Niederschläge vor Gericht: Regen­recht für Anfänger

von Martin Rath

19.06.2016

Wem es über die Akten hinweg nicht aufgefallen ist: Es regnet derzeit sehr viel. Für den Fall der Fortsetzung präsentieren wir: Regenrechtsdinge. Und die Antwort auf die Frage, warum Gürteltiere keine Feuchtigkeit vertragen.

Fast hat man Herrn Ossenbeck vom Fuhrpark der Stadt Münster in Westfalen im Verdacht, für die starke Verbreitung des Fahrrades im münsterländischen Mobilitätsgeschehen verantwortlich zu sein. Jedenfalls trug seine Zeugenaussage nicht dazu bei, dem automobilen Fortschritt in der jungen Bundesrepublik mit Rechtssicherheit unter rutschigen Reifen zu dienen.

Am 3. Mai 1952 geriet ein Ford-Taunus auf der Weseler Straße zu Münster ins Schleudern, der Fahrer erlitt schwere Verletzungen, die Gemahlin und Tochter kamen glimpflich davon, das Auto wurde erheblich beschädigt. Im Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. März 1958 (Az. III ZR 226/56) sollte der Ford-Taunus als erstes Opfer des Unfalls aufgezählt werden, erst dann folgten die Menschen. Das heute so weit verbreitete Verächtlichmachen des Automobils war damals also noch unbekannt.

Jedenfalls hatte Herr Ossenbeck im Laufe des Nachmittags mehrfach eine rund einen Kilometer lange Ölspur auf der Weseler Straße mit Sand bestreut. Die Stadt Münster unterhielt für solche Gefahrenlagen neben Sandlagerstätten unter anderem einen sogenannten Tempowagen – der Hersteller dieser Fahrzeuge war einige Jahre zuvor noch Teil der deutschen Raketenbau-Industrie gewesen. Vermutlich ein Beleg für Spitzentechnik aus Deutschland.

Der Regen war's und nicht die Stadtverwaltung

Wunder im Kampf gegen das rutschige Blausteinpflaster konnte Herr Ossenbeck mit seinen Mannen gleichwohl nicht bewirken, setzte doch starker Regen ein. An der juristischen Würdigung der fuhrparkfachlichen Einschätzung des münsterländischen Starkregens hing der Schadensersatzanspruch der geschädigten Ford-Taunus-Familie.

In seiner Zeugenvernehmung am 26. Juni 1956 erklärte Herr Ossenbeck zwar, dass wegen des Regens "seine Leute nicht mehr auf dem Streuwagen [hätten] bleiben können", das Oberlandesgericht würdigte dies aber als eine bloße Unterbrechung der Ölspur-Bekämpfung. Es konstatierte, dass sich Herr Ossenbeck in jeder Beziehung sachgemäß verhalten und die Stadt Münster in ihm einen "sorgfältig ausgewählten und überwachten Fahrer des städtischen Bereitschaftsdienstes" gefunden habe.

Warnschilder wegen akuter Ölspurgefahr besaßen weder Polizei noch Stadt, Wachen aufzustellen, um Automobilisten auf die Gefahr aufmerksam zu machen, wollte auch der BGH nicht als Teil der städtischen Verkehrssicherungspflicht anerkennen. Im Ergebnis wurde der Schadensersatzanspruch der Ford-Taunus-Familie höchstrichterlich verneint.

Autoverkehr im Wirtschaftswunderland

Der am Urteil beteiligte Bundesrichter Dr. Kurt Pagendarm (1902–1976) sollte später, 1961, den ersten großen VW-Skandal durch Vergleich abwenden: Wer in den NS-Jahren auf ein Fahrzeug des Kraft-durch-Freude-Unternehmens angezahlt hatte, erhielt nun eine Gutschrift auf den Erwerb eines VW.

Autohasser waren also am Münsterländischen Schleuderfall nicht zugange. Außerdem beruhigend zu wissen: Vor dem Starkregen am 3. Mai 1952 herrschte tagelang sommerlich-sonniges Wetter. Man weiß heute ja gar nicht mehr, dass es so etwas einmal gab.

Als in Deutschland noch ordentlich geregnet wurde

Ausweislich der Rechtsprechung des BGH gab es in den 1950er Jahren Dauerregen nur, wenn es sich gehört, also im anbrechenden Herbst.

In einem Urteil vom 23. März 1959 (Az. VII ZR 57/58) nahm sich der BGH eines jahreszeitgemäßen Dauerregenschadens in Bonn an. Damals bewies man in Deutschland noch Mut: Ein Haus sollte um ein Stockwerk ergänzt werden, das es im Krieg verloren hatte. Erst während des Baus kam der Statiker auf den Gedanken, dass seine Berechnungen vielleicht doch nichts taugten, trotz telefonisch vereinbarter Arbeitspause rissen die Handwerker im Eifer des Kampfs um neuen Wohnraum tags darauf das Dach ab, das war am 24. September 1956.

Ein Verhängnis, denn natürlich setzte am 27. September 1956 Starkregen ein. Haften musste der Herr der Handwerker am Ende trotz des abgerissenen Dachs nicht – der Bauherr hatte die Wohnungen im Haus während der Bauphase nicht gegen Wassereinbrüche sichern wollen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Niederschläge vor Gericht: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19711 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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