Dass Jennifer Morgan, die Geschäftsführerin von Greenpeace International, zur Klima-Sonderbeauftragten des Auswärtigen Amts wird, erregt viel Aufsehen. Anlass, einmal den "juristischen Fußabdruck" von Greenpeace zu betrachten.
Es gab einige Aufregung wegen der Ankündigung, dass Jennifer Morgan (1966–), eine seit dem Jahr 2016 als Geschäftsführerin von Greenpeace International tätige Politikwissenschaftlerin, demnächst zur "Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik" im Auswärtigen Amt berufen werden soll.
Angemerkt wurde, dass der Kandidatin für eine beamtenrechtliche Investitur die passende Staatsangehörigkeit fehle. Kritisiert wurde auch, dass die Verstrickungen der Bundesregierung mit Lobby-Verbänden durch die Berufung der Greenpeace-Funktionärin eine neue Qualität annehme.
Ein wenig außer Acht gerät dabei, dass Greenpeace – eine 1971 in Vancouver gegründete, heute wesentlich von Geldmitteln aus Deutschland abhängige Lobby- und Organisation zum Sammeln von Spenden ("Fundraising"), seither eine breite Spur durch die deutschen und internationalen Gerichtssäle gezogen hat.
Normalisierung provokanter Öffentlichkeitsarbeit
Unter den hunderten, weltweit wohl tausenden von Gerichtsentscheidungen mit Greenpeace-Beteiligung lässt sich nur eine kleine Auswahl vorstellen.
Selbst wenn diese Auswahl nicht beansprucht, repräsentativ zu sein, fällt doch auf, dass bei einer der ersten Entscheidungen, die nach der Gründung des deutschen Greenpeace-Ablegers im Jahr 1980 in eine branchenübliche Urteilssammlung aufgenommen wurden, keine Frage des Umweltschutzes im Mittelpunkt stand.
Mit Urteil vom 24. Oktober 1985 lehnte das Bundesverwaltungsgericht das Begehren des Vereins ab, mittels Freistempel-Maschine das "Weltkugel-" und das "Friedenszeichen" auf seine Briefe drucken zu dürfen. Die Bundespost hatte dies verweigert, weil diese politischen Symbole ihr zugerechnet werden und im internationalen Postverkehr zu Problemen führen könnten. Die entsprechende Regelung der Postordnung sah auch das Gericht als allgemeines Gesetz nach Artikel 5 Abs. 2 Grundgesetz (GG) an (Az. 7 C 55.84).
Erfolgreich war der Verein hingegen in einem drastischeren Sachverhalt: Greenpeace Deutschland hatte seit Beginn der 1990er Jahre Plakate verbreitet, gestaltet vom sozialdemokratischen Grafiker und Juristen Klaus Staeck (1938–). Sie zeigten großformatige Porträtbilder von Wolfgang Hilger (1929–2020) und Cyril Van Lierde (1929–2015), Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG bzw. der Kali-Chemie AG, mit dem Slogan: "Alle reden vom Klima" und "Wir ruinieren es". Diese Kampagne stand vor dem Hintergrund, dass sich die Hoechst AG zwar bereit erklärt hatte, auf die Produktion gewisser Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zu verzichten, deren Schadenswirkung in puncto Ozonschicht und Treibhauseffekt bekannt war. Der FCKW-Ausstieg wurde jedoch nach Auffassung von Greenpeace nicht energisch genug betrieben, auch standen die nun erzeugten Kühl- und Lösungsmittel im Verdacht, ähnliche Umweltschäden zu bedingen.
Während das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) dem Unterlassungsbegehren von Wolfgang Hilger folgte, der sich durch diesen "Pranger" im Recht am eigenen Bild und im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sah, befand der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 12. Oktober 1993 (Az. VI ZR 23/93), dass die Plakate in ihrer Gesamtheit vom Recht auf freie Meinungsäußerung, Artikel 5 Abs. 1 GG, gedeckt seien.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm die Verfassungsbeschwerden des Hoechst-Managers bzw. von Greenpeace mit Beschlüssen vom 8. April 1999 nicht an (Az. 1 BvR 2126/93 bzw. 1 BvR 1498/92).
Erweiterte Handlungsspielräume für Greenpeace
In der Rechtsprechung finden sich zahllose Beispiele für Protestaktionen von Greenpeace, die die Grenzen des rechtlich Zulässigen austesteten. Zum Vergleich eignet sich die strafrechtliche Würdigung einer Blockade des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im Jahr 2011 mit früheren Vorgängen. Hier hatten sich die Greenpeace-Leute ans Tor der Einrichtung gekettet, um das Personal daran zu hindern, an einem "Castor"-Transport mitzuwirken, waren aber mit erheblichem Aufwand bereits entfernt worden, bevor die Arbeit beginnen konnte.
Während das OLG Karlsruhe im Beschluss vom 8. Januar 2015 zugunsten der wegen Nötigung angeklagten Greenpeace-Aktivisten berücksichtigt sehen wollte, dass wegen des frühzeitigen Losschneidens der Blockierer die KIT-Beschäftigten nicht wirklich behindert worden waren, gibt ein in der Sache ähnlich gelagertes Urteil des BGH für einen früheren Fall – Blockade eines Schienenwegs zur Verhinderung von Castortransporten durch "Aktivisten" (beim BGH in Anführungszeichen) – noch das Beispiel unangefochtener Strafbarkeit wegen Nötigung und Sachbeschädigung (Urt. v. 12.02.1998, Az. 4 StR 428/97). Darauf, dass das BVerfG zwischenzeitlich die Maßstäbe für die Prüfung der Verwerflichkeit eines Nötigungshandelns angezogen hatte, soll hier nicht weiter eingegangen werden – auffällig ist aber, dass regelmäßig Greenpeace-Leute beim Austesten der Grenzen vor Ort waren.
Grenzverschiebungen finden sich auf etlichen Feldern. Als sich z. B. ein Unternehmen der Mineralöl-Industrie – Inhaber der Marke "Elf" – in seinen Namensrechten verletzt sah, weil Greenpeace von einer Domain "www.oil-of-elf.de" auf die eigene Öko-Kampagnen-Website weiterleitete, untersagte zwar das Landgericht (LG) Berlin mit Urteil vom 6. März 2001 (Az. 16 O 33/01) diese Praxis, doch fand schon das Kammergericht Berlin an dieser Kampagne nichts mehr auszusetzen (Urt. v. 23.10.2001, Az. 5 U 101/01).
Stoff für rechtssoziologische Untersuchungen
Interessant könnte eine rechtssoziologische Untersuchung von Prozessen mit Greenpeace-Beteiligung sein. Während etwa dem Verein im Streit um die Herausgabe von Daten zu Baumbeständen der bayerischen Staatswälder – Greenpeace verweigert die Zusicherung, die Daten nicht für rechtswidrige Kampagnen-Zwecke zu nutzen – gewissermaßen die ganze juristische Streit-Macht des Freistaats gegenübersteht (Bayerischer VGH, Beschl. v. 08.02.2017, Az. 22 B 14.2304), griff der Verein im Fall des Versuchs, 16 Stämme Tropenholz aus dem Kongo zu importieren, erfolgreich gegen einen mittelständischen Unternehmer durch, der wohl mit dem Zusammenspiel von deutscher, afrikanischer und EU-Genehmigungsbürokratie überfordert war (Verwaltungsgericht Köln, Urt. v. 01.06.2017, Az. 13 K 2037/15).
Spannend wäre auch die systematische soziologische Auseinandersetzung mit dem Renommee, das Greenpeace bei Gerichten und Behörden genießt – oder auch nicht.
Während beispielsweise das BVerfG im Urteil vom 6. Dezember 2016 zum Gesetz zur Beschleunigung des Atomausstiegs Greenpeace als "sachkundigen Dritten" würdigte und die Zahlen des Vereins zum deutschen Energieverbrauch in seine Erwägungen einbezog (Az. 1 BvR 2821/11 u. a. Rnrn. 326 ff.), finden sich in Entscheidungen der Fachgerichte teils unverhohlene Zweifel an der Belastbarkeit von Greenpeace-Gutachten, weil die wissenschaftlichen Möglichkeiten des Vereins im Vergleich mit staatlichen Wissenschaftseinrichtungen unzureichend (OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 31.01.2007, Az. 4 KS 2/04) oder weil ältere Daten und die schlechteren technischen Standards ausländischer Staaten für deutsche Sachverhalte herangezogen worden seien (Thüringisches OVG, Beschl. 22.02.2006, Az. 1 EO 707/05, S. 37).
Gelegentlich zeigen Behörden auch offen, wie wenig sie fachlich vom Greenpeace-Personal halten. Ein langjähriger Anti-Gentechnik-Aktivist des Vereins findet sich etwa in einer Entscheidung des Europäischen Patentamts vom 15. Juni 2004 wenig charmant als "Patentexperte" in Anführungszeichen gesetzt (Az. T 0475/01).
Wieder Grundsatzfragen der Verbandsdemokratie stellen?
Zum "juristischen Fußabdruck" von Greenpeace lässt sich auch die Beobachtung zählen, dass die Organisation in anderen Ländern auf ihre Grenzen trifft.
In Neuseeland hatte Greenpeace sich etwa auf Zwecke des klassischen Umweltschutzes zu beschränken, um weiter als gemeinnützig anerkannt zu werden (u. a. Supreme Court of New Zealand, Urt. v. 01.08.2013, Az. SC 97/2012 [2014] NZSC 105), vor dem Obersten Gerichtshof Norwegens scheiterte Greenpeace jüngst mit dem Versuch, die Genehmigung zur Erdölförderung in der Barentssee kraft Verfassungsrechts zu verhindern, also mit einer sogenannten "Klimaklage" (Urt. v. 22.12.2020, Az. HR-2020-2472-P).
Gründe für einen 'Anfangsverdacht', dass Greenpeace in Deutschland ein überdurchschnittliches Ansehen genießt, gibt auch der Rechenschaftsbericht der Organisation. Während ihr deutscher Landesverband im Jahr 2020 mit rund 22,8 Millionen Euro ein Viertel der Mittel beisteuerte, kamen aus den USA und dem Vereinigten Königreich – mit ihrer in der Summe fünf Mal größeren Bevölkerung – keine 14 Millionen Euro zusammen.
Statt den Fall Morgan also nur als Anlass für eine unfruchtbare Diskussion um Lobbyismus zu nutzen, ließe sich eine rechtspolitische Diskussion wieder aufgreifen, die in den 1970er Jahren für einigen Wirbel sorgte.
In seiner 1978 vorgelegten Habilitation setzte sich vor allem Gunther Teubner (1944–) mit Fragen der "Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung" auseinander. Als dringendes Problem wurde seinerzeit von Konservativen und Liberalen die wachsende Macht der Verbände gesehen, die politische Linke sorgte sich – insbesondere mit Blick auf Gewerkschaften – um die Rechte interner Minderheiten. Vorrangiges Ziel müsse es daher sein, so Teubner, die "innerverbandliche Opposition durch Gewährung von politischen Grundrechten wie durch geeignete Gestaltungen des Wahlrechts innerhalb von Verbänden zu sichern".
Stimmberechtigt sind bei Greenpeace nicht mehr als 40 handverlesene Menschen, § 4 der Satzung.
Das sollte Anlass genug zur Frage sein, ob ein liberaler Verfassungsstaat, wenn er der Zivilgesellschaft und ihren Aktivistinnen und Aktivisten immer breiteren Raum lässt, nicht auch für demokratische Verhältnisse in ihren Verbänden sorgen muss.
Greenpeace und die Justiz: . In: Legal Tribune Online, 13.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47519 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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