Rezension: Die UN – Ein Völ­ker­bund für den Frieden auf Erden?

von Martin Rath

26.12.2019

Weihnachtszeit, das heißt seit Jahren: Nahost-Korrespondenten berichten über die Schrecken der israelischen Herrschaft in "den besetzten Gebieten". Ein Buch zeigt, wie schief diese Perspektive auch unter rechtlichen Gesichtspunkten ist.

Es ist vermutlich dem europäischen Integrationsprozess seit 1957 und der Wiedervereinigung zu verdanken, dass das Völkerrecht heute kein Studienfach mehr ist, dem allzu viele deutsche Juristen etwas abgewinnen können.

Mussten sich zum Beispiel vom britischen Militär geplagte Berliner noch 1984 Hoffnungen auf Gerichte in London machen, ist es seit 1990 mit derartiger Feld-Wald-und-Wiesen-Tauglichkeit des Völkerrechts weitgehend vorbei. Weil sich auch das Europarecht dogmatisch weitgehend von ihm emanzipiert hat, fehlen meist Zeit und Notwendigkeit, sich umfassend mit dem internationalen Recht älterer Machart zu befassen.

Das hat merkwürdige Konsequenzen für die Beliebtheit dieses Rechts. So erfahren etwa zehntausende angehende Lehrerinnen und Lehrer aus der pädagogischen Literatur, dass eine Pflicht, behinderte und nicht behinderte Kinder auf Gedeih und Verderb zusammen zu unterrichten, sich unmittelbar schon aus der UN-Menschenrechtscharta herleiten lasse – so verkürzt das sein mag, so populär wird hier die Idee, dass das Völkerrecht in erster Linie eine Maschine zur Neuproduktion von Realität nach den schönsten Menschheitshoffnungen sei. Das gilt auf jedem Gebiet. UN-Konferenzen haben etwa das Sexualstrafrecht zu optimieren oder das Weltklima zu retten. Leisten sie das nicht, liegt das vermutlich an bösen Menschen.

Zur Weihnachtszeit wird der hier etwas forsch behauptete Umstand, dass selbst studierte Juristen bei Völkerrechtsbasiswissen, z.B. der Schule von Salamanca, oft nur Bahnhof verstehen, besonders lästig. Denn während der deutsche Christ jetzt beim oft ersten und letzten Kirchgang des Jahres vom Stall zu Bethlehem hört und davon, dass daselbst der "Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" versprochen wurde (Lk, 2: 14), ziehen die Journalisten von ARD und ZDF mit einiger Wahrscheinlichkeit aus, um in 90-Sekunden-Beiträgen vom Nahostkonflikt zu künden – und der hat es, vor allem was juristische Un- und Missverständnisse angeht, ganz außerordentlich in sich.

Aufklärungen über Recht und Politik und Rechtsstreit als Politik

Er eignet sich entsprechend aber auch ganz gut, etwas dazuzulernen. Der Kölner Journalist Alex Feuerherdt und der Wiener Politikwissenschaftler Florian Markl haben unter dem Titel "Vereinte Nationen gegen Israel. Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert" ein Werk vorgelegt, das juristisch und politisch interessierte Zeitgenossen in mehrfacher Hinsicht provozieren könnte, die Welt stärker durch eine völkerrechtlich gut geputzte Brille zu betrachten – bevor etwa die Auswirkungen des "Brexit" oder eine rechtsextreme französische Präsidentin, Dieu ne plaise, die Notwendigkeit vermitteln, sich die Durchsetzung inländischer Interessen mit den Mitteln des internationalen Rechts wieder auf juristischem Examensniveau anzueignen.

Feuerherdt und Markl versuchen zu belegen, dass die Vereinten Nationen seit ihrer Gründung eine eigenartige Fokussierung auf den Nahostkonflikt – besser gesagt: eine Obsession für den Staat Israel – pflegen, was sie zu einer Auseinandersetzung mit einer ganzen Anzahl von hier einschlägigen völkerrechtlichen Fragestellungen motiviert.

Darüber hinaus erschließen Feuerherdt und Markl ein Feld, auf dem sich Juristen künftig womöglich verstärkt bewegen müssen: das strategische Gebiet der "Lawfare" – einer Art Litigation-PR forte. Auch wer mit einigen der Prämissen Feuerherdts und Markls, Details oder Tonalität ihrer Darstellung nicht einverstanden sein mag, wird hier also der Frage begegnen, mit welchen rechtlichen Mitteln in den asymmetrischen vor- und paramilitärischen Kriegen der Gegenwart operiert wird.

Moralischer Mehrwert der Vereinten Nationen kaum berechtigt?

In ihrer Fokussierung auf den Staat Israel, so Feuerherdt und Markl, mache die UN eine ähnlich schlechte Figur wie die deutsche und internationale Presse.

Zu den allgemein bekannteren Beispielen zählt die Arbeit des im Jahr 2006 installierten UN-Menschenrechtsrats, der es bis zum August 2015 geschafft hatte, 62 Resolutionen gegen Israel zu formulieren, während sich 55 Verdikte auf eine Anzahl anderer Staaten verteilten (Syrien: 17, Myanmar: 12, Nordkorea: 8, Iran: 5). So zweifelhafte Länder wie Pakistan oder Afghanistan fanden derweil kein Interesse. Seriös kann das nicht sein.

Detailliert gehen Feuerherdt und Markl auch auf den merkwürdigen Umstand ein, dass mit der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNWRA) eine Parallelstruktur zur allgemeinen Flüchtlingshilfsorganisation der UN gepflegt wird, deren Arbeit dezidiert gegen die Integration der arabischen Flüchtlinge, ihrer Enkel und Urenkel aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina beziehungsweise den von Israel besetzten Gebieten gerichtet ist. Hier werden aus Mitteln namentlich der europäischen Staaten etwa Lehrer finanziert, deren Lehrstoff aus antisemitischer Propaganda besteht und die ein – wie Feuerherdt und Markl völkerrechtlich argumentieren – jedenfalls sehr zweifelhaftes Rückkehrrecht in die alte Heimat lehren.

Die Söhne und Töchter deutscher Flüchtlinge aus dem Osten wissen mitunter noch, wo ihre Eltern 1945/46 den Teddybär im Garten vergraben haben. Daraus einen Eigentumsanspruch auf die Immobilie ableiten zu wollen, würde heute jedoch zu Recht unter das Psychisch-Kranken-Gesetz ihres Bundeslandes subsumiert – und nicht unter die Gründe, für sie eine UN-Sonderorganisation zu unterhalten.

Feuerherdt und Markl sind hier weniger polemisch: Vor den Pogromen in den arabischen Staaten flohen in den 1940er bis 1960er Jahren rund 700.000 Juden unter anderem aus Ägypten, Syrien oder dem Irak nach Israel, teils Jahrhunderte alte Gemeinden starben aus. Wollte man es mit dem Postulat eines Rückkehrrechts ernstnehmen, hätten diese Staaten zu beweisen, dass sie zu mehr als zur Diktatur mit islamischer Staatsreligion taugen – und damit jedenfalls virtuell zur Repatriierung einladen könnten.

Den UN-Resolutionen 194 und 242, die sich 1967 noch einer fairen, beiden Seiten gerechten Formulierung der völkerrechtlichen Usancen eines Friedens annahm, widmen Feuerherdt und Markl nicht weniger als 30 Seiten einschließlich einer grammatischen Auslegung zentraler Begriffe – man beachte etwa den Asterisk in der deutschen Übersetzung –, die im allgemeinen "zionismuskritischen" Grundrauschen nahezu vollständig aus dem publizistischen Bewusstsein verschwunden scheinen.

"Lawfare" – die Fortsetzung der Litigation-PR auf höherem Niveau

Ein eigenes Kapitel legen Feuerherdt und Markl zur sogenannten "Lawfare" vor, einem Begriff, den der amerikanische Luftwaffenjurist Charles J. Dunlap (1950–) im Jahr 2001 aus den Wörtern "law" und "warfare" kreierte, um seine Befürchtung auszudrücken, dass der Gebrauch internationalen Rechts in den Kriegen des 21. Jahrhunderts zum neuesten "feature" werde.

Feuerherdt und Markl kritisieren hier etwa die Bestrebungen von Nichtregierungsorganisationen, israelische Politiker und Militärangehörige im Ausland wegen vermeintlich oder tatsächlich rechtswidriger Kriegshandlungen vor Gericht zu bringen – auch vor dem Hintergrund, dass bereits die Ermittlungsarbeit seitens der UN-Mitarbeiter vielfach wenig Vertrauen in ihre Unbefangenheit vermittle. Wenn zum Beispiel Raketen- oder Brandangriffe von Tätern aus dem Gaza-Gebiet auf die israelische Nachbarschaft gar nicht erst erfasst werden, falle es schwer, der forensischen Arbeit von UN-Beamten nach den israelischen Gegenangriffen Fairness zu unterstellen.

Wo freilich die Lawfare beginnt und wem sie in erster Linie zuzurechnen sei, ist naturgemäß selbst strittig. Wichtig bleibt jedoch, dass dabei nicht nur ein neues Kapitel in der Kriminalisierung des Feindes aufgeschlagen wird, die wohl selten zu dauerhaftem Frieden beiträgt. Es zeigt sich auch, wie dringend eine bessere Ausbildung unserer Auslandskorrespondenten vonnöten ist. Nachdem die Affäre um den selbsternannten ARD-Nahostexperten Gerhard Konzelmann (1932–2008)  in den 1990er Jahren zur Forderung führte, die Berichterstatter sollten wenigstens des Arabischen mächtig sein, wäre heute noch profundes Wissen im humanitären und Kriegsvölkerrecht zu wünschen – zudem wohl die magische Fähigkeit, Erkenntnisse in 280 Anschlägen unterzubringen.

Vor dem Weltfrieden lassen wir es bitte erst einmal intellektuell krachen

Magisch? Die völkerrechtlichen Gründe dafür, warum z.B. ein LTO-Artikel zur EU-rechtskonformen Bezeichnung von Produkten aus der israelisch-arabischen Wertschöpfungskette von "besetzten" Gebieten spricht, brauchen bei  Feuerherdt und Markl den Raum eines ganzen Unterkapitels zu ihrer völkerrechtlichen Problematik.

Wer zu der – hoffentlich wachsenden – Gruppe zählt, die grausam angeödet ist von einer politischen Öffentlichkeit in Deutschland, in der keine stolze Gewerkschaft mittels Lawfare für die Koalitionsfreiheit ihrer geknechteten Genossen in der Volksrepublik China kämpft, in der eine mögliche Bezahlung Donald Trumps (1946–) durch die in Russland regierende Mafia als Dauerthema, die Tätigkeit Gerhard Schröders (1944–) aber so gut wie gar nicht behandelt wird, in der eine Korruptionsanklage gegen Benjamin Netanjahu (1949–) freudiger Erregung begegnet, während die Frage, warum sich Wladimir Putin (1952–) keiner juristischen oder journalistischen Untersuchung seiner Vermögensverhältnisse ausgesetzt sieht, nur ein resigniertes Schulterzucken erntet, findet in dem Buch von Alex Feuerherdt und Florian Markl gute Trainingsansätze für völkerrechtliche und "Lawfare"-Fragen.

Geistiges oder körperliches Training nach Weihnachten, wer nimmt sich das nicht vor?

Tipp: Alex Feuerherdt, Florian Markl: Vereinte Nationen gegen Israel. Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert. Verlag Hentrich & Hentrich, 336 Seiten, 24,90 €

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rezension: . In: Legal Tribune Online, 26.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39397 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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