Wem es über die Akten hinweg nicht aufgefallen ist: Es regnet derzeit sehr viel. Für den Fall der Fortsetzung präsentieren wir: Regenrechtsdinge. Und die Antwort auf die Frage, warum Gürteltiere keine Feuchtigkeit vertragen.
Fast hat man Herrn Ossenbeck vom Fuhrpark der Stadt Münster in Westfalen im Verdacht, für die starke Verbreitung des Fahrrades im münsterländischen Mobilitätsgeschehen verantwortlich zu sein. Jedenfalls trug seine Zeugenaussage nicht dazu bei, dem automobilen Fortschritt in der jungen Bundesrepublik mit Rechtssicherheit unter rutschigen Reifen zu dienen.
Am 3. Mai 1952 geriet ein Ford-Taunus auf der Weseler Straße zu Münster ins Schleudern, der Fahrer erlitt schwere Verletzungen, die Gemahlin und Tochter kamen glimpflich davon, das Auto wurde erheblich beschädigt. Im Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. März 1958 (Az. III ZR 226/56) sollte der Ford-Taunus als erstes Opfer des Unfalls aufgezählt werden, erst dann folgten die Menschen. Das heute so weit verbreitete Verächtlichmachen des Automobils war damals also noch unbekannt.
Jedenfalls hatte Herr Ossenbeck im Laufe des Nachmittags mehrfach eine rund einen Kilometer lange Ölspur auf der Weseler Straße mit Sand bestreut. Die Stadt Münster unterhielt für solche Gefahrenlagen neben Sandlagerstätten unter anderem einen sogenannten Tempowagen – der Hersteller dieser Fahrzeuge war einige Jahre zuvor noch Teil der deutschen Raketenbau-Industrie gewesen. Vermutlich ein Beleg für Spitzentechnik aus Deutschland.
Der Regen war's und nicht die Stadtverwaltung
Wunder im Kampf gegen das rutschige Blausteinpflaster konnte Herr Ossenbeck mit seinen Mannen gleichwohl nicht bewirken, setzte doch starker Regen ein. An der juristischen Würdigung der fuhrparkfachlichen Einschätzung des münsterländischen Starkregens hing der Schadensersatzanspruch der geschädigten Ford-Taunus-Familie.
In seiner Zeugenvernehmung am 26. Juni 1956 erklärte Herr Ossenbeck zwar, dass wegen des Regens "seine Leute nicht mehr auf dem Streuwagen [hätten] bleiben können", das Oberlandesgericht würdigte dies aber als eine bloße Unterbrechung der Ölspur-Bekämpfung. Es konstatierte, dass sich Herr Ossenbeck in jeder Beziehung sachgemäß verhalten und die Stadt Münster in ihm einen "sorgfältig ausgewählten und überwachten Fahrer des städtischen Bereitschaftsdienstes" gefunden habe.
Warnschilder wegen akuter Ölspurgefahr besaßen weder Polizei noch Stadt, Wachen aufzustellen, um Automobilisten auf die Gefahr aufmerksam zu machen, wollte auch der BGH nicht als Teil der städtischen Verkehrssicherungspflicht anerkennen. Im Ergebnis wurde der Schadensersatzanspruch der Ford-Taunus-Familie höchstrichterlich verneint.
Autoverkehr im Wirtschaftswunderland
Der am Urteil beteiligte Bundesrichter Dr. Kurt Pagendarm (1902–1976) sollte später, 1961, den ersten großen VW-Skandal durch Vergleich abwenden: Wer in den NS-Jahren auf ein Fahrzeug des Kraft-durch-Freude-Unternehmens angezahlt hatte, erhielt nun eine Gutschrift auf den Erwerb eines VW.
Autohasser waren also am Münsterländischen Schleuderfall nicht zugange. Außerdem beruhigend zu wissen: Vor dem Starkregen am 3. Mai 1952 herrschte tagelang sommerlich-sonniges Wetter. Man weiß heute ja gar nicht mehr, dass es so etwas einmal gab.
Als in Deutschland noch ordentlich geregnet wurde
Ausweislich der Rechtsprechung des BGH gab es in den 1950er Jahren Dauerregen nur, wenn es sich gehört, also im anbrechenden Herbst.
In einem Urteil vom 23. März 1959 (Az. VII ZR 57/58) nahm sich der BGH eines jahreszeitgemäßen Dauerregenschadens in Bonn an. Damals bewies man in Deutschland noch Mut: Ein Haus sollte um ein Stockwerk ergänzt werden, das es im Krieg verloren hatte. Erst während des Baus kam der Statiker auf den Gedanken, dass seine Berechnungen vielleicht doch nichts taugten, trotz telefonisch vereinbarter Arbeitspause rissen die Handwerker im Eifer des Kampfs um neuen Wohnraum tags darauf das Dach ab, das war am 24. September 1956.
Ein Verhängnis, denn natürlich setzte am 27. September 1956 Starkregen ein. Haften musste der Herr der Handwerker am Ende trotz des abgerissenen Dachs nicht – der Bauherr hatte die Wohnungen im Haus während der Bauphase nicht gegen Wassereinbrüche sichern wollen.
2/2: Regen mordet sogar Forellen im Wald
Kein Wunder, dass sich heute so viele Menschen in die heile Welt der 1950er Jahre zurücksehnen: Kaum dass sich die Ära Adenauer ihrem Ende zuneigte, spielte auch das Wetter verrückt. Starkregen bereits im Juni 1961 dokumentiert das BGH-Urteil vom 29. April 1966 (V ZR 147/63): Forellen in einem sauerländischen Teich waren ihm zum Opfer gefallen, nachdem der Dauerregen aus dem Lehm eines benachbarten Grundstücks Eisendisulfit herausgelöst hatte, das sich schließlich in freie Schwefelsäure umwandelte und den Fischbestand dahinscheiden ließ.
Dieses BGH-Urteil enthält so wunderbare Verwicklungen zwischen dem Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und polizeirechtlichen Normen des Preußischen Wassergesetzes von 1913, dass Jurastudenten daran bestens ihren Verstand schärfen könnten – zuhause bleiben dürfen sie beim derzeitigen Wetter ja ohnehin.
Dauerregen für Schärfentiefeschärfer
Das Schlimme am Stark- und Dauerregen ist: Selbst wer sich sehenden Auges hineinbegibt, ist ihm hilflos ausgeliefert. Ein Beispiel hierzu gibt das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. Dezember 1999 (Az. 16 U 66/99). Überaus vollmundig hatte ein Reiseveranstalter eine Fotografie-Wanderung über die Hänge des Kilimandscharo angeboten, die Ausführung dort aber wegen starken Regens unterlassen.
Die Blauäugigkeit dieses Sachverhalts ist merkwürdig: Hobbyfotografen übertragen notorisch ihre fast manische Rechthaberei - zu erkennen etwa im Streit darum, ob es "Schärfentiefe" oder "Tiefenschärfe" heißt - auf die Frage, wie ihre empfindliche Kamera-Ausrüstung auf Reisen am besten vor Witterungseinflüssen zu schützen sei.
Das OLG Frankfurt billigte den Kilimandscharo-Reisenden trotzdem zu, von den Wetterunbilden keine Ahnung gehabt zu haben und böse auf die vollmundigen Versprechungen des Veranstalters hereingefallen zu sein. Er musste ihnen jeweils eine ordentliche Summe von damals noch 4.399 Deutsche Mark zahlen, weil aus der Kilimandscharo-Überschreitung wegen schlechten Wetters nichts geworden war.
Strauß im Wasser Niedersachsens
Tröstlich zum Schluss: Alles menschliche Leid angesichts von Stark- und Dauerregen verblasst mit Blick auf eine niedersächsische Verwaltungsvorschrift unter dem kryptischen Kürzel "StraußHRdErl, Nl". In diesen "Mindestanforderungen an die Haltung von Straußenvögeln, außer Kiwis" widmete sich das Land Niedersachsen – sonst eher als Schicksalsstätte von Millionen Hausschweinen auf ihrem Weg in die Kühltheken Europas bekannt – dem Leben der afrikanischen Laufvögel zwischen Elbe und Weser.
Den Haltern vorzugeben seien danach Sandböden, die auch bei Dauerregen von Stauwasser frei bleiben sollen, sowie Ställe, in denen die Vögel, auf trockenen, rutschfesten und trittsicheren Böden stehend ihr Gefieder bei nicht mehr als 60 Prozent Luftfeuchte trocknen können.
Dieses Zeugnis vom Glauben des Gesetzgebers an die Kraft des Normativen ist anrührend, doch wo findet sich denn für Menschen heutzutage so viel regenfreier Raum in Deutschland – vom freilaufenden Straußenvogel ganz zu schweigen?
Postscriptum: "Gürteltier" ist eine scherzhafte Bezeichnung für Aktenberge, die in deutschen Behörden, zusammengehalten von starken Bändern, durch die Flure geschoben werden.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Niederschläge vor Gericht: Regenrecht für Anfänger . In: Legal Tribune Online, 19.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19711/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag