Zum Ende des Branntweinmonopols: Der Schnaps gehört dem Markt­ge­setz

von Martin Rath

31.12.2017

2/2: Trotz Trunkenheit in der Öffentlichkeit

Kritik daran blieb nicht aus. Der sozialdemokratische Rechtsanwalt und Reichstagsabgeordnete Dr. Oskar Cohn (1869–1934) äußerte Bedenken, weil das neue deutsche Alkoholmonopol in den besetzten Gebieten Polens und Litauens an Markttagen zu massiven Vorfällen von Trunkenheit in der Öffentlichkeit führte, wenn Geld und Monopol-Alkohol zusammenkamen – Zustände, wie sie die katholische und jüdische Bevölkerung zu Zeiten des älteren russischen Monopols stets beklagt hatte.

Im Übrigen müsse es befremden, dass bei den "außerordentlich großen Umsätzen mit Alkohol", die unter deutscher Monopolverwaltung in Polen und Litauen produziert würden, "der Zivilbevölkerung Deutschlands, übrigens auch den Truppen im Laufe der Zeit eine große Menge von Nahrungsmitteln entzogen" werde.

"Denn die Materialien", brachte der Abgeordnete in Erinnerung, "woraus dieser Schnaps hergestellt wird, sind doch dieselben, die sonst zur Brotbereitung oder als Zukost zu Fleisch oder Gemüse zu dienen haben. Ich verstehe auch nicht, warum gerade von militärischer Seite ein solches Alkoholmonopol eingeführt wird, angesichts der Gefahr, daß Soldaten sich durch die Zivilbevölkerung Alkohol besorgen und sich ebenfalls dem Trunke hingeben."

Geburtsstunde "unseres" Branntweinmonopols

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs war jedoch auch im Reich einerseits ein Wirtschaftsverwaltungsrecht zur Bewirtschaftung von Agrarrohstoffen etabliert, andererseits stieg angesichts zerrütteter Staatsfinanzen die Attraktivität des Branntweinmonopols als potenzieller Einnahmequelle.

Das "Gesetz über das Branntweinmonopol", veröffentlicht als Anlage zum "Gesetz über Änderungen im Finanzwesen" vom 8. April 1922 (Reichsgesetz-blatt I, S. 335 ff., 405 ff.), bildete den Ausgangspunkt für jenes Monopol, das mit dem Jahr 2017 nun sein Ende findet. Es regelte in fast manischer legislativer Kleinarbeit, dass die Alkoholdestillation zukünftig allein in staatlichen Monopolbetrieben sowie konzessionierten sogenannten Verschlussbrennereien zugelassen sei.

Letzteres betraf vor allem Obstbrennereien, die den Alkohol zwar nicht an die Monopolverwaltung abzuliefern hatten, dafür aber – bemessen an der Obstmaische – eine Abgabe entrichteten.

Vielfach regelte der Gesetzgeber des Jahres 1922 in absurd wirkender Detailgenauigkeit Dinge, die später in Verordnungstexte oder die Abgabenordnung überführt werden sollten, beispielsweise den Gefahrenübergang an Vergällungsmitteln, mit denen der Industriealkohol versetzt wird, oder die Oblie-genheiten, mit denen der Brenner dem Aufsichtsbeamten die Aufsichtsarbeit erleichtern sollte – z.B. indem er ihm Beleuchtung zur Verfügung stellte.

Von der Einnahmequelle zur Subventionsmethode

Sollte das Branntweinmonopol über eine Hektolitereinnahme, eine fingierte Handelsspanne, den "Branntweinaufschlag" sowie den Monopolausgleich bei Importen zunächst Einnahmen für den Reichs-, später den Bundeshaushalt bringen, wandelte sich das Monopolsystem im Lauf seiner Geschichte von 1922 bis 2017 zu einer landwirtschaftlichen Subventionsmethode.

Im Prinzip galt es, das in kleineren Brennereien erzeugte Ethanol einzusammeln und an die Pharma- oder Getränkeindustrie zu verkaufen. Die EU-Kommission genehmigte 2010 hierzu noch Subventionen in Höhe von rund 80 Millionen Euro jährlich.

Unter ordnungspolitischem Druck stand dieses System aber bereits seit 1970, als die Frage vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam, ob Deutschland für aus Italien importierten Alkohol eine als Monopolausgleich bezeichnete Abgabe erheben dürfe. Mit der "Cassis de Dijon"-Entscheidung monierte der EuGH branntweinrechtliche Mengenvorgaben für geistige Getränke als Verkehrshindernis im gemeinsamen europäischen Markt (EuGH Urt. v. 20.02.1979, Az. 120/78 REWE).

Zuletzt wurde der Vorteil des in den vergangenen zehn Jahren Stück für Stück beendeten Monopolsystems noch in der Subventionierung von ökologischen Nischen gesucht, etwa in der Verspritung von Fallobst der berühmten Streuobstwiesen.

Wirklich funktioiert hat das System für den Staat offenbar nur in Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeiten. Mit einem einzigen Ballon Monopol-Ethanol, mittels Zuckercouleur vom Apotheken- zum Trinkalkohol umgefälscht, ließen sich etwa nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahre (!) eines Jurastudiums finanzieren, wie glaubwürdig überliefert wurde.

Vor dem Hintergrund eines allgemein allzu niedrigen Preisniveaus für Ethanol hat das Monopol erst seine wirtschaftliche und nun auch seine juristische Basis verloren: Eine schöne Friedensdividende für den Subventionsstaat, wenn man so will.

Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Zum Ende des Branntweinmonopols: . In: Legal Tribune Online, 31.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26233 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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