konflikt überhaupt in der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ausgetragen werden musste, bekräftigt Strate sein Vorgehen: Es sei notwendig gewesen, Herrn Mollaths öffentlicher Darstellung angeblicher Versäumnisse der Verteidigung deutlich entgegenzutreten. Auch dem unangemessenen Angriff seines Mandanten auf das Gericht habe er in der Hauptverhandlung begegnen müssen.

"Für diese Republik eine Schande"

Im Buch lobt Strate die Kammer der Vorsitzenden Richterin Escher, obwohl das Urteil seinem damaligen Mandanten nicht gefallen hat. Im Vergleich zur sonstigen Praxis habe sich diese Kammer enorme Mühe gegeben, die Sachverhalte aufzuklären.

Auch mit der in dubio pro reo-Anwendung des § 20 StGB auf einen der Tatvorwürfe ist Strate am Ende wohl einverstanden. Die Kammer war seiner Forderung, die früheren Angaben der Nebenklägerin vollständig als ungeeignet zu verwerfen, nicht gefolgt. Und nach der taktisch ungeschickten Einlassung seines Mandanten war § 20 StGB (angewendet nach dem Grundsatz "in dubio pro reo") immerhin der Weg zum vollständigen Freispruch. An dieser Stelle stimmte aber die Zielvorstellung des Verteidigers nun endgültig nicht mehr mit derjenigen seines Mandanten überein.

Strate beleuchtet mit seinem Buch den Fall Mollath aus der Sicht des Strafverteidigers. Es ist natürlich kein neutrales Buch geworden. Strate bleibt auf der Seite seines früheren Mandanten, dessen jahrelange Wegschließung "für diese Republik eine Schande" war und dessen "geraubte Jahre ihm niemand wiedergeben" könne. Und am Ende stellt Strate auch die berechtigte Frage, "wie viele Mollaths es wohl sonst noch geben mag" (S. 270).

Der Autor Henning Ernst Müller ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg. Er hat den Fall Gustl Mollath intensiv verfolgt und in zahlreichen Artikel und Diskussionen aufgearbeitet.

Das Buch "Der Fall Mollath: Vom Versagen der Justiz und Psychiatrie" ist im  Orell Füssli Verlag, 2014 erschienen. ISBN: 978-3280055595

Zitiervorschlag

Rezension zu Gerhard Strates "Der Fall Mollath": . In: Legal Tribune Online, 12.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14096 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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