Recht vor 70 Jahren: Deut­sch­land im Jahr 1

von Martin Rath

08.05.2016

2/2: Arbeitsplatz Reinhold Maier

Im zunächst kleinen Teilländle des Reinhold Maier – 1952 sollte der FDP-Mann auch als Ministerpräsident des vereinigten Baden-Württemberg reüssieren – regulierte die US-Besatzungsmacht die Wiederherstellung von öffentlicher Kommunikation freilich mit harter Hand: Für die unerlaubte Veranstaltung öffentlicher Versammlungen wurden bis zu zwei Jahren Gefängnis angedroht, ebenso für die Vernichtung oder Beschädigung von "Ankündigungen" und "Plakaten".

Vielleicht lohnt es sich, sich die Geschichte in der Nussschale einer solchen, trotz Strafandrohung harmlos klingenden Norm bildlich vorzustellen: Heute geht kaum ein Mensch, der im Leben steht, ohne Smartphone durch die Welt (Gehen und Stehen sind dabei oft schwer auseinanderzuhalten), ist damit Adressat eines nicht enden wollenden Informationsstroms. Vor 70 Jahren ist es neben dem Radio einzig und allein das amtlich aufgehängte Plakat, das Informationen mit dem Anspruch auf allgemeines Gehör verbreiten kann.

Die erschreckende Armut im Staate Württemberg-Baden fand nun auch in dem Ausdruck, was auf solchen Plakaten als neues Recht dem Volk beizubringen war, etwa eine Verordnung, der zufolge "Personen, welche einen unsittlichen Lebenswandel führen, vorläufig festgenommen und dem Gesundheitsamt bzw. einem Arzt zugeführt werden" konnten: "Wird eine Geschlechtskrankheit festgestellt, so muß die kranke Person zur Durchführung des Heilverfahrens in ein Krankenhaus verbracht werden, aus dem sie erst entlassen werden darf, wenn eine Gefahr … nicht mehr begründet ist."

Kontinuitäten und Brüche

Das erste Gesetzblatt des benachbarten Bayern für das Jahr 1946 verkündet die Aufhebung des 1933 in Kraft getretenen "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". In der Nachkriegszeit ist in Bayern der antipreußische Affekt stark. Er rührt daher, weil die historische Eigenstaatlichkeit Bayerns noch keine CSU-Folklore ist (und man von einer Wiederbeseelung durch Herrn Eisenhower im Zweifel nichts wissen mochte).

Ob die legislative Scheußlichkeit eines Gesetzes, auf dessen Grundlage Zehntausende Menschen von Rechts wegen zwangssterilisiert wurden, in Bayern auch deshalb früh aufgehoben wird, weil die Vorarbeiten zum Gesetz schon 1932 vom preußischen Gesundheitsamt geleistet wurden?

Mit anderen Erbstücken des NS-Rechts tat man sich schwerer. § 48 Absatz 2 des "Gesetzes über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen" vom 31. Juli 1938 enthielt etwa folgende Regelung: "Eine Verfügung von Todes wegen ist nichtig, soweit sie in einer gesundem Volksempfinden gröblich widersprechenden Weise gegen die Rücksichten verstößt, die ein verantwortungsbewußter Erblasser gegen Familie und Volksgemeinschaft zu nehmen hat."

Volksempfinden wird man nur sehr langsam los

Der Eingriff des NS-Staats wurde noch zu Kriegszeiten von der Testier- auf die gesetzliche Erbfolge ausgedehnt, die Richterschaft ermächtigt und verpflichtet, den Vermögenswechsel im Todesfall unter Gesichtspunkten eines sogenannten "gesunden Volksempfindens" zu modellieren.

Bemerkenswert ist, dass sich hier bereits 1945 einzelne Oberlandesgerichtspräsidenten, beispielsweise in Hamburg oder in Düsseldorf, darum bemühten, den ungeliebten § 48 Testamentsgesetz außer Vollzug zu setzen, ein durchaus mühsames Unterfangen, war die Bitte doch an die jeweils zuständige Militärregierung zu adressieren und entsprechend eher kleinräumig in die Tat umzusetzen.

Dort, wo es nicht im die Testierfreiheit des Bürgers, sondern im Zweifel um die Taten finstrer Gesellen ging, war der Änderungsbedarf an der fragwürdigen "Volksempfinden"-Vokabel weniger stark ausgeprägt: Erst zum 1. Oktober 1953 tauschte der Bundesgesetzgeber die Phrase, wonach die Nötigung, § 240 Strafgesetzbuch, rechtswidrig ist, wenn "die Zufügung des angedrohten Übels zu dem angestrebten Zweck dem gesunden Volksempfinden widerspricht" gegen die heute bekannte Formulierung, wonach bereits die "Androhung des Übels" als "verwerflich" einzuschätzen sein muss.

Teilung Deutschlands ist noch Zukunft

Mit großer Nüchternheit werden 1946 die Veränderungen auch im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands wahrgenommen und beispielsweise in der Deutschen Rechts-Zeitschrift (DJZ, 1946, S. 26–28) referiert.

Zu den juristischen Nachrichten aus Sachsen zählte beispielsweise neben der Ersetzung von Berufs- durch meist linientreue Laienrichter die 1946 schon vollzogene sogenannte Bodenreform: "Sie bestand in der entschädigungslosen Enteignung des Grundgesetztes der Kriegsverbrecher und NS-Aktivisten", heißt es ganz unkritisch im westdeutschen Juristenblatt des Jahres 1946. Dies sollte sich in der historischen Rückschau doch überwiegend noch einmal ganz anders darstellen.

Aber das Verständnis ist ohnehin zeitabhängig. 1946 überschrieb die "Deutsche Juristen-Zeitung" den Bericht aus dem Osten: "Die Rechtsentwicklung in der Provinz Sachen". Heute könnten Politikwissenschaftler diese Überschrift für aktuelle Lageberichte recyceln.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht vor 70 Jahren: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19307 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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