Den einen wird der Acker überflutet, die anderen beschweren sich, weil ihnen das Wasser abgegraben wurde: Über zu viel und zu wenig Wasser wurde immer schon gestritten. Kaum etwas lehrt daher mehr über die zeitliche Dimension von Recht.
Besonders friedlich scheint es bei der Einrichtung moderner Infrastruktur in Deutschland nie zugegangen zu sein: Als die Eisenbahnverwaltung des Kurfürstentums Hessen im Jahr 1849 einen Zug zur Probefahrt auf die neue Main-Weser-Bahn schickte, verprügelten enttäuschte Fahrgäste das Bahnpersonal, weil sie keinen Platz mehr bekommen hatten – woraufhin die Dampflokomotive abgekoppelt wurde und die Fahrt ohne Waggons absolvierte.
Während zum fahrgastrechtlichen Nachspiel dieses Vorgangs leider nichts überliefert ist – man möchte sich auch nicht ausmalen, was die Deutsche Bahn AG aus ihm lernen könnte –, ist der Streit wegen einer für diese Linie errichteten Eisenbahnbrücke über die Lahn dokumentiert – er zog sich über 100 Jahre.
Der Bahndamm zu dieser Brücke machte eine gewisse Regulierung der Lahn und der Ohm, eines Nebenflusses, notwendig. Die Wasserzufuhr zu einer Wassermühle wurde in der Folge immer wieder durch entstehende Kiesbänke behindert. Der Mühleneigentümer konnte sich in einem Prozess gegen die Kurfürstlich-hessische Eisenbahnverwaltung durchsetzen – sie übernahm 1858 in einem Vergleich die Pflicht, auch künftige Ablagerungen von Kies beseitigen zu lassen.
1943 weigerte sich die Eisenbahnverwaltung jedoch – das Kurfürstentum war 1866 von Preußen annektiert worden, seit 1920 gab es die Reichsbahn – eine neu entstandene Kiesbank zu entfernen. Die Sache kam nach kriegsbedingten Verzögerungen vor den Bundesgerichtshof (BGH). Der nunmehr Deutschen Bundesbahn war eine Urkunde aus dem Jahr 1905 aufgefallen, die – wenn man es denn entsprechend gutachterlich würdigen wollte – belegen mochte, dass der Mühlenbetrieb auch ohne die Kiesbank durch eine Veränderung von Höhenverhältnissen im Gewässer um knapp 40 Zentimeter an Wasserkraft verloren habe.
Mit Urteil vom 28. Januar 1955 (Az. V ZR 58/54) entschied der BGH aber gegen die Bahn, weil diese Messung aus dem Jahr 1905 bereits in den Vorprozessen bei den Akten gewesen sei und daher keinen Grund für eine Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7 b Zivilprozessordnung (ZPO) geben konnte.
Fürst reguliert Streit im Mönch-Bauern-Nonnen-Verhältnis
Erheblich schneller – binnen eines Jahrzehnts – kamen die Anwohner der Leine bei Hannover vor 500 Jahren zu ihrem Recht.
An dem Fluss bestand neben einer Wassermühle des damaligen Zisterzienser-Klosters Loccum ein weiterer Mühlenbetrieb des weitläufig benachbarten Augustinerklosters Marienwerder. Die Nutzung der Wasserkraft trieb den Anwohnern immer wieder die Leine auf die Felder, zudem kam es zu Uferschäden.
Wegen dieser Schäden klagten Einwohner der betroffenen Dörfer beim Landesherrn, Herzog Wilhelm dem Älteren von Braunschweig-Lüneburg (1392–1482), der im Jahr 1456 einen Ortstermin anberaumte. Vom Hochwasser betroffen waren rund 20 Kilometer Marschland der Leine. Der Fürst kam zu der Einsicht, dass hier nicht zwei Wassermühlen gleichzeitig bestehenbleiben konnten. Zur Frage, welche der Mühlen zu beseitigen sei, wurden den beiden Klöstern vier Tage Bedenkzeit gegeben. Vereinbart wurde schließlich, dass das Kloster Loccum seine Mühle aufzugeben, gründlich abzureißen und nie wieder einen neuen Betrieb zu errichten habe. Die nun gemeinsame Mühle von Marienwerder hatte dafür zu sorgen, dass Flut- und Uferschäden unterbleiben würden.
Wie die Historiker Niels Petersen und Arnd Reitemeier in ihrem 2017 veröffentlichten Aufsatz "Die Mühle und der Fluss. Juristische Wechselwirkungen" erörtern, handelte es sich nicht um den einzigen Mühlen-Konflikt im Raum Hannover – doch um einen der friedlicheren. Bei anderen Streitigkeiten um die Nutzung der Wasserkraft, gerne auch zwischen den Klöstern, wurden die Mühlen manchmal gleich in Trümmer gelegt – auf dem Rechtsweg der Fehde, als man noch den Job von Verfahrenspartei, oberstem Richter und Gerichtsvollzieher in Personalunion erledigte.
Niemals funktionstüchtige Wasserleitungen am Kaiser-Wilhelm-Kanal?
Über einen in rechtlicher wie faktischer Hinsicht hübschen Fall entschied der BGH mit Urteil vom 9. Mai 1967 (Az. Ib ZR 163/64).
Im Lauf der nur achtjährigen Bauarbeiten am Nord-Ostsee-Kanal (1887–1895) kam es am 5. September 1893 zu einem Treffen zwischen der Kanalkommission, Vertretern des Landkreises und den Eigentümern anliegender Grundstücke.
Grund für das Treffen gab der Umstand, dass durch die Kanalbauarbeiten der Grundwasserspiegel gesunken war – die Haus- und Wirtschaftsbrunnen der Anlieger waren damit weiträumig funktionsuntüchtig geworden.
Ein Geheimer Baurat von der Kanalkommission schlug daher vor, von einem Sammelbrunnen her Wasserleitungen legen zu lassen. Mit diesem Projekt zeigten sich die versammelten Haus- und Grundeigentümer durchaus einverstanden, fanden aber doch auch einen Weg, die Bequemlichkeit noch deutlich zu erhöhen.
So ersuchte man, für Feuerlöschzwecke ein Bassin und einige Hydranten anzulegen, vor allem aber gleich Wasserleitungen bis in die Wohnungsküchen und Stallgebäude legen zu lassen und mit modernen Hähnen zur Wasserentnahme auszustatten – ein deutlicher Fortschritt gegenüber der älteren Hausbrunnentechnik.
Von Seiten der Kanalkommission wollte man das gerne zugestehen, wünschte aber ein ortsrechtliches Verbot gegen die Vergeudung zur Bewässerung von Gärten und Wiesen. Außerdem erklärte man, dass die Unterhaltung der Wasserleitung von der Kanalverwaltung auf die Gemeinde übergehen sollte, sobald diese sich "durch längere Bewährung … als zweckentsprechend erwiesen haben würde".
Um dies sicherzustellen, wählte der Kreis der Anlieger gleich drei Vertrauensleute.
Trotz der Bemühungen der Kanalverwaltung – es wurden weitere Brunnen für die Wasserversorgung angelegt –, strengten einige Grundeigentümer 1903 erfolgreich eine Klage an, um die tägliche Versorgung mit 36 Kubikmeter Wasser zu gewährleisten.
1908 wurden weitere Brunnen angelegt, angetrieben durch eine Windturbine, die 1928/29 mit beachtlichem Kostenaufwand erneuert, 1947 durch einen Elektromotor ersetzt wurde. 1958 musste das System wegen Keimbelastung stillgelegt werden, woraufhin einer der Anwohner klagte, seine Wasserversorgung wiederherzustellen, weil die nach der Vereinbarung von 1893 errichtete Anlage nie die zugesagte "längere Bewährung" gezeigt habe. Mit dieser Klage scheiterte der Anwohner, der zur Begründung unter anderem eine Rechtsfigur nachgeschoben hatte, die erst in der Zwischenzeit erfunden worden war: Auf die sogenannte Daseinsvorsorge könne er sich nicht berufen, erklärte der BGH, weil weder er, der Anwohner, noch die Kanalverwaltung das Wasser im Rahmen dieses 1938 von Ernst Forsthoff (1902–1974) erdachten Zwecks der öffentlichen Verwaltung hatten bewirtschaften wollen.
Zeitliche Dimensionen von Trockenheit und Flut nachempfinden
Noch vor der Erfindung des durchaus heiklen juristischen Konstrukts von der Daseinsvorsorge durch die öffentliche Hand gab es Beispiele für entsprechendes vor- oder fürsorgliches Staatshandeln.
Als zugleich unverhofftes juristisches "Klima-Gedächtnis" findet sich etwa eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 10. Juli 1918 zur Frage, bis wann Eisenbahn-Nutzer einen besonderen Frachttarif in Anspruch nehmen konnten (Az. I. 20/18).
Aus dem Urteil, das in den letzten Wochen des Ersten Weltkriegs erging, ist zu erfahren, dass die deutschen Bahnen – seinerzeit noch nicht zu einem einheitlichen Unternehmen vereinigt – im Jahr 1911 einen Sondertarif veranstaltet hatten, der einen deutlich verbilligten Transport insbesondere von Futtermitteln wie Gerste und Mais für die Tierzucht vorsah.
Der Grund für diese ungewöhnliche Regelung lag in den Umweltbedingungen im Deutschen Reich und der europäischen Nachbarschaft, die der zeitgenössische Klimaforscher Wilhelm Naegler wie folgt beschrieb:
"Trotz alledem hat das Jahr 1911 allenthalben eine Trockenperiode gebracht, die in den Annalen der Witterungsgeschichte einzig dastehen dürfte. Weite fruchtbare Gebiete standen im Begriff, Steppencharakter anzunehmen, und zahlreiche Menschen fielen der Hitze zum Opfer. Die Säuglingssterblichkeit war in einzelnen Monaten doppelt so groß als im Vorjahre. Quellen versiegten, Brunnen und kleinere Wasserläufe trockneten aus, Flüsse, wie die Elbe, konnten stellenweise trockenen Fußes durchschritten werden. Das Grundwasser sank auf einen minimalen Stand, so daß sich allenthalben eine anhaltend empfindliche Wasserkalamität in bedenklicher Weise fühlbar machte."
Chaos und Komplexität von Wetter- und Klimaverhältnissen verbieten es gewiss, daraus unmittelbar etwas für die Gegenwart abzuleiten.
Was aber ein Futtermittel-Bahntarif in Zeiten der historischen Dürre ebenso zeigt wie die teils Jahrzehnte langen Prozesse um Wasserkraft oder zur Teichwirtschaft, zur Verhütung von Überschwemmungen oder um die Versorgung mit Trinkwasser: Mit akuten Notlagen ist man zwar teils sehr rasch fertig geworden, für dauerhafte Lösungen braucht es aber einen oft sehr langen Atem.
Aus der historischen Suche nach Lösungen zu lernen, könnte vielleicht helfen, sich dabei heute nicht allzu nah am Wasser gebaut zu fühlen.
Tipp: Der Band "Wasser in der mittelalterlichen Kultur", herausgegeben von Gerlinde Huber-Rebenich, Christian Rohr und Michael Stolz, bietet einen sehr breiten, spannenden und im Wortsinn epochalen Zugang zum Wasser – vom philosophischen Verständnis bis zur praktischen Nutzung und, wie im Fall der Leine-Mühlen, zum juristischen Prozess. Berlin/Boston (Walter de Gruyter) 2017, 650 Seiten.
Verfahren um Wasserkraft, Flut und Dürren: . In: Legal Tribune Online, 21.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49370 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag