2/2: Kein Mitleid mit dem schmutzigen Teil Kölns?
Im bayerischen Beamtenrecht soll es nach Auffassung der Staatsregierung bei Anerkennung eines Dienstunfalls darauf ankommen, ob eine Lehrerin die Schultoilette zu dienstlichen Zwecken aufgesucht hat, um ihre Hände von Süßgetränk-Spuren eines Schülers zu reinigen (VGH Bayern, Beschl. v. 24.02.2015, Az. 3 ZB 13.1706).
Der Europäische Gerichtshof bestätigte österreichischen Lebensmittelunternehmen, dass man es mit den technischen Vorrichtungen zum Händereinigen auch übertreiben könne (Urt. v. 06.10.2011, Az. Rs. C-381/10) und reichte damit den in Österreich so stark vertretenen Europaskeptikern gleichsam die Hand.
Schließlich kann sich in Fragen des Händewaschens die Haltung gegenüber der näheren Nachbarschaft des Gerichtssitzes ausdrücken: Im April 1971 verteilte eine Firma rings um das Gebäude des Oberlandesgerichts Köln am Reichenspergerplatz 1.500 Warenproben-Beutel, die unter anderem ein 60-Gramm-Stück "banner"-Seife enthielten. Dies missfiel neben einem Wettbewerber auch dem Landgericht und dem OLG Köln sowie dem BGH, die darin eine unlautere Werbeaktion sahen. Immerhin seien 60 Gramm Seife viel zu viel, um sich bloß mittels ein- oder zweimaligen Händewaschens einen ersten Eindruck von der Qualität des Produkts zu machen (BGH, Urt. v. 14.06.1974, I ZR 105/73).
Das richterliche Judiz mag dabei ein bisschen pikant gewesen sein: Während das sogenannte Agnesviertel rund um das Gericht heute eine der angesagten und teuren Wohngegenden Kölns ist, galt es damals als schmutzig und prostitutionsgeneigt, immer noch kriegsbeschädigt und voller grässlich unmoderner Gründerzeitbauten. Wer da eine Seifenverteilung nicht als Provokation sah, kannte die etwas ungewaschene Nachbarschaft seines Gerichts nicht.
Handhygiene mit Niklas Luhmann
Zwar reichen die mit Fragen der Handhygiene verbundenen Angelegenheiten sicher nicht, um gleich einen ganzen Fachanwaltsberuf zu kreieren, was in anderen Anliegen ja durchaus kein schlechter Probierstein auf die Relevanz einer sozialen Problematik ist.
Dass es sich bei der Sorge um die Sauberkeit der Hände um ein Problem höchster Bedeutung handeln kann, wurde jedoch durch die Weigerung von zwei muslimischen Knaben wahabitscher Observanz bekannt, ihrer Lehrerin den in der Schweiz üblichen Handschlag zu geben. Offenbar spielt hier eine Art theologische Hygiene-Theorie hinein, aufgrund derer sich Männer vor potenziell menstruierenden Frauen fürchten müssen.
Wenn überhaupt verfassungsrechtlich, so wurde dies hierzulande in den üblichen grundrechtsfixierten Bahnen diskutiert. Das ist, wenn man eine vereinfachte Idee der Systemtheorie Luhmanns zugrunde legt, ein bisschen schade.
Die beiden Kammern des britischen Parlaments machen es vor, wie sich weltanschauliche Differenzen in differenzierende Staatsorganisationspraxis überführen lassen: Zu Beginn der Legislaturperiode sind die Abgeordneten des Unterhauses gehalten, einen Treueeid auf die Königin zu leisten – abgesehen von Atheisten unter Verwendung einer heiligen Schrift.
Die gewählten Vertreter der irisch-republikanischen Partei "Sinn Fein" weigern sich traditionell, der alten Dame aus dem hannöverschen Landadel die Treue zu schwören. Deshalb dürfen sie dann im Parlament eben auch nicht mitspielen.
Mal schauen, ob die Symbole wieder wichtiger werden
Ob man von wahabitischen Knaben in der Schweiz die gleiche Bereitschaft erwarten darf, sich wegen der Weigerung einer symbolischen Handlung aus einem staatlichen Subsystem (Schule) exkludiert zu sehen wie den irischen Königshaus-Hassern im House of Commons, sei einmal dahingestellt. Wir leben ja in einer Gesellschaft, in der man gegen die atomstaatliche Obrigkeit zivilen Ungehorsam leistet, aber empfindlich wird, wenn man nach dem Gang aufs Polizei-WC keine Gelegenheit zum Händewaschen bekommt.
Eines wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aber vermutlich doch sehr interessant werden: Ob mit dem enormen Zuwachs an technologischer Effizienz in den juristischen Tätigkeitsgebieten eine Renaissance der symbolischen Ausdrucksformen einhergehen wird – und damit nicht zuletzt die Bereitschaft, die Inklusion in staatliche Institutionen stärker als bisher (wieder) an performative, expressive Handlungsformen wie Eid, Handschlag oder ähnliche rituelle Praktiken zu binden.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Hygiene als juristischer Streitfall: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20870 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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