Die Atom-Konzerne fühlen sich benachteiligt und verlangen Entschädigung, juristisches Säbelrasseln inklusive. Eine Entschädigung von der EU-Kommission erhalten werden Bauern, die von EHEC-Warnungen betroffen sind - auch wenn Rechtsansprüche zweifelhaft sind. Außerdem in der Presseschau: Das Ende der Tarifeinheits-Pläne, Waffen-Skandal bei den Gebirgsjägern und vieles andere.
Atomausstieg: Die einen schreiben Beschwerdebriefe, die anderen fordern öffentlich eine "faire Entschädigung" – die Atomindustrie ist nach einem Bericht der Zeit in hellem Aufruhr. Die FTD (Friederike von Tiesenhausen / Nikolai Fichtner) widmet sich den Rechtsproblemen rund um den Atomausstieg in einem Frage-Antwort-Spiel. Der Ausstiegsbeschluss wird erläutert und verschiedene juristische Stellungnahmen werden aufgezeigt. Die FAZ (Werner Sturbeck) mutmaßt gleichzeitig, dass hinter den Entschädigungsforderungen auch "die Furcht vor einer feindlichen Übernahme" stecken könne – immerhin seien die Aktienkurse im Zuge der Ausstiegsdebatte in den Keller gerutscht. Markus Balser (SZ) hält das Vorgehen der Energiekonzerne für einen "Kurzschluss", mit dem diese sich "ins Abseits" manövrierten. Nur vordergründig gehe es um Recht, in Wirklichkeit aber um die "Vorherrschaft auf dem Energiemarkt".
Unter dem Titel "Die Atomindustrie schlägt zurück" beschäftigt sich das Handelsblatt (J. Flauger / T. Sigmund / K. Stratmann) mit dem Thema und sieht die letzte Entscheidung bereits beim Verfassungsgericht fallen. In einem Gastbeitrag brandmarkt Eon-Chef Johannes Teyssen den Ausstieg als "ungerechtfertigten Eingriff in das Vermögen unserer Aktionäre". In die gleiche Kerbe schlägt der emeritierte Rechtsprofessor Rupert Scholz in einem Gastbeitrag für die FTD: Man habe es mit Vermögensverlusten "von enteignungsrechtlicher Qualität" zu tun, die verfassungsrechtlich zwingend zu entschädigen seien.
In den Augen des Umweltministers Norbert Röttgen ist das Vorgehen dagegen "juristisch wasserdicht", wie die FAZ zu berichten weiß. Unterstützung erhält der Umweltminister von Christian Rath (taz): Bloßer "Theaterdonner" seien die Klagedrohungen der Energiekonzerne – mit kaum Aussicht auf Erfolg. Das Grundgesetz schütze "keine bloßen Gewinnerwartungen" und die eigentumsrechtlich geschützten Investitionen seien nach Ablauf der Restlaufzeiten amortisiert.
Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Atomausstieg sieht die taz (Andreas Wyputta) eine sich ankündigende "Lex Eon" in Nordrhein-Westfalen: Dort soll der rechtswidrige Bau des Kohlekraftwerks Datteln durch eine nachträgliche Änderung der Landesplanung legalisiert werden.
EHEC-Entschädigungen: Mehr als 150 Millionen Euro will die EU-Kommission als Entschädigung für die von der Bekämpfung der EHEC-Infektionen betroffenen Bauern bereitstellen, so die FAZ (Hendrik Kafsack / Robert von Lucius / Frank Pergande) in einem ausführlichen Bericht rund um die wirtschaftlichen Folgen der Krise. Ein Rechtsanspruch auf eine solche Entschädigung habe den Bauern allerdings nicht zugestanden, stellt die SZ (Sebastian Beck / Caroline Ischinger) fest. Immerhin sei nur eine Warnung, nicht aber ein Verbot ausgesprochen worden. Auch LTO (Stefan Schäfer) hält als Ergebnis einer ausführlichen rechtlichen Einordnung des Falles einen Schadensersatzanspruch der Bauern für "sehr unwahrscheinlich". Grundsätzlich sei ein solcher bei fehlerhaften Warnungen zwar möglich; hier sei die Warnung jedoch rechtmäßig erfolgt.
Ein anderes Fass macht Reinhard Müller (FAZ) auf: Scharf weist er die im Zuge der EHEC-Ermittlungen aufgekommene europäische Kritik am deutschen Föderalismus zurück. Zwar möge es hier vielleicht intern Verbesserungsbedarf geben – das gehe die europäischen Nachbarn aber "nur begrenzt etwas an".
Weitere Themen – Rechtspolitik
Keine Tarifeinheit: Einen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit werde es nicht geben, nachdem der DGB auf Druck der Verdi-Basis aus dem Bündnis mit dem Arbeitgeberverband BDA ausgestiegen sei, berichtet die FTD (Maike Rademaker). Ursprünglich sollte so gemeinsam gegen Spartengewerkschaften vorgegangen werden. Als das "Ende eines verrückten Projekts" kommentiert dies die SZ (de.) – der Konkurrenz sollten die Gewerkschaften mit Mitgliederwerbung und nicht mit der Bundesregierung begegnen.
Frauenquoten: Mit den juristischen Durchsetzungsmöglichkeiten von Frauenquoten in Unternehmen beschäftigt sich die heutige FAZ (Marc-Philippe Weller). Hervorgehoben werden sanktionsbewehrte Publizitätspflichten und die Anfechtbarkeit bzw. Nichtigkeit quotenwidriger Personalentscheidungen. Gleichzeitig müsse es Regelungen für Ausnahmesituationen und zum Schutz Dritter bei ungültigen Wahlen geben.
Weitere Themen – Justiz
Waffenspiele: Den in Bad Reichenhall stationierten Gebirgsjägern steht juristischer Ärger ins Haus: Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat Vorermittlungen aufgenommen, weil Soldaten dort im Rahmen einer Öffentlichkeitsveranstaltung Kinder durch Zielerfassungssysteme von Panzerfäusten visieren ließen, so Focus.de. Auch der Wehrbeauftragte des Bundes habe sich eingeschaltet. Über einen weiteren Vorfall im bayerischen Brannenburg berichtet Spiegel.de (Björn Hengst / Conny Neumann). Hier hätten Kinder hinter Sturm- und Maschinengewehren gesessen. Empört ob der Empörung gibt sich Stephan Löwenstein (FAZ): Die Skandal-Vorwürfe seien "hanebüchen"; die Bundeswehr dürfe sich nicht "aus der Gesellschaft drängen lassen" und müsse auch "ihre Waffen präsentieren" dürfen.
Terroristen-Foto: Der BGH hat entschieden, dass die Veröffentlichung des unverpixelten Fotos eines verurteilten Terroristen durch die BILD zulässig war, berichtet LTO. Das Strafurteil sei als "zeitgeschichtliches Ereignis" zu werten, daher müsse das Persönlichkeitsrecht des Verurteilten zurückstehen. Die SZ (Wolfgang Janisch) verortet den Vorgang im Spannungsverhältnis zwischen Öffentlichkeitsgebot und Persönlichkeitsschutz von Angeklagten bei Gericht.
Mehr Mitsprache: Dass das Europarecht eine stärkere und frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten fordert, hat Ex-Bundesverwaltungsrichter Jörg Berkemann im Rahmen des 62. Deutschen Anwaltstags thematisiert, so die FAZ (Joachim Jahn). Es sei mit dann mit einer längeren Verfahrensdauer, dafür aber auch mit mehr Akzeptanz zu rechnen. Kontrovers diskutiert worden sei im Anschluss die Klagebefugnis von Umweltverbänden, die der EuGH jüngst gestärkt hatte.
Schwarzfahrer: Unter Verweis auf einen Artikel des Berliner Tagesspiegel (Jörn Hasselmann) berichtet der Lawblog (Udo Vetter) von der Forderung Berliner Jugendrichter, Schwarzfahren von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen und zudem Hartz IV-Empfängern die kostenlose ÖPNV-Nutzung zu gestatten. Dies würde in der Justiz "unglaubliche Kräfte freisetzen"; momentan seien viel zu viele Ressourcen gebunden.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Island-Prozess: Spiegel.de berichtet vom ersten Prozesstag gegen den isländischen Ex-Regierungschef Geir Haarde vor dem Finanzkrisen-Sondergericht in Reykjavik. Es handele sich um einen "politischen Gerichtsprozess", so der Angeklagte, der umgehend eingestellt werden müsse.
Terroristen vor Gericht: Die FAZ (Martin Otto) schildert im Feuilleton eine niederländische Konferenz zum Thema "Terroristen vor Gericht". Im Mittelpunkt der Konferenz habe das Thema der "Kommunikation" gestanden; einerseits als Ziel der Terroristen selbst – Terror als "Gewalt plus Kommunikation" -, andererseits als Ziel des Strafverfahrens. Zu Differenzen gekommen sei es hinsichtlich der zulässigen Mittel in Terror-Prozessen: Während die Niederländer beispielsweise die Verwertung nachrichtendienstlicher Informationen für problemlos möglich hielten, seien die deutschen Teilnehmer dagegen "als wahre Bedenkenträger" erschienen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
Die juristische Presseschau vom 8. Juni 2011: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3467 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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