Erdgas und Fernwärme müssen sich hierzulande einst günstig auf den Rechtsgehorsam ausgewirkt haben. Die große Zeit des Holz-, Benzin- und Kohlendiebstahls ging in seltsam kriminogenen Zonen aber erst in den 1970er Jahren zu Ende.
Als der Schriftsteller Walter Kempowski (1929–2007) in den 1990er Jahren begann, unter dem Titel "Echolot" ein "kollektives Tagebuch" zum Zeitraum 1941 bis 1945 zu veröffentlichen, wurde er von der wohlwollenden Reaktion in Publikum und Presse überrascht. Aus privaten Briefen und amtlichen Dokumenten, Erinnerungen von Opfern wie Tätern, von Soldaten und Zivilisten hatte Kempowski keine historische Dokumentation zusammengesetzt, sondern eine literarische Collage.
Obwohl eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur auf dieser Technik beruht, Karl Kraus (1874–1936) hatte in "Die letzten Tage der Menschheit" Stimmen von der Straße und Phrasen aus der Presse zu einem gewaltigen Portrait des Ersten Weltkriegs montiert, wird sie selten genutzt. Das Feuilleton beklagt meist, dass es an künstlerischer Leistung fehle, zudem bereitet sie ihren Verfassern viel Arbeit. Ein jüngeres Projekt wie Gerhard Henschels (1962–) "Martin Schlosser"-Romane, die Alltags- und Gesellschaftsgeschichte seit den 1960er Jahren anschaulich machen, ist deshalb wohl deutlich stärker als bildungsbürgerliche Autobiografie gestaltet.
Wer sich vom Leben in Deutschland seit den 1950er Jahren ein Bild machen wollte, das auch die praktischen Bedürfnisse und vielfältigen Verwirrungen der sogenannten kleinen Leute in kräftigen Farben zeichnet, muss trotzdem nicht leer ausgehen – eine handelsübliche juristische Datenbank liefert viel Stoff für tomografische Aufnahmen des deutschen Alltags.
Vom Brennstoff handelte immer schon Gesellschaftsgeschichte
Frei nach Johann Wolfgang Goethe: Sterben will keiner, heizen will jeder. – Um zu erfahren, wie wichtig etwa der Wald einst als Quelle von Brennholz und Nahrung genommen wurde, muss man zunächst tief graben: Im Streit um die Freiheitsrechte der englischen Untertanen gegen die Krone stand der Wald im Zentrum, kaum dass die Tinte auf der "Magna Charta" getrocknet war. Und noch im 19. Jahrhundert gab es scharfe Interessengegensätze bei der Nutzung von Holz – sie wurden zum Gegenstand einer ersten wichtigen Parlamentsberichterstattung in Deutschland.
Aktuellere Auskünfte über die Nöte und Abwege, auf die das Heizen mit Holz führen kann, finden sich in der Rechtsprechung – vielleicht erbarmt sich ja einmal eine Schriftstellerin und collagiert sie zu Literatur.
Mit Urteil vom 12. Mai 1970 (Az. II WD 74/69) befasste sich beispielsweise der II. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts mit dem privaten Holz-Beschaffungswesen eines 32 Jahre alten Zeitsoldaten der Bundeswehr.
Disziplinarrechtlich war der Soldat mit einer durchwachsenen, aber doch positiven dienstlichen Beurteilung zunächst wegen eines Verkehrsunfalls im Hunsrück aufgefallen, auch hatte er es an Diensteifer vermissen lassen, als Soldaten unter seiner Aufsicht zwei Hühner gestohlen und zubereitet hatten – Geschichten aus dem Soldatenleben der 1960er Jahre. Anlass zu einem neuen Disziplinarverfahren, das in seiner Herabsetzung in den Dienstrang eines Feldwebels enden sollte, gaben dann Vorgänge im Winter 1968: Unter Verwendung eines Bundeswehrfahrzeugs hatte der Beschuldigte 40 Scheite fremden Buchenholzes aus einem Waldstück entwendet. Ein ihm unterstellter Soldat half beim Sägen.
Zu seiner Verteidigung trug der Beschuldigte unter anderem vor, er habe vergessen, dass ein im Jahr vor der Tat erteilter "Forstbenutzungserlaubnisschein für Raff- und Leseholz-Abraum" bereits abgelaufen war. Außerdem habe es sich um halb verrottetes Holz gehandelt, von dem anzunehmen gewesen sei, dass niemand mehr Eigentum an ihm beansprucht hätte. Der Wehrdienstsenat erklärte dagegen, dass für "jeden vernünftigen Menschen und mithin auch für den Beschuldigten" aus der "Zurichtung zu Scheiten und deren Aufschichtung zu einem mehrere Meter langen Stapel innerhalb eines Staatswaldes" zu erkennen gewesen sei, dass er sich an fremdem Eigentum vergriff. Ungünstig in die Gesamtwürdigung floss ein, dass der Abtransport heimlich bei Nacht erfolgt war. Auch das "Mundraub"-Argument nach § 370 Abs. 1 Nr. 5 Strafgesetzbuch (StGB), er habe sich in einer finanziellen Notlage befunden und Brennmaterial für seine Familienwohnung benötigt, griff nicht, weil die Holzscheite nicht zum hauswirtschaftlichen Verbrauch vorbereitet im Wald gelegen hatten.
"Kohlenklau" – Praxis und Präventionsgeschichte
Obwohl die Entwendung von Holz und anderen Kostbarkeiten des Waldes seit dem Mittelalter rechtshistorisch die weitaus prächtigere Geschichte bietet und noch in den 1970er Jahren Bundesrichter forstökonomische Details diskutierten, ist der "Kohlenklau" in der deutschen Alltagsgeschichte deutlich präsenter.
Das lässt sich zum einen auf den Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings (1887–1978) zurückführen, der im beinahe arktischen deutschen Winter des Jahres 1946/47 zu Grund und Grenzen des "Mundraubs" an diesem Heizmaterial gepredigt hatte, aber auch auf eine vorangegangene Kampagne zur Kriminalprävention: Seit 1942 hatte die NS-Propaganda starke Anstrengungen gegen die Verschwendung von Brennstoffen unternommen. Die Kampagne "Kampf dem Kohlenklau" galt als die "bis heute wohl umfangreichste Energiespar-Aktion".
Auch für einen Walter Kempowski des Kohlen-Diebstahls fände sich soziologisches Material. Um ein Beispiel aus vielen zu greifen: Einem Beamten der Bundesbahn wurde vorgeworfen, im oberfränkischen Bahnhof Schlüsselfeld zwischen 1956 und 1958 in rund 40 Fällen kleine Gebührenbeträge von insgesamt 147,30 DM nicht korrekt gebucht zu haben, um aus diesem versteckten Guthaben Fehlbeträge auszugleichen, die er in der Schalterkasse verursacht hatte. Weiterhin traf ihn der Vorwurf, sieben Holzstäbe im Gesamtwert von 2,40 DM entwendet zu haben, die er in seinem Garten zum Anbinden von Tomaten benutzte. Der 46 Jahre alte Beamte, ein Flüchtling aus Schlesien, war kein unbeschriebenes Blatt: 1946 hatte das Amtsgericht Hamburg-Altona gegen ihn einen Strafbefehl über 60 Reichsmark wegen Diebstahls von Kartoffeln verhängt. Wegen des Diebstahls von zehn Decken, sieben Pfund Käse und fünf bis sechs Zentnern Kohlen war 1951 eine Geldbuße über 100 DM fällig geworden.
In dem Versuch, seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis doch noch abzuwenden, führte seine Verteidigung an, die Kartoffeln seien Gegenstand eines Mundraubs gewesen, bei den Holzstangen für die Tomaten habe es sich ähnlich verhalten. Im Übrigen habe er unter dem unüberwindbar schlechten Einfluss seiner Ehefrau gestanden. Dieser Argumentation folgte der Bundesdisziplinarhof mit Urteil vom 27. Juli 1961 (Az. III D 99/60) nicht: Das Führen einer Nebenkasse deute auf planmäßiges Handeln hin, das Einkommen lasse auch auf keine häusliche Notlage schließen – und schon beim Diebstahl von Käse und Kohlen hätten die Gerichte schärfer durchgreifen müssen. Dass das unterblieb, sei nur auf die besondere Notsituation vor der Währungsreform von 1948 zurückzuführen. Das Beamtenverhältnis wurde darum beendet.
In juristischer Hinsicht war das sicher keine bedeutende Sache. Der Blick in die ältere Rechtsprechung gibt aber doch zu denken. Täter in Fällen von "Kohlenklau" und anderen Gaunereien waren recht oft kleine Beamte. So sehr man einen gut versorgten öffentlichen Dienst schon deshalb zu schätzen weiß, weil er weniger korruptionsanfällig ist: Eine Schule für flexibles, an der Lösung von Problemen orientiertes Verhalten waren diese älteren, von Armut geprägten Verhältnisse offenbar doch. Sogar in den 1990er Jahren waren an Universitäten noch Gelehrte anzutreffen, die von den Schwarzmarktgeschäften ihrer Kindheit schwärmten – tausche Zigaretten gegen Kohlen – und sich dadurch fit gemacht fühlten für ihr weiteres Leben, auch im Ordinariat.
War die Bundeswehr je zum Kämpfen da?
Von jedem spekulativen Gedanken dazu, ob die deutsche Beamtenschaft die Fähigkeit zu normativ flexiblem Verhalten nicht ein wenig zu sehr verlernt haben könnte, ist aber spätestens abzuschwören, sobald es nach Holz und Kohle um den dritten wichtigen Brennstoff geht.
In seinem Urteil vom 15. März 1963 (Az. WD 48/62) setzte sich der Bundesdisziplinarhof beispielsweise mit der Frage auseinander, ob ein Stabsunteroffizier des 2. Versorgungsbataillons 76, eines unter anderem bei der Hamburger Sturmflut von 1962 bewährten Truppenteils, aus dem Dienst zu entfernen sei, weil er sich und weitere, mitbeschuldigte Soldaten aus den Benzinbeständen der Bundeswehr selbst versorgt hatte. Als Hauptbeschuldigter hatte er sich vorwerfen lassen müssen, im Kofferraum seines VW Käfer zwei Kanister Benzin aus der Kaserne geschmuggelt zu haben. Außerdem hatte er Untergebene in ähnlichem Umfang mit Treibstoff versorgt, um sie für persönliche Gefälligkeiten zu belohnen.
Während die erste Instanz zu einer milderen Sanktion gegriffen hatte, folgte der Senat hier dem Antrag des Wehrdisziplinaranwalts, dass ein Verbleib des Offiziers in der Bundeswehr nicht zu vertreten sei. Obwohl der Wert des Treibstoffs zweifelhaft war, er war eigentlich nur noch als Reinigungsbenzin zu verwenden, der Käfer-Motor soll ordentlich geknallt haben, wog nach Ansicht der Richter schwer, dass der Soldat auch Kameraden zur Entwendung verführt hatte.
Generalpräventive Wirkung gegen die Verführung zeigte das harte Urteil aus dem Jahr 1963 aber nicht – bis in die 1970er Jahre hatten sich die Disziplinargerichte verblüffend oft mit Treibstoffdiebstählen bei der Bundeswehr zu befassen.
Fast möchte man den alten Witz ergänzen, wonach die sowjetischen Streitkräfte einen siegreichen Angriff nur auf ein Wochenende hätten legen müssen, weil man dann bei der Bundeswehr auf Heimaturlaub oder betrunken war – es fragt sich zudem, ob damals beim deutschen Militär an den Werktagen überhaupt noch genügend Benzin im Tank war, um die Landesverteidigung zu organisieren, so viel wurde gestohlen.
Wertvolle Energie: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47803 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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