2/2: Erster Kommentar zum Kirchenrecht
Gratians Schüler machen sich daran, weitere Glossen zu verfassen und dabei so genannte Dekrete, also gerichtliche Entscheidungen, zu berücksichtigen. Man nennt sie deshalb Dekretisten und Dekretalisten. Unter ihnen ist ein gewisser Johannes Teutonicus. Sein umfangreicher Apparat zum "Decretum Gratiani", den er zwischen 1210 und 1216 abfasst, wird zu einem Meilenstein. Gerade seiner Aktualität wegen findet das Werk über Bologna hinaus an anderen europäischen Universitäten ebenso Beachtung wie in der Praxis. Die Ausarbeitung avanciert zur Glossa Ordinaria, einem Standardkommentar, von dem man nicht so ohne weiteres abweicht. Und seinen Autor macht es zu einem der bedeutendsten Kirchenrechtler und Kanoniker des frühen 13. Jahrhunderts. Umso überraschender, dass von der Biografie des Verfassers so gut wie nichts überliefert ist.
Sein lateinischer Beiname "Teutonicus" legt bestenfalls eine deutsche Herkunft nahe. Womöglich stammte er aus eher niedrigen Verhältnissen, was das Fehlen biografischer Details zumindest etwas erklären würde. Er könnte in Bologna seine juristische Ausbildung erhalten und bei Azo selbst studiert haben, was aber sogleich weitere Fragen aufwirft. Wie ist er überhaupt dazu gekommen? Oft waren die Studenten jener Zeit wohlhabender oder sogar adeliger Herkunft, die für ihre Ausbildung bezahlen mussten.
Wie auch immer, Teutonicus bleibt der Universität als Scholar verbunden. Als Rechtsgelehrter wirkt er dort ab 1210 für knapp zehn Jahre und gilt damit als erster bekannter deutscher Juraprofessor. Dann verliert sich um 1219 seine Spur.
Johannes Teutonicus alias Johannes Zemeke
Zurück nach Halberstadt. In der auf Karl den Großen zurückgehenden Stadt ist ab 1220 ein Johannes Zemeke überliefert – oder auch Zemeken, Cemeca, Semeko, Semeca – wer weiß das nach über siebenhundert Jahren schon so genau? Zemeke wird 1223 zunächst Propst eines Stifts, dann 1235 Dekan des Domkapitels und ab 1241 zuletzt Domprobst.
Sind Johannes Teutonicus und dieser Johannes Zemeke dieselbe Person? Zweifel kommen auf. So weisen die Quellen jener Zeit noch auf einen anderen Magister Johannes hin. Außerdem wurden Glossatoren, die Bologna verließen, eher zu Bischöfen berufen oder übernahmen andere höhere Aufgaben.
Auch das heutige Gedenkgrabmal selbst gibt keinen näheren Aufschluss. Nach einer verheerenden Zerstörung des Doms durch Heinrich den Löwen im Jahr 1179 und dem anschließenden Neubau ist es auf das 15. Jahrhundert zu datieren. Und auf welchen Quellen die wohl ältere Tafelinschrift beruht, der ihn seitdem als großen Glossator des kirchlichen Rechts herausstellt, ist ebenfalls unklar.
Wenn man heute dennoch davon ausgeht, dass Johannes Zemeke von Halberstadt und der Glossator Johannes Teutonicus tatsächlich ein und dieselbe Person sind, so hat das andere Gründe. Überliefert ist etwa, dass Zemeke als Gutachter und Schiedsrichter und in einem Fall sogar als päpstlich delegierter Richter tätig wird. Schon das lässt auf herausragende rechtliche Kenntnisse schließen.
Inspiration für den Sachsenspiegel
Eventuell erklärt das noch eine andere Entwicklung. Ist es wirklich Zufall, dass in der Region eben zu genau jener Zeit zwischen 1220 und 1230 mit dem Sachsenspiegel eine der bedeutendsten deutschen Rechtsaufzeichnung überhaupt entsteht? Ließ sich dessen Verfasser Eike von Repgow, der ja selbst kein Rechtsgelehrter war, vielleicht von Teutonicus inspirieren? Die Frage, ob er dessen Schüler war, ist immer wieder gestellt worden und tatsächlich könnte er an der Halberstädter Domschule unterrichtet worden sein. Wirkliche Belege gibt es jedoch nicht, weshalb sich letztlich nur darüber spekulieren lässt.
Das gilt ebenso für die Frage, weshalb er Bologna überhaupt verlassen und sich in die Provinz zurückgezogen hat. Er könnte aus der Gegend stammen. Vielleicht war aber auch frustriert. Noch in Bologna hatte er eine Zusammenfassung der Dekretale von Innozenz III. ausgearbeitet. Die bekam jedoch nicht den Segen des Kirchenoberhaupts. Teutonicus lag also im Clinch mit dem Papst. Erst nach dessen Tod 1216 konnte Teutonicus dieses Werk veröffentlichen.
Am 25. April 1245 stirbt Johannes Zemeke als Domprobst vom Halberstadt. Vielen seiner Zeitgenossen ist er unter dem Namen Johannes Teutonicus zugleich als berühmter Kirchenrechtler bekannt. Und dieser bleibt Nachwelt bis heute unter anderem als erster deutscher Juraprofessor in Erinnerung.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz in Halberstadt.
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André Niedostadek, Der erste deutsche Juraprofessor: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13503 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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