Holz im Recht: Anwälte in grünen Strumpf­hosen

von Martin Rath

29.01.2012

"Le waldsterben" gilt in Frankreich als deutsche Gemütskrankheit, selbst Karl Marx schrieb über rheinischen Holzdiebstahl und der "Holzfrevel" beschäftigte arme Bauern im deutschen Bund ebenso wie die damaligen Juristen. Es waren aber Engländer, die das Forstrecht über 500 Jahre als eine Art Verfassungsrecht pflegten. Ein Besuch bei Robin Hood im juristischen Forst von Martin Rath.

Wäre Karl Marx (1818-1883) ein besserer Jurastudent gewesen, dürften wir heute vielleicht Anwälte in grünen Strumpfhosen bewundern. Wenn man nur an die schwarzen Roben denkt, die zur Wahrheitsfindung getragen werden und ein gutes Stück Lust am Kostüm indizieren, bestünde diese Hoffnung und das nicht nur zur Faschingszeit.

Natürlich ist dieser Gedanke ein bisschen abwegig und darum entwicklungsfähig.

Der erste Blick ins Gesetz muss allerdings ernüchtern. Meilenweit vom romantischen Heldentum in grünen Strumpfhosen, der Beinbekleidung von Robin Hood, dem archetypischen Kämpfer um die so genannte Gerechtigkeit, ist der deutsche Normapparat entfernt. Denn das Bundeswaldgesetz (BWaldG) vom 2. Mai 1975 lässt mit seiner trockenen sozialtechnologischen Regelungssprache kaum eine Ahnung davon zu, worum es beim juristischen Kampf ums Holz einst ging.

Da musste der sozialliberale Gesetzgeber der 1970er-Jahre doch tatsächlich erklären, dass der Wald wegen seiner Bedeutung für die Umwelt "nachhaltig zu sichern" und ein "Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und den Belangen der Waldbesitzer herbeizuführen" sei. Dieser ebenso selbstverständlich wie langweilig wirkenden Zwecksetzung lässt das Gesetz Regelungen zur Einrichtung von Forstbetriebsgemeinschaften und -verbänden folgen.

75.000 Forstfrevelfälle in der Pfalz im Jahr 1827

Mit sehr viel reicherer Regelungsfreude gingen frühere deutsche Gesetzgeber ans Werk. Enthält das BWaldG nur 20 Paragrafen, "umfasste die Pfalz-Zweibrücker Forstordnung von 1785 insgesamt 120 Paragrafen, von denen nicht weniger als 99 konkrete Strafbestimmungen für den Fall ihrer Übertretung enthielten", zählte der Freiburger Historiker Bernd-Stefan Grewe in einer Studie über den sogenannten "Forstfrevel" in der bayerischen Pfalz nach.

Der Generalprokurator der Pfalz, heute hieße er wohl Generalstaatsanwalt, klagte im Bericht für das Jahr 1827/28 an seine Münchener Vorgesetzen darüber, dass in seinem kleinen Zuständigkeitsbereich fast genauso viele Fälle von Forstfrevel begangen worden seien wie im großen Nachbarland Frankreich. Knapp 75.000 Forstfrevelfälle waren vor die pfälzische Justiz gekommen, mit 10.356 Verurteilungen zu Gefängnis-, 62.978 Geldstrafen und 1.644 Freisprüchen. Der heutige Teil des Bindestrichlandes Rheinland-Pfalz zählte zu dieser Zeit rund 500.000 Untertanen, das benachbarte Frankreich – nach Kenntnis des Staatsanwalts mit ähnlich hohen absoluten Zahlen in Sachen Forstdelinquenz – stattliche 32 Millionen Bürger.

Auch im benachbarten preußischen Regierungsbezirk Trier bereitete die Zahl der Forstdelikte der Obrigkeit Sorgen. Hier wurden rund 50.000 Fälle pro Jahr vermerkt.

Was als Forstfrevel bestraft wurde, sah in den über 30 souveränen Staaten des Deutschen Bundes und dort noch einmal in den wirtschaftlich und sozial recht buntscheckigen Provinzen unterschiedlich aus. Der bäuerlichen Bevölkerung fehlte regelmäßig das Unrechtsbewusstsein, wenn sie zum privaten Konsum Bruchholz sammelte oder in sozialadäquatem Umfang Bäume entnahm. Dem traten adelige, staatliche und private Grundeigentümer seit den 1820er-Jahren konsequenter entgegen als noch 50 Jahre zuvor – in der Zeit vor den Umbrüchen der französischen Revolution und der Napoleonischen Besatzung.

Vom Forstfrevel zum Waldbetretungsrecht

Neben der weit verbreiteten Armut der Bevölkerung nennt Grewe unter anderem neue wirtschaftliche Nutzungsinteressen als Antriebsfeder für die vermehrte strafrechtliche Durchdringung der deutschen Wälder: Einerseits verlangte die modernere Industrie nach Holz, beispielsweise für den Eisenbahnbau, was das Interesse der Grundherren am grünen Kapital ihrer Wälder verstärkte. Andererseits, das galt etwa für die Wälder in Rheinnähe, machte sich ein früher Globalisierungsprozess bemerkbar – die Winzer verkauften ihren Wein überregional, die Reben wollten gedüngt werden und um den Dung der Tiere nutzbar zu machen, rafften die Bauern das Laub der Wälder als Streugut zusammen. Das schadete dem Wald und wurde pönalisiert.

Um mit dem Faktor Armut zurande zu kommen, erließ der bayerische Gesetzgeber 1831 eine spezielle Forstordnung für die Pfalz, die den Gemeinden aufgab, die nicht zu knappen Einkünfte aus den Geldstrafen, die wegen der Forstvergehen verhängt worden waren, für den Kauf von Brennholz aufzuwenden, das den ärmsten Einwohnern zur Verfügung gestellt werden sollte.

Dem heutigen Juristen dürfte das Herz bluten beim Gedanken an den kulturellen Reichtum der damaligen Normenlandschaft. Statt detaillierter und regional feinsinnig ausgetüftelter Vorschriften trifft er heute auf den profan-abstrakten Sachbeschädigungstatbestand des Strafgesetzbuchs, einige Naturschutzvorschriften und auf die gerade einmal 20 Paragraphen des BWaldG, das beispielsweise in bester juristischer Hausmeisterprosa in seinem § 14 Abs.1 S. 1-3 vorsieht:

"Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet. Das Radfahren, das Fahren mit Krankenfahrstühlen und das Reiten im Walde ist nur auf Straßen und Wegen gestattet. Die Benutzung geschieht auf eigene Gefahr."

Nachschlag zur Magna Carta: die Charter of the Forest

Der Vergleich zwischen alter bayerischer oder preußischer Regelungslust und der Gesetzgebung der 1970er-Jahre ist natürlich ein bisschen unfair und auch holzschnittartig, illustriert aber den Verlust einer sozialen und ökologischen Lebenswelt – die sich selbstverständlich im Recht widerspiegelte.

Diese Lebenswelten führt der britische Historiker Simon Schama (geb. 1945) in seiner prächtigen Geschichte "Der Traum von der Wildnis" für die Wälder seiner polnisch-litauischen Vorfahren wie seiner englischen Heimat vor – wobei der "Forst" in England ein vor allem juristisch interessantes Phänomen war und dank einiger feudaler Überreste bis heute ist.

Als England von den Normannen erobert wurde, 1066 von "William the Conqueror", ging es auf der Insel ein wenig zu wie in einem "Ivanhoe"-Film. Der frisch angekommene normannische Adel beanspruchte Rechte an Wald und Wild. Schama beschreibt die Jagdrituale als Ausdrucksformen einer kriegerischen Kaste, die das Töten nicht verlernen will. Anspruchsgegner des Normannenadels war die angelsächsische Einwohnerschaft, die – ein bisschen wie die Hobbits im Auenland – an ihren hergebrachten Nutzungsrechten festhielt.

Als juristische Konstruktion kam der "forest" ins Spiel, weil es gar nicht so viel Forst gab, wie man vielleicht annehmen möchte. Allenfalls 15 Prozent der Fläche Englands seien von Wald bedeckt gewesen, als Wilhelm der Eroberer in Sussex an Land ging. Es überwog eine durchwachsene Mischnutzung. Kleinere Waldbestände, in denen die Bauern traditionell ihre Schweine zur Eichelmast hielten, wechselten sich mit Ackerbauflächen ab.

Die englische Krone und der erfundene Wald

Ähnlich wie die bayerische Obrigkeit in der Pfalz, Jahrhunderte später, erkannte die englische Krone in den Geldstrafen, die wegen der Vergehen an Holz und Tier begangen wurden, nicht zuletzt eine interessante Einnahmequelle. Juristisch erfindungsreich erklärte sie daher auch Gebiete zum "forest", die beim besten Willen kaum als bewaldet bezeichnet werden konnten. Sie unterfielen damit einer speziellen Jurisdiktion, der sogenannten "eyre"-Gerichtsbarkeit. Die von diesen königlichen Gerichten vereinnahmten Geldstrafen sollten die Schuldenlast der Krone lindern – ihre orientalischen Kriegszüge belasteten den Fiskus.

Während eine Nebenwirkung der Kreuzzugsabenteuer englischer Könige bis heute weltberühmt ist, jene "Magna Carta" von 1215, die heute vielfach als erster Baustein der westlichen Grundrechte gilt, weil sie einigen Adeligen einen gewissen Schutz vor willkürlicher Verhaftung beziehungsweise Verurteilung gab, provozierte die ausgedehnte königliche Forstjustiz zwei Jahre später eine weniger bekannte "Carta": die "Carta de Foresta".

Im Gegensatz zur Magna Carta, die nur die Rechte des Hochadels festschrieb, verbürgte die Carta de Foresta ("Charter of the Forest") auch den einfachen Untertanen handfeste Ansprüche. So konnten die königlichen Wälder als Holzquelle oder Weideplatz genutzt werden. Die Todesstrafe für Wilderei wurde mit ihr 1217 abgeschafft, kontinentaleuropäische Territorien behielten solch drakonische Strafen bis ins 18. Jahrhundert bei.

Die letzten normativen Reste der Carta de Foresta schaffte der Gesetzgeber erst 1971 ab. Dass man den Briten nicht ein ähnlich obsessives Verhältnis zum Wald nachsagt wie den Deutschen, haben sie wohl der Erfindung der englischen Gärten zu verdanken.

Robin Hood und  der frühindustrielle Glasproduzent

Selbstredend blieb die englische Krone arm und die Wälder wirtschaftlich zu interessant, als sie nur Bauern zu überlassen, die dort ihre Schweine halten wollten. Als im Jahr 1308 ein gewisser Robert Hood aus Wakefield in der Grafschaft Yorkshire für Holz bezahlen sollte, das er im Wald des Grafen gesammelt hatte, war der abstrakte Terror königlicher Forstjustiz dank der Carta von 1217 vom Tisch.

Allerdings brachen die Pacht- und Nutzungsverträge, mit denen die frühen englischen Unternehmer sich das Holz der Wälder von der Krone übereignen ließen, in das alte System hergebrachter Rechte ein. Der neue Herr im Holz, der den Brennstoff für seine Glas- oder Eisenverhüttung bezahlt hatte, besaß einen vollstreckbaren "Titel". Der Schweinebauer konnte hingegen nur Gewohnheit geltend machen.

Diese unfaire Verteilung beim Geltendmachen von Rechten spiegeln, so Simon Schama, die unzähligen Geschichten um Robin Hood wider: Eine böse Gewalt dringt in die alte Lebenswelt der braven Landleute ein, die von anarchisch bewirtschafteten Wäldern träumen. Nur ist die dunkle Macht, die das Leben der englischen Hobbits tangiert, nicht der Sheriff von Nottingham, sondern ein frühindustrieller Eisen- oder Glasproduzent.

Von einer ähnlichen Entwicklung wusste der junge Journalist Karl Marx 1842 in der "Rheinischen Zeitung" zu berichten.  Seine vier Artikel zu den "Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz" gehören zu den frühesten Parlamentsberichten Deutschlands – früh, weil es mit den Volksvertretungen seinerzeit nicht weit her war. Dem rheinischen Provinziallandtag gehörten keine modernen Abgeordneten, sondern die Vertreter der vier "Stände" an – fünf Abgeordnete vertraten die Fürsten, von jeweils 25 Abgeordneten wurden die Stände der Ritterschaft, der Städte und der Landgemeinden vertreten. Man tagte nur alle zwei bis drei Jahre, jeweils für circa zwei Monate.

Karl Marx  und der rheinische Holzdiebstahl

Über die Beratungen dieses Ständeparlaments ließen die Kölner Redakteure den 25-jährigen Doktor der Philosophie – und abgebrochenen Juristen – Karl Marx berichten. Zugang zu den Beratungen selbst hatte er wohl nicht, aber er kommentierte die Vorgänge um so heftiger: Zu den Problemen des neuen rheinischen Forststrafrechts zählte etwa die Frage, ob der Förster, der einen Holzdiebstahl zur Anzeige brachte, zugleich auch den Wert des gestohlenen Holzes taxieren sollte, nach dem die Strafe zu bemessen sei. Ein städtischer Abgeordneter hielt das aus rechtsstaatlichen Erwägungen für heikel. Als Kompromiss wurde die Norm verhandelt, dass bei einer Entfernung von mehr als zwei Meilen zur nächsten Dienststelle der Förster den Holzwert nach dem ortsüblichen Preis bestimmen soll. Marx hielt sich mit solchen Feinheiten nicht lange auf, sondern nimmt die Aneignung von Strafgewalt – die doch Sache des Staates sein soll – durch die privaten Waldeigentümer aufs Korn. Das ganze würzte Karl Marx, er war ein durchaus hinreißender Polemiker, mit ätzenden Bemerkungen – soweit sie eben die Pressezensur zuließ.

Sie ließ nicht viel zu. Die preußische Zensurbehörde verbot die "Rheinische Zeitung" aus Köln 1843, aus dem radikalisierten Jungjournalisten sollte Jahre später der Stifter einer säkularen Religion werden. Anders als bei Johann Wolfgang Goethe, an dessen Studium der Rechte sich nachgeborene Juristen gerne erinnern, obwohl der Dichter doch keinesfalls zwei Prädikatsexamina nachweisen konnte, wird die juristische Seite von Karl Marx gerne vergessen.

Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Marx berichtet, der Alte habe gerne die Romane von Walter Scott (1771-1832) gelesen, dem seinerzeit berühmten schottischen Schriftsteller, der wie Marx ein Anwaltssohn, anders als Marx aber auch ein fertigstudierter Jurist war. Scott hat mit seinem "Ivanhoe"-Roman den englischen Wald-Mythos um Robin Hood noch einmal populär gemacht.

Ein Redakteur ist bekanntlich ein Schriftsteller, der noch ein Manuskript in der Schublade hat. Man stelle sich vor, Karl Marx hätte seine Beobachtungen zum Waldfrevel im Rheinland in Gestalt populärer und wirtschaftlich erfolgreicher Robin-Hood-Romane verarbeitet, statt sich in eine politische Philosophie zu stürzen, die spätestens als politische Praxis monströs wurde.

Karl Marx als fertig studierter Rechtsanwalt, wie es sein Vater wünschte, hätte nicht Journalist werden oder bleiben müssen. Von anderen angenehmen Seiten dieser Phantasie abgesehen, würden Juristen wohl heute die Geschichte des rheinischen Holzdiebstahls kennen – und vielleicht mit rechtshistorischem Stolz grüne Strumpfhosen tragen.

Der Autor Martin Rath ist freier Journalist und Lektor in Köln.

 

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Zitiervorschlag

Martin Rath, Holz im Recht: . In: Legal Tribune Online, 29.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5430 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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