In Rom diskutieren derzeit 191 Bischöfe und Kardinäle über die Vereinbarkeit von kirchlicher Lehre und Lebenswirklichkeit sowie über das kirchliche Recht. Letzteres prägte der bedeutende Rechtsgelehrte und zugleich erste deutsche Juraprofessor Johannes Teutonicus. Von dessen Biografie ist zwar vergleichsweise wenig überliefert. Im Harz stößt André Niedostadek dennoch auf eine Spur.
Es ist ein verregneter Oktobermorgen. Die ersten Besucher inspizieren das dämmrige Kirchenschiff des Halberstädter Doms St. Stephanus und St. Sixtus. Sie sind, wie die meisten Touristen, wegen des Domschatzes hier, einer einzigartigen Sammlung mit hunderten von mittelalterlichen Exponaten. Manche wollen zugleich ein bisschen Hollywood-Atmosphäre schnuppern. Die hatten George Clooney und seine Filmcrew dem Dom eingehaucht. Für Drehaufnahmen zum Blockbuster "The Monuments Men – Ungewöhnliche Helden" verwandelten sich Dom und Domplatz für ein paar Tage in ein "Halberwood".
"Ein Grab von Johannes Teutonicus, hier im Dom?" Die Aufsicht muss passen. Nein, davon habe sie noch nicht gehört und fügt gleich hinzu: "Vielleicht der Johannes Zemeke?" Sie zeigt auf eine Art steinernen Sarkophag, eine Tumba, direkt neben dem Chor. Ein Gedächtnisgrabmal für einen Halberstädter Domprobst, der vor rund 800 Jahren hier wirkte. Die meisten Touristen schlendern eher beiläufig daran vorbei.
Könnte das der erste deutsche Juraprofessor gewesen sein, bekannt als Johannes Teutonicus? Hinweise darauf finden sich nicht – jedenfalls nicht sofort. Ein in Latein verfasstes Totenlob auf einer Tafel über der mit zahllosen eingekerbten Graffiti eher verunzierten Grabfigur weist schließlich auf einen berühmten Kirchenrechtler namens Johannes hin. Das ist zumindest ein Anhaltspunkt. Und der führt nach Italien.
Die älteste Rechtsschule Europas
Ähnlich wie Halberstadt, das selbsternannte "Tor zum Harz", liegt die norditalienische Stadt Bologna an den Ausläufern eines Gebirges, des Apennin. Darin erschöpfen sich aber bereits die Gemeinsamkeiten. Mit zehntausenden Studierenden zählt die dortige Hochschule heute nicht nur zu den größten des Landes. Sie ist zugleich Europas älteste Universität. Gegründet 1088 von Irnerius von Bologna (um 1050 – 1130) hat sie zudem eine bemerkenswerte juristische Tradition.
Um das Jahr 1100 hatte Irnerius selbst angefangen, so genannte Vulgathandschriften zu sammeln. Das waren Fragmente römischer Rechtsquellen, vornehmlich zum Corpus Juris Civilis. Diese Rechtssammlung hatte der letzte byzantinische Kaiser Flavius Petrus Sabbatius Justinianus – bekannt als Justinian I – im 6. Jahrhundert auf den Weg gebracht. Er wollte nicht nur das römische Weltreich erneuern, sondern zugleich das römische Recht aufpolieren. Ganz gelungen ist ihm das allerdings nicht. Nur zögerlich fand der Kodex Verbreitung, bevor er dann zwischenzeitlich sogar zunächst wieder in Vergessenheit geriet.
Irnerius und seine Schüler machen sich nun fast 600 Jahre später daran, den verbliebenen Puzzleteilen einen Rahmen zu geben, sie auszuwerten und sie vor allem mit erklärenden Anmerkungen zu versehen, den so genannten Glossen. Alles in allem eine Heidenarbeit, die aber einen unermesslichen Schatz für die europäische Rechtskultur hinterlassen hat. Irnerius‘ methodisches Vorgehen als Glossator lässt dabei eine Rechtsschule entstehen. Die wird schnell bekannt und zieht Studierende aus aller Herren Länder an. Um 1200 sollen bereits tausend Studenten bei berühmten Rechtsgelehrten wie etwa Azo, der dort seit 1190 als Scholar lehrt, studiert haben.
Das LL. in LL.M.
Neben dem römischen Recht vertieft man sich in das kanonische, also kirchliche Recht, dessen prägender Einfluss zu jener Zeit sicher größer war als der des weltlichen. Beides zusammen bildet das gemeine Recht oder "jus commune".
Die Zweiteilung zwischen kirchlichem und weltlichem Recht findet sich übrigens noch heute, beispielsweise in akademischen Abschlüssen. Wer einen LL.M. erwirbt, also den akademischen Grad eines "Magisters der Rechte" beziehungsweise "Legum Magister" mag sich daran erinnern. So markiert das Kürzel "LL" den Plural für das lateinische "Leges", also Rechte, was weltliches und kirchliches Recht umfasst.
Ähnlich wie Irnerius dem römische Recht widmet sich ein paar Jahrzehnte später der Mönch Gratian dem kanonischen Recht. Als Vater des Kirchenrechts kommt ihm das Verdienst zu, die kaum zu durchschauende Menge an kirchlichen Regelungen, Erlassen und Anordnungen aufbereitet zu haben. Um das Jahr 1140 schließt er sein als "Decretum Gratiani" bekanntes Rechtsbuch ab. Es ist ein Mammutwerk, an dem sich viele nachfolgende Generationen abarbeiten werden.
André Niedostadek, Der erste deutsche Juraprofessor: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13503 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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