2/2 Begründer der Rechtswissenschaft
Friedrich Carl von Savigny, geboren 1779 in Frankfurt am Main, studiert ab 1795 Jura, zunächst in Marburg, zwischenzeitlich aber auch in Jena, Leipzig, Göttingen und Halle. 1808 wird er auf eine Professur an die Universität Landshut berufen. Das bleibt aber nur ein kurzes Gastspiel. Mit der Eröffnung der Berliner Universität wechselt er 1810 an die Spree. Er gilt schon jetzt als Koryphäe und unterrichtet unter anderem als Privatlehrer den preußischen Kronprinzen.
Als er Thibauts Ausführungen liest, antwortet er noch im gleichen Jahr mit einer eigenen Schrift. Sie trägt den Titel "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft". Auch wenn oft als solche bezeichnet, handelt es sich dabei eigentlich nicht um eine wirkliche Antischrift. Eher reden beide aneinander vorbei. Während Thibaut politisch argumentiert, wirft von Savigny ganz andere Argumente in die Waagschale.
Er lehnt eine seiner Ansicht nach statische Kodifikation ab, da sich seiner Ansicht nach Recht letztlich als Gewohnheitsrecht organisch entwickelt und nicht "durch die Willkür eines Gesetzgebers". Juristen seien gar nicht dazu berufen – und wohl auch nicht dazu fähig –, ein einheitliches deutsches Gesetzbuch zu entwerfen. Recht, so von Savigny, lebt im Volksgeist und findet seinen Ausdruck vor allem im erstarkten Gewohnheitsrecht. Jede Tätigkeit eines Gesetzgebers würde die Fortbildung des Rechts hemmen.
Die Aufgabe der Juristen sieht von Savigny darin, das praktizierte Gewohnheitsrecht fortzubilden, indem man die allgemeinen Prinzipien des Rechts freilegt. Dabei möge man sich doch bitte an historischen Rechtsquellen und vor allem – mehr noch als es Thibaut forderte – an der römischen Rechtskultur orientieren. Das sei erst einmal alles zu durchdringen und aufzuarbeiten. Erst am Ende dieser Entwicklung könne man sich – wenn überhaupt – daran machen, ein Gesetzbuch zu entwerfen.
Als Mitinitiator der "Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft" gilt von Savigny nicht nur als maßgeblicher Vertreter der im 19. Jahrhunderts dominierenden historischen Rechtsschule, sondern begründet mit seinem Ansatz zugleich eine Rechtswissenschaft.
Er war auch der Ansicht, nicht allein der Wille eines historischen Gesetzgebers könne maßgebend sein, sondern der Inhalt und der Sinn einer Rechtsquelle müssten durch den Rechtsentscheider immer wieder neu bestimmt werden. Das wirkt noch heute methodisch fort – die damals entwickelten Ansätze finden sich in den vier Auslegungsmethoden von Normen wieder.
Was vom Kodifikationsstreit bleibt
Bekanntlich setzt sich von Savigny mit seiner Ansicht zunächst durch. Die Arbeiten an einem gemeinsamen Gesetzbuch werden tatsächlich nicht weiter verfolgt. Damit scheint die ganze Sache erst einmal vom Tisch, jedenfalls vorerst. 1840 stirbt Thibaut. Acht Jahre später legt die Frankfurter Paulskirchenverfassung es in die Hände der Reichsgewalt, durch den Erlass allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen. Weil die Verfassung nie umgesetzt wird, bleibt das zunächst ebenfalls Utopie. Die weiteren Entwicklungen wird auch von Savigny nicht mehr erleben. Er verstirbt 1861.
Erst mit der Begründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 nimmt die Idee einer Kodifikation wieder Fahrt auf. Nach umfassenden Vorarbeiten, die auch ganz maßgeblich an von Savigny anknüpfen, etwa an seine Schrift "System des römischen Rechts", wird 1896 das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verkündet. Es tritt schließlich zum 1. Januar 1900 in Kraft.
Als Wegbereiter für das BGB haben Thibaut und von Savigny nicht zuletzt ein rechtsdogmatisches Erbe hinterlassen. Ihre Spuren sind nach wie vor im BGB zu finden. Zum Beispiel folgt der Aufbau des BGB der von Thibaut vertretenen Pandektistik. Savigny hingegen prägte mit dem Abstraktionsprinzip die Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre und entwickelte die Unterscheidung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung.
Und was bleibt vom Kodifikationsstreit selbst? Nicht zuletzt die Erkenntnis, dass im BGB die Schöpferkraft von zwei der profiliertesten Juristen der jüngsten Rechtsgeschichte weiter fortwirkt. Dass sich dieses Gesetz zudem als bedeutender Beitrag zur europäischen Rechtskultur über die Jahrzehnte bis heute behauptet und bewährt hat, ist mit Blick auf die wechselvolle Geschichte durchaus nicht selbstverständlich.
Schließlich mag man Thibaut, von Savigny und ihren Streit vielleicht auch im Hinblick auf ein europäisches Privatrecht im Hinterkopf behalten. Ob über das bestehende Europarecht hinaus so etwas wie ein Europäisches Zivilgesetzbuch erstrebenswert ist, ist ja durchaus strittig. Vielleicht wiederholt sich Geschichte doch.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
André Niedostadek, Kodifikationsstreit oder der lange Weg zum BGB : . In: Legal Tribune Online, 30.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13344 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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